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Kultur: Lob der Peripherie

Nach Wolfsburg! Festivalmacher Bernd Kauffmann über blühende Provinzen und die Lust am Risiko

Herr Kauffmann, Sie machen Festivals und Programme an Orten, wo es eigentlich nicht geht, wo man es zumindest nicht so erwartet: in Weimar, im Schloss Neuhardenberg und jetzt in Wolfsburg. Lieben Sie Pionierarbeit?

Mich hat immer besonders gereizt, was noch nicht ist. Wo vielleicht nur eine grüne Wiese ist und wo etwas neu bestimmt werden muss. In Wolfsburg war es purer Zufall: Ich wurde gefragt, ob ich mir diese unter Adolf Hitler gebaute Heizkraftwerkhalle anschauen könnte. Das ist ein monströses Gebäude; ich habe die Halle im geräumten Zustand gesehen, in ihrer ganzen verlorenen Größe und Desolatheit. Der Hintergrund war, dass VW die Halle so nicht mehr benötigte. Beim Erkunden dieser Raumkonstellation dachte ich: Hier etwas zu etablieren, in diesem suggestiven Bau, würde mich herausfordern. Vom Gefühl her war mir klar, dass diese Riesenhalle für Musik oder Theater nicht geeignet ist. Dort geht nur Tanz in größerer Form und Weite.

Wie sind Sie denn zum Tanz gekommen? Sie haben doch zunächst ganz andere kulturelle Felder bespielt.

Ich bin ja im Goetheschen Sinne ein „Hochdilettant“. In Weimar stand ich vor der Viehauktionshalle und fragte: Wie kann man diesen Raum mit Kraft und Energie füllen? Mein Interesse am Tanz hat also damit zu tun, dass ich stark vom Raum her denke.

Die Wolfsburger „Movimentos“ konnten sich sogleich profilieren: mit Uraufführungen und Choreografien für große Ensembles. Haben Sie mit dem Festival den Sprung in die A-Liga geschafft?

Ach, mit dem Ligawahn habe ich es nicht so. Ich habe mich manchmal als Zaungast des Berliner Kulturlebens gewundert, wie wenige große Compagnien hier zu sehen sind. Man kann das immer auf die Technik und Nichtverfügbarkeit von Räumen in festen Häusern schieben. Aber manchmal denke ich auch: Man will diese großen Ensemblechoreografien in Berlin gar nicht so sehr. Zumindest auf eine bestimmte Szene trifft das zu.

„Movimentos“ wird ausschließlich von der Autostadt finanziert und dient auch der Imagepolitur. War viel Überzeugungsarbeit vonnöten, damit ausgerechnet in den zeitgenössischen Tanz investiert wird?

Überhaupt nicht. Man muss auch mit ein bisschen Gottvertrauen arbeiten. Vor allem muss man sich aber vor Augen halten, wo man arbeitet, das habe ich in Weimar auch gelernt. Bei einer Region wie Wolfsburg müssen Sie in der Programmgestaltung zunächst versöhnend auftreten. Sie dürfen die Zuschauer nicht gleich befremden und überfordern. Das Publikum muss erst herangeführt werden an die Kunstform zeitgenössischer Tanz.

Konnten Sie bei der dritten „Movimentos“Ausgabe mutigere Entscheidungen treffen?

Es ist ähnlich wie in Weimar: Jetzt ist es Zeit, dem Publikum ein wenig näher zu kommen, kritischer und störrischer zu werden. Es ist purer Unfug, gleich zu Anfang mit einem Fallbeil aufzuwarten und ausgesprochen schwierigen zeitgenössischen Tanz zu präsentieren. Damit stoßen Sie ein Publikum vor den Kopf und sperren es aus.

Der VW-Konzern ist ein Global Player, mit Werken in aller Welt. Holt er sich nun die Welt nach Hause?

Ich denke nicht in Automarken. Aber heute redet die ganze Welt von Beschleunigung und Overstressing; da müssen Sie doch auch auf das Gegenteil verweisen, auf die Entschleunigung und die Konzentration – auf das, was wir verlieren, wenn wir alles zu gewinnen meinen. Und dann kommen Sie wie von selbst auf Cloud Gate, auf Legend Lin und andere. Und was heißt „die Welt nach Hause holen“? Es heißt nichts anderes als die Präsentation äußerst konträrer Ausdrucksformen verschiedener Kulturen. Aber dabei müssen Sie immer noch fragen, ob die Menschen hier etwas damit anfangen können.

Kann man mit Tanz heute am besten Festivals machen?

Das scheint so, weil man einfach der Sprache nicht bedarf, weil es hier im besten Sinne um das Berühren und das Bewegen geht. Der Tanz verfügt über jeweils spezifische Gesten, Formen, Haltungen und Ästhetiken, die tief treffen. Das mag einigen veraltet vorkommen, aber ich finde es schlicht schön.

Ist es leichter, mit der Privatwirtschaft zusammenzuarbeiten, als im staatlichen Auftrag zu agieren?

Ich war dreizehn Jahre im Niedersächsischen Kultusministerium tätig, in den staatlichen Strukturen kenne ich mich also gut aus. Ich finde, im Zuge der Degression der Mittel wird die Lage immer desolater. Was „Movimentos“ und die Stiftung Schloss Neuhardenberg angeht, wo einerseits Volkswagen beziehungsweise die Autostadt und andererseits der Sparkassen- und Giroverband, für den ich in der Hauptsache tätig bin, die Finanziers sind: Das Verfahren, bei dem ich es mit klugen Gesprächspartnern aus einem Unternehmen sowie aus einem dem Gemeinwohl verpflichteten Finanzverband zu tun habe, finde ich weitaus zielorientierter, präziser, klarer und risikofreudiger als die Verfahren der öffentlichen Hand.

Was macht die Arbeit mit staatlicher Kulturförderung denn so mühsam?

Dass alles erst durch die unendlichen Mühlen der wachsenden Bürokratie und der anschwellenden Beiräte gehen muss, um eine Förderung zu erreichen, empfinde ich als lähmend, unproduktiv und der Kunst nicht förderlich. Wenn jetzt noch die EU mit ihren Antragsverfahren hinzukommt, werden Sie ja völlig wahnsinnig.

Sie haben sich immer in der Peripherie von Berlin bewegt. Ist es nicht auch leichter, für solche Orte Programme zu erfinden – gemessen an einer Stadt wie Berlin, wo schon ganz viel da ist?

Glauben Sie denn, dass Berlin um so vieles unprovinzieller ist? Nein, es war keineswegs meine Absicht, immer in die Peripherie zu gehen. Und in Weimar habe ich gelernt, dass Provinz nicht immer Provinz ist. Aus der Peripherie ist bekanntlich in der deutschen Geschichte unendlich viel entstanden. Eigentlich alles. Es kommen übrigens auch viele Berliner nach Wolfsburg und Neuhardenberg.

Die Sehnsucht, in und für Berlin zu arbeiten, haben Sie nie empfunden?

Berlin ist nicht der Nabel der Welt. In Weimar hätte ich noch länger arbeiten können, aber die Arbeit dort war für mich inhaltlich ausgereizt. Nach Berlin hat es mich aber nicht unbedingt gezogen. Vieles ist Zufall in meinem Leben.

Für einen Kulturmanager machen Sie einen ungewöhnlich zufriedenen Eindruck!

Wenn ich hier so fröhlich sitze, bedeutet das nicht, dass es nicht unendlich viele Probleme gäbe. Aber wenn man heute schon überall von sozialer Entfremdung spricht: Als Kulturmensch hat man doch das Glück, dass man sich mit solchen Inhalten beschäftigen darf, die immer mehr abhanden zu kommen drohen. Dafür bin ich dankbar.

Das Gespräch führten Sandra Luzina und Rüdiger Schaper.

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