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Kultur: Lob der Laufmasche

Ein Hauch von Knef: Das Debüt der Berliner Band Nylon versöhnt deutsche Chansons mit Elektronik

Wer sagt eigentlich, dass elektronische Musik immer artifiziell, verfrickelt und technizistisch klingen muss? Es geht auch ganz anders. Der Einstieg kann dann so spannend sein wie ein Hörspiel. Zum Beispiel folgendermaßen: Schritte knallen übers Pflaster. Ein Knopfakkordeon spielt eine russische Volksweise. Von irgendwo tönt ein Bass. Erst jetzt erklingen ganz sachte, samtige Drum-Beats. Und eine weiche Stimme, die über dem träge wabernden Soundteppich zu schweben scheint, haucht: „Ich komme heute wie immer aus dem Haus / und trage endlich wieder Minirock. / Die Nachbarin schaut aus dem Fenster raus / und unterhält sich mit der Frau vom 4. Stock.“

Deutscher Gesang in einem elektronischen Musikstück? Und dann auch noch in alten Versen? Kein Zweifel, das ist der Text von Barbara Thalheims „Frühling in der Schönhauser“. 1971 gab sie damit ihr Single-Debüt beim DDR-Label Amiga und kaufte sich vom Erlös einen Trabant. „Die Schönhauser Allee ist heute überhaupt nicht schön, sie ist ziemlich verkommen“, sagt Niku Sebastian. Die brünette Berlinerin, Jahrgang 1974, sitzt in ihrer Wohnung in Kreuzberg und schaukelt ihr Baby auf dem Schoß. „Wir haben uns gefragt: Was kann man mit dem alten Lied machen? Wie muss man es verändern?“

Sebastian ist die Besitzerin der schönen Jazzstimme, die so sanft schmeicheln kann. Das Thalheim-Lied fand sie schon immer schön, aber nur einfach Lieder nachsingen wäre zu einfach. Also tat sich die Sängerin mit Musikerfreunden zusammen. „Wir sind erstmal gemeinsam über die Schönhauser spaziert“, sagt Paul Kleber. Mit einem Rekorder nahm er dort Schritte, Verkehrslärm und den Akkordeonspieler von der Ecke Eberswalder auf. Später fügten sie kleine Alltagsgeräusche ein: das Schnipsen eines Feuerzeugs und sogar Zähneklappern.

Kleber und Niku Sebastian, die eigentlich Lisa Bassenge heisst, sind gemeinsam (mit Paul Schmidt) das „Lisa Bassenge Trio“. Seit Mitte der Neunziger spielen sie recht erfolgreich Jazz. Mit Barmusikversionen von Popstücken wie Madonnas „Like A Virgin“ gastierten sie in der Harald-Schmidt-Show, die Einladung zum renommierten Jazz-Festival in Montreux, mussten sie im vergangenen Jahr leider ausschlagen: Sebastians Tochter kam da gerade zur Welt. Aber auch mit Clubmusik kennen sich die Jazzer bestens aus. Mit ihrer zweiten Band Micatone spielte Sebastian Ende der Neunziger regelmäßig in Clubs wie dem Kurvenstar, mit dem Sonarkollektiv der international bekannten Berliner Elektromusiker Jazzanova ist man ebenfalls befreundet. Weil Micatone in den Clubs und der Name Bassenge unter Jazzern schon einen gewissen Klang haben, legte sich Lisa für ihr „Spaß-Projekt“ nun das Pseudonym Sebastian zu.

Ihre neue Band nennt sich Nylon. Sebastian und Kleber bilden gewissermaßen ihren analogen Kern, für Elektronik sind der DJ Stefan Rogall und die Keyboard- und Computertüftler Hagen Demmin und Arnold Kasar zuständig. Dass sich das Quintett ausgerechnet Chansons ausgesucht hat, ist äußerst ungewöhnlich. Sänger wie Manfred Krug oder Hildegard Knef sind in Elektrokreisen etwa so beliebt, wie Michael Reinboth oder DJ Koze im Musikantenstadl. Doch die Liebe zu deutschen Texten teilen alle fünf. „Meine erste Platte war von den Comedian Harmonists“, erklärt Sebastian ihre generationsuntypische Vorliebe. Im Plattenschrank der Eltern fand sie Billie Holliday, Fats Domino und Miles Davis, und diese Vorbilder schätzt sie noch heute, auch wenn eine „kleine Mainstreamphase als Madonnafan“ dazwischenlag, wie die studierte Sängerin freimütig zugibt.

„Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt“, ein Stück der Wiener Chansonniere Greta Keller, war die Initialzündung für Nylon. Als sie ein Demo mit ihrer modernisierten Version bei Universal abgaben, und die Plattenfirma zugriff, nahmen sie in weniger als zwei Monaten elf weitere Titel auf – im Heimstudio. Auf der Debüt-CD „Die Liebe kommt“ gibt es nun Zwanziger Jahre-Schlager im Minimal-House-Rhythmus, eine Dub-Version des seltsamen Knef-Stücks „Im 80. Stockwerk“ und eine blubbernde Chill-Out-Fassung von Manfred Krugs „Da bist du ja“. Weimarer Republik, Wirtschaftswunder und Neue Deutsche Welle werden wie selbstverständlich einverleibt: Senta Berger und Ideal covern die Musiker ebenfalls. Zu ihrem Bandnamen inspirierte sie übrigens der 60. Geburtstag einer Tante, wo man sich über die ehemals moderne Kunstfaser unterhielt.

Ebenso wie das gleichnamige Mischgewebe bietet die Band Nylon nicht nur einen pflegeleichten Materialmix. Mit seinen hauchdünnen Klangflächen wirkt ihr Sound sehr elastisch. Wenn es – etwa in den kleinen Geräuschsamples – auch mal raschelt, so gehört das genauso dazu wie eine Laufmasche im industriell perfekt gemachten Damenstrumpf. Und so erzeugt die Liason der vermeintlich unvereinbaren Genres Chanson und Elektronik sogar so etwas wie knisternde Erotik.

Nylon, „Die Liebe kommt“ (Boutique/Universal) erscheint am 5. Juli.

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