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Kultur: Loch im Bauch

1324 Dinge, die man einfach wissen muss: Padgett Powell schreibt einen „Roman in Fragen“.

Das Ding sieht auf den ersten Blick ordentlich, sogar richtig belletristisch aus. Auf jeder Seite ein, zwei Absätze und nach etlichen Seiten immer so was wie ein Kapitelbeginn. Sieht aber eben nur so aus: Das Buch hat keinen einzigen Punkt (doch, einmal, da geht es um Jimi Hendrix und eine Turnhalle in Montana, aber das ist im Rahmen eines Zitats), dafür aber 1324 oder so ähnlich Fragezeichen. Anders gesagt: Das Buch besteht ausschließlich aus Fragen, eine nach der anderen. Sind alles richtige Sätze, keine Angst, das ist keine experimentelle Lyrik. Ist nicht mal experimentelle Prosa. Ist einfach ein großer, ja riesiger Haufen Fragen.

Dass dabei etwas nicht ganz stimmt, hätte man sich denken können: Wo schon das Wort Roman im Titel steht, da ist natürlich keiner drin. Hätte man auch am Impressum sehen können, aber wer liest schon das Impressum. Und vor dem Kauf schon gar nicht. Da kann man aber den Originaltitel lesen, und der heißt: „The Interrogative Mood. A Novel?“ Da ist das mit der Fragerei schon im Titel, so als könnte es am Ende vielleicht doch ein Novel sein, aber der Übersetzer, kein Geringerer, pflegt man da mit Fug und Recht zu sagen, als Harry Edler von Rowohlt, hat sich entschieden und gleich gesagt: Jawohl, das ist einer, um klarzumachen, dass es eben keiner ist, höchstens ein fraglicher. (Im Übrigen hat Padgett Powell seit „Egisto“ längst bewiesen, wie gewitzt er im Verfassen von Romanen ist.)

Fraglich – wir nehmen die Sache jetzt mal von der inhaltlichen Seite – fraglich ist das Leben sowieso. Das Leben, der Mensch – sehr fraglich das alles, fragwürdig auf jeden Fall und hinterfragbar auch. Der Roman an sich ja sowieso, was weiß man denn schon, was ein Roman ist, außer dass er wenigstens hundert Seiten haben und sich nicht reimen sollte. Also von daher ... Andererseits hatten wir das ja spätestens gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gelernt: Gattungsfragen bringen nichts. Wo Theaterstücke Textflächen sind (oder eh gleich Romane) und sich die Lyrik längst schon wieder reimt wie nichts Gutes, da herrscht sowieso ein anything goes, und also sagen wir lieber gleich und abschließend: Dies ist ein Roman, der aus nichts als lauter Fragen besteht, die alle etwas mit dem Leben und dem Menschen zu tun haben, basta.

Es sind Fragen über Fragen über Fragen, manchmal schließt eine an die andere an, meistens aber nicht. Manche sind von der Art „Was ist Ihr Lieblingsgewürz?“ oder „Wer ist Ihr Lieblingsmaler?“, andere mehr so: „Habe ich Ihnen schon gesagt, dass ich im Schodlik-Palast in Taschkent in Usbekistan Zuflucht und, wahrlich, Beistand gefunden habe?“ Manche bohren ins Tiefe: „Gibt es irgendeine Hoffnung?“ oder, die kürzeste: „Glauben Sie?“ Andere sind mit Oberflächlichem zufrieden: „Sind Sie im Prinzip für oder gegen Kanäle?“

Einige fragen eher persönlich: „Wissen Sie den Farbwechsel der Blätter im Herbst zu schätzen, oder ist Ihnen dies Schauspiel einen Tick zu vulgärsentimental?“, andere noch persönlicher: „Sind Sie so hübsch, wie Sie gern wären?“ Alle diese Fragen richten sich an den Leser, die Leserin, ob die nun eine Antwort dafür hätten oder nicht. Manche Fragen sind haarig, viele ohne Rücksicht auf Gewinn an den Haaren herbeigezogen. Da aber der Fragende, also Padgett Powell, die Antworten sowieso nicht bekommen wird, kann man wohl daraus schließen, dass er diese Antworten auch gar nicht will.

Fragen, die keine Antworten erwarten, sind aber gar keine Fragen, es sind vielmehr Hinweise, Aufmerksam-Macher, es sind sozusagenTeile der großen Erzählung vom Leben und den Menschen. Da diese Antworten aber beim Lesen im Stillen ja doch gegeben werden, ist dieses Buch in Wahrheit mindestens doppelt so dick wie das Ding, das der Leser, die Leserin grad in der Hand hat. Und da die Leserin ganz anders antwortet als der Leser, und Leser 1 anders als Leser 769, gibt es mindestens 769 Fassungen dieses Buches. Und da die Antworten der Leser ja aus ihren jeweiligen Lebenszusammenhängen kommen (anders als die des Autors, der sich vielleicht/vermutlich/sicher, als ihm die Fragen zwischendurch auszugehen drohten, weitere von Freundinnen und Bekannten hat zurufen lassen), kommt so am Ende doch noch jener Kitt ins Buch, der aus dem Ding einen Roman macht. Einen Roman, der hauptsächlich vom Leser/der Leserin handelt und der sich unter der Überschrift „Roman vom Leben und vom Menschen“ und über der Unterschrift von Padgett Powell derart menschlich und lebendig zeigt, dass man beim Lesen richtig glücklich ist.

Schon nach der Hälfte des Buches hat man ja das Gefühl, dass nun wirklich alles gefragt worden ist, was man gefragt werden kann. Da dann aber noch mal so viele Fragen kommen und sich keine wiederholt (oder?), staunt man immer mehr über die unglaubliche Vielfalt der Welt und ist dem Autor richtig dankbar dafür, dass er einen darauf aufmerksam gemacht hat. Am Ende der Lektüre, wenn kein Auge trocken – es darf nämlich ordentlich gelacht werden – und der Bauch voller Löcher ist, die Powell/Rowohlt einem da hineingefragt haben, dann weiß man, dass man ein toll übersetztes tolles Buch gelesen hat, keine Frage.

PS.: Natürlich kann man das Ding nicht auf einen Rutsch durchlesen, und vielleicht kann man es überhaupt nicht durchlesen (jedenfalls wenn man nicht Rezensent ist), aber dies ist einer der wenigen Romane, bei denen es das Verständnis nicht behindert, wenn man ein paar oder ein paar mehr Seiten nicht gelesen hat. Es wäre allerdings schade drum.

PPS.: Eine Frage noch: „Finden Sie Wurst (und das Prinzip Wurst) anziehend oder abstoßend, oder sind Sie wurstneutral?“

Padgett Powell:

Roman in Fragen.

Aus dem

amerikanischen

Englisch von

Harry Rowohlt.

Berlin Verlag, Berlin 2012. 192 S., 17,90 €.

Jochen Jung

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