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Schauspieler-Trio. Devid Striesow, Burghart Klaußner und Florian Hinrichs sind als beste Hauptdarsteller nominiert.

© Mike Wolff

Lola-Kandidaten im Gespräch: „So sind wir Deutschen“

Vor dem 60. Filmpreis: Drei Lola-Kandidaten über Spielwut, Statusstress und Lampenfieber. Devid Striesow, Fabian Hinrichs und Burghart Klaußner konkurrieren mit Henry Hübchen um den Deutschen Filmpreis.

Die Rollen, für die Sie nominiert sind: Der Patriarch, der Hochstapler, der Banker, der zum Gewalttäter wird – sind das besonders typische Leinwandfiguren für Sie?

BURGHART KLAUSSNER: Ach, ich würde am liebsten alle diese Rollen spielen. Was Fabian Hinrichs da macht, ist einfach toll, und bei Devid Striesow knie ich nieder – ich wollte schon immer einen Hochstapler spielen.

DEVID STRIESOW: Tja, ich war schneller.

KLAUSSNER: Aber ich mach’s noch!

STRIESOW: Und ich schreibe das Buch dazu.

KLAUSSNER: Im Ernst, diese Rolle des Hochstaplers ist ein Geschenk. Devid spielt ihn in so verschiedenen Aggregatzuständen, das ist fast eine multiple Persönlichkeit. Keiner, der sich verstellt, sondern einer, der krank ist.

STRIESOW: Ach, Burghart …

Der Kavalier, der in Wahrheit nichts zu bieten hat, der verunsicherte Banker: Ist das für Sie ein Thema, der Mann in der Krise?

FABIAN HINRICHS: Derzeit gibt es ja das soziologische Modewort vom Statusstress. Der Status, den vor allem Männer über Beruf, Einkommen, Karriere erlangen, löst sich nicht mehr in eine Form von Zufriedenheit ein. Warum kamen im letzten November fast 40 000 Menschen zur Trauerfeier für Robert Enke ins Stadium nach Hannover? In einem Essay habe ich gelesen, dass sich viele mit der Nacht identifizieren können, die Enke umgab. Mit Mitte 30 hat man finanzielle Belastungen, Beruf, Frau, Kinder, ein Haus etc. Man wird zum Gefangenen seines Lebensentwurfs. Ich war vor kurzem beim Abitreffen und alle meine Schulkameraden, die Katrin, die Steffi, der Jörg, waren plötzlich nur noch Berufe. Der Anwalt, der Schauspieler, schrecklich.

Ist die Schauspielerei ein Ausweg? Sie können die Identitäten und Rollen ja wechseln.

STRIESOW: Man muss es so sehen, um sich nicht aufzulösen. Ich hatte eine sehr intensive Zeit, in der ich zu viel gemacht habe, das möchte ich nicht wiederholen. Man kommt in eine schlimme Routine hinein, der Fahrer holt einen ab, dann geht es zum Dreh, in die Garderobe, immer die gleichen Abläufe. Aber das Spielen muss etwas Besonderes bleiben.

HINRICHS: Das klingt jetzt etwas blöd, aber ich habe gestern „Über den ästhetischen Schein“ von Schiller gelesen. Darin steht sein berühmter Satz, „Der Mensch ist nur da Mensch, wo er spielt“. Wenn man auf die Bühne geht, so begründet Schiller das, dann geht jeder davon aus, dass man lügt. Dieser Burghart, dass ist ja gar nicht Philipp II. in „Don Karlos“ …

KLAUSSNER: … den spiele ich gerade in Dresden, tolle Inszenierung, der Regisseur Roger Vontobel ist erst 33.

HINRICHS: Im echten Leben wäre man der Betrüger, der Hochstapler wenn man sagt, man ist der König. Vielleicht passen die Wahrheitsmodelle, an die wir uns in der Realität halten, gar nicht zu uns. Deshalb ist man im Spiel freier.

STRIESOW: Der Regisseur Laurent Chétouane hat einen ähnlichen Ansatz – in dessen „Don Karlos“ war ich in Hamburg der Marquis da Posa. Er treibt es auf die Spitze, bis man sich als Schauspieler vorn auf der Bühne nackt fühlt, ausgesetzt. Mit einem 45-Minuten-Monolog! Man steht da nicht mehr als Schauspieler, sondern als Mensch mit einem Schiller-Text.

Fabian Hinrichs, 35, spielt einen Bankberater in "Schwerkraft".
Fabian Hinrichs, 35, spielt einen Bankberater in "Schwerkraft".

© Mike Wolff

Wie gehen Sie an Ihre Rollen heran: über den Text, die Körpersprache … ?

KLAUSSNER: Wichtig sind Konzentration und Entspannung zugleich. Dass man vollkommen entleert ist und vollkommen konzentriert, um zur selben Zeit zu empfangen und zu senden. Das ist ein physiologisch interessantes Phänomen. Man denkt immer, ein Schauspieler müsse in jeder Sekunde angespitzt sein, aber das Gegenteil ist der Fall. Entschuldigung, es wird jetzt philosophisch: Vergessen und Erinnern zugleich, das ist eine tolle, verrückte Spielnotwendigkeit.

STRIESOW: Dieser Zustand ist eigentlich verrückter als die Rollen selbst.

HINRICHS: Bei Michel Foucault heißt das „Geschichte der Gegenwart“.

KLAUSSNER: Respekt, junger Mann! (Fängt an zu lachen) So sind wir deutschen Schauspieler! Die Amis lachen uns aus.

STRIESOW: Anthony Hopkins sagt: Schauspieler sein, ist Text lernen und Termine einhalten.

KLAUSSNER: Lee Marvin schreibt, wo er’s nötig findet, an den Rand: No acting. No acting.

Was wollen Sie denn vom Regisseur hören? Genaue Anweisungen wie bei Haneke?

KLAUSSNER: Es macht alles Spaß, wenn es die richtigen Leuten sind. Zum Beispiel der Regisseur von „Die fetten Jahre sind vorbei“, Hans Weingartner, dieser geniale Chaosforscher, und andererseits Michael Haneke, dieser altmeisterliche Genauigkeitsdurchdringer, sie sind beide sehr charmant. Ich habe beides sehr genossen.

STRIESOW: Die Leute müssen dich auch mögen.

KLAUSSNER: Nein, ich muss die Leute mögen.

HINRICHS: Das ist wie im Leben. Regisseure dürfen nur nicht zu totalitär werden. Wenn sie nicht wahrnehmen, wer ich bin, sondern nur verfolgen, was sie sich ausgedacht haben, das finde ich schlimm.

Erkennen Sie schon am Drehbuch, ob eine Rolle, ob ein Film gelingen wird?

KLAUSSNER: Es ist eine Geschmacksbildung, die man sich im Lauf der Jahre aneignet, wie bei jeder Art von Literatur. Manchmal ist es unumgänglich, Rollen abzulehnen, auch wenn es schmerzlich ist.

HINRICHS: Viele Drehbücher sind leider überhaupt nicht überraschend, sondern bemüht, lebensfeindlich, da weiß man nach einer Szene, wie es weitergeht … Ich finde die meisten Bücher Scheiße.

Burghart Klaußner, 60, spielt einen Pastor in "Das weiße Band".
Burghart Klaußner, 60, spielt einen Pastor in "Das weiße Band".

© Mike Wolff

Devid Striesow ist da offenbar nicht so wählerisch.

STRIESOW: (lacht) Ich denke immer, ach, das wird schon. Da spielen nette Kollegen mit, und wo wird noch gedreht? In Köln, super! Ich spiele einfach unglaublich gern. Es ist wie ein Motor, der angeht, wenn der Dreh beginnt: Ich freue mich jedes Mal darauf.

Sie spielen alle drei auch Theater – und Fabian Hinrichs studiert jetzt noch Politikwissenschaft. Sind Sie nicht ausgelastet?

HINRICHS: Derartiges habe ich immer gelesen, nun studiere ich eben Politikwissenschaft. Wenn ich beim Drehen einen Satz sage wie „Mensch, Burghart, das Auto ist weg“, kann ich danach wieder „Bipolare Exekutive“ lesen, das erfrischt mich. Weil ich an etwas ganz anderes denke. Das Rumstehen, Labern und Telefonieren auf dem Set raubt mir dagegen die Energie.

Gibt es bei Ihnen noch Lampenfieber?

KLAUSSNER: Früher war ich sehr aufgeregt auf der Bühne, da stockte mein Atem in der Kehle. Eine meiner Lebenstätigkeiten bestand darin, das abzubauen. Mittlerweile lehne ich Lampenfieber ab.

STRIESOW: Großartig: Lampenfieber lehne ich ab, diese Rolle spiele ich nicht!

HINRICHS: Es ist nicht immer so einfach. Es wird kurz vor einer Theaterpremiere immer hysterisch, man sagt, das gehöre dazu. Gegen diese Sentimentalisierung des Lampenfiebers habe ich mit René Pollesch anzugehen versucht. Das gelingt natürlich nicht, aber allein der Versuch ist wirkmächtig. Was heißt Angst? Ich schaue mir das Publikum an und denke: Vor denen brauche ich doch keine Angst zu haben, es sind halt Leute da.

KLAUSSNER: Wie heißt das PolleschStück noch?

HINRICHS: „Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang“.

KLAUSSNER: Toll, eingängiger Titel.

Apropos Theater: Sie, Fabian Hinrichs, haben in München die Iphigenie gespielt, ebenfalls bei Laurent Chétouane …

HINRICHS: Ich habe dafür richtig geackert, weil ich keine Angriffsfläche bieten wollte. Man tritt auf, im klassischen Gewand, sagt: „Heraus in eure Schatten, rege Wipfel / Des alten, heil’gen, dicht belaubten Haines“, und dann sieht man im Parkett, mit Verlaub, diese Baumwollfelder, die weißhaarigen Leute, und sie stutzen, blättern im Programmheft und denken offenbar: Oh Gott, das kann doch nicht wahr sein! In einer Diskussion sagte jemand: Aber Iphigenie, das ist doch die schöne Seele, das ist doch die Frau.

Devid Striesow, 36, ist in "So glücklich war ich noch nie" einen Hochstapler.
Devid Striesow, 36, ist in "So glücklich war ich noch nie" einen Hochstapler.

© Mike Wolff

Devid Striesow hat Lady Macbeth gespielt, bei Jürgen Gosch. Was lernt man über Männer, wenn man eine Frau spielt?

STRIESOW: Es bleibt doch: Ein Mann spielt eine Frau, und nicht, ein Mann ist eine Frau. Es ist eine wunderbare Gratwanderung, die sehr ergreifend sein, aber auch in die Farce kippen kann. Gelernt habe ich vor allem etwas über Lady Macbeth. Furchtbares Weib.

KLAUSSNER: Wenn man Rollen spielt, kann man Menschen besser verstehen. Es ist ein Erkenntnisvorgang. Als ich in „Das Weiße Band“ diesen strengen Dorfpfarrer kurz vor dem Ersten Weltkrieg spielte, machte ich das ganz aus dem Bauch heraus, aus meiner Erfahrung in der Familie, in unserer Gesellschaft, in unserem Land. Beim späteren Draufsehen erst wurde mir bewusst, wie furchtbar dieser Mensch ist. Man gibt sich einer Figur hin, ist ganz mit ihr verschmolzen – und dann nimmt man sie mit einem anderen Blick wahr. Ich habe das noch nie so stark erlebt wie hier.

Wie politisch sollte das Kino sein?

HINRICHS: Auch Stoffe, die nicht auf den ersten Blick politisch sind, können politische Folgen haben, weil sie unser Zusammenleben beeinflussen. Das Politischste an „Avatar“ zum Beispiel ist die Szene, in der Sigourney Weaver einen kurzen Moment lang rauchen darf …

KLAUSSNER: Was den deutschen Film angeht, hat sich die Thematik sehr verändert. Zum Beispiel der „Sturm“ von Hans-Christian Schmid über einen Prozess vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, der ist ja auch für den Filmpreis nominiert. Das ist für mich ein Meisterwerk, so privat und so politisch, wie ich es sonst nur von Schiller kenne.

STRIESOW: Ich finde, George Clooney ist ein Vorbild. Er dreht alles Mögliche, produziert aber politisch relevante Filme und zieht in Afrika Hilfsprojekte auf. Meine Frau kommt aus Afrika, unsere unterschiedliche Herkunft führt jeden Tag zu positiven Auseinandersetzung. Für mich ist das Private sowieso politisch.

Das Gespräch führten Christiane Peitz und Christina Tilmann.

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