zum Hauptinhalt

London: Diebe, Clowns und Kopisten

Geld ist nicht alles: Ein Rundgang über die Frieze Art Fair in London.

„The days of this society is numbered“, schreibt Rirkrit Tiravanija, in Kistenschrift und falschem Englisch auf Leinwände, die mit der „New York Times“ beklebt sind. Die Bilder, eines für jeden Tag der Woche, hängen bei Gavin Brown Enterprise und kosten 90 000 Euro. Aber die düstere Prognose verhallt auf der Frieze Art Fair in London ungehört. Mögen die Geschäfte dieser Kunstmesse aktuell etwas langsamer laufen: Klar ist, dass die Tage der Kunst und des Markts noch lange nicht gezählt sind.

„Boom Time für Banker“, stand mit perfektem Timing auf der Titelseite der Times, als sie an diesem Donnerstag wieder ins Zelt im Regent’s Park strömten: die Kunstenthusiasten, die Londoner Schickeria, Sammler von Abramowitsch bis Saatchi, steinalte amerikanische Millionäre in Turnschuhen und Baseballmütze mit glänzend herausgeputzten Frauen. „Nur Kunstberater gibt es weniger, die haben am meisten gelitten“, skizziert Florian Berktold von der Galerie Hauser und Wirth die Lage. Am Stand wurde schon ganz gut verkauft, auch das orangefarbene Großformat der neuen Galeriekünstlerin Ida Applegroom, eine flockig sich auflösende Frauenfigur mit dem Titel „Mona Lisa“, das 325 000 Dollar kostet.

„So wie es war, wird es viele Jahre nicht mehr werden“, weiß Berktold. Experten auf einer Konferenz für Kunstinvestoren erinnerten am Tag vor der Frieze daran, dass es nach dem Kunstmarkt-Einbruch von 1990 ganze 14 Jahre dauerte, bis sich die Preise erholt hatten. Bei Hauser und Wirth bleibt man aber gelassen. „Die Volumen werden geringer sein, Galerien müssen die Kosten drosseln. Dafür haben wir wieder Zeit, mit unseren Kunden über Kunst zu sprechen“.

Auch ein paar Standreihen weiter bei Stuart Shave Modern Art ist die Stimmung gelassen. Farbige Textilbahnen des Postminimalisten Richard Tuttle an der Wand kosten 150 000 Dollar und geben dem Stand vornehme Ruhe. Shave hat bereits an die Sammerlin Ingvild Goetz verkauft. „Die Presse redet gerne von Crash, das ist übertrieben“. Auch er findet Gutes daran, dass die Kunstfreunde wieder unter sich sind.

Manches ändert sich aber doch. Die Gruppe wunderbarer Kugelschreiberzeichnungen von Pawel Althamer für 25 000 Euro bei der Foksal Gallery Foundation aus Warschau scheint plötzlich irgendwie zeitgemäßer als Damien Hirsts Edelstahlvitrine mit chirurgischen Instrumenten und dem Titel „Nacht der langen Messer“, die bei White Cube fünf Millionen Dollar kosten soll und wie ein Relikt aus alten Zeiten wirkt. Hochpreise waren nie die Spezialität der Frieze, bei der es um jüngste Kunst geht. Nun ist sie noch seltener geworden. Kunst wird wieder selbst gemacht und billiger.

Sogar Hirst, der Erfinder der Kunstfabrikation, malt jetzt selbst. Das Messegespräch ist seine Ausstellung von 25 Bildern, die er auf eigene Kosten in der Wallace Collection neben Tizian und Rembrandt edelst installiert hat. Londons Kritiker zerrissen die dünnlich gemalten Arbeiten mit Gusto, freudlose Versuche eines von seinem großen Vorbild Francis Bacon überwältigten Kunststudenten. Ein Schlussstrich unter eine Epoche des Überschwangs, den der Erfinder und Meister der glänzend perfekten Fabrikkunst und des luxuriösen Kunstkonsums nun mit unfreiwilliger Ironie selber zieht.

In die gleiche Kerbe, aber nun mit kritischer Absicht, zielt das „Frieze Project“ der Kalifornierin Stephanie Syjuco. In einem „Parasitenstudio“ werden Messewerke schnell und billig kopiert. Tiravanijas apokalyptische Botschaft war für 399 Pfund schneller verkauft als das Original bei Gavin Brown. Eine schnelle Kopie eines Penck-Gemäldes gab es für 400 Pfund – das Original bei Michael Werner kostete 100 000 Pfund.

Kunst ist Räuberei, oft über Jahrhunderte hinweg. Bei Hauser und Wirth kann man für 120 000 Euro die kleine Bronzeauflage von Subodh Guptas dreidimensionaler Version von Macel Duchamps bärtiger Version von Leonardo da Vincis Mona Lisa kaufen. Galeria Plan B aus Cluj und Berlin hat für 1000 Euro ein kleines Polaroid von Navid Nuur: Es zeigt den Künstler vor einem Buchladen mit einer selbstanklägerischen Schrifttafel vor dem Bauch: „Ich habe in diesem Buchgeschäft Ideen für meine eigene Kunst gestohlen. Ich bin kein Künstler, sondern ein Dieb.“

Der kritische Diskurs über den Kunstbetrieb gehört so unverzichtbar zur Frieze wie die VIP-Lounge der Deutschen Bank. Das ist sich die Messe als Ausgeburt eines Kunstmagazins schuldig, das für rigorose Konzentration auf die Interpretation, nicht den Tanz ums Goldene Kalb bekannt ist. Auch deshalb ist es logisch, dass im Jahre null nach dem Wirtschaftscrash ausgerechnet auf der Frieze wieder entdeckt wird, dass der Spaß an der Kunst nicht nur mit Geld und Gewinn zu tun hat.

In der „Frame“-Sektion der Frieze, wo die Nachwuchsgalerien ausstellen, hat sich Künstler Alan Kane von der Galerie „Ancient & Modern“ kurzerhand der Sammlung seiner Mutter bemächtigt und stellt den Kaminnippes auf musealen Sockeln aus. Wer definiert, was Kunst und sammelwürdig ist? Auf der Frieze jedenfalls steht die Sammlerin und Künstlermutter Mrs. Kane auf Augenhöhe mit den reichsten und am besten beratenen Sammlern der Welt. Aber die Nippesstücke gehen ins Haus Kane zurück, das Werk ist unverkäuflich. „Allenfalls die Sockel könnte man verkaufen. Dann kann jeder seine eigenen Sachen draufstellen“, meint der Künstler lapidar.

Die „Frame“-Sektion mit ihren fast musealen, kuratierten Präsentationen gehört zu den besten Aspekten der Messe in diesem Jahr. Die Galerien mussten mit einem Soloprogramm kommen und wurden von einer Jury ausgewählt. „Dies ist eine wichtige Vergewisserung für die Sammler“, erklärt Galeristin Sassa Trülzsch. Mit dem Frieze-Gütestempel versehen, verkaufte sie auf der Messe Arbeiten von Alexandra Leykauf, von der sie drei 16-mm-Film-Projektionen zeigt, die den Akt des Sehens dramaturgisch auf die Bühne bringen. Auch das Comeback der 16-mm-Technik, an mehreren Ständen gesehen, gehört zur Rückkehr der Kunst zum weniger Glatten, Handgestrickten.

Verdankt sich die „Frame Section“ vor allem der Tatsache, dass Platz zu füllen war? Die Organisatoren betonen, diese Vitaminkur einer ganz jungen und kuratierten Sektion sei schon lange notwendig gewesen. Aber fast 30 Stammgalerien, viele aus New York und Berlin, waren nicht mehr erschienen, wohl weil sie glaubten, in London sei nichts mehr los. Vielleicht war das die falsche Strategie. Der Kunstmarkt, glaubt Art Tactic Analyst Anders Pettersen, „hat wieder Boden unter den Füßen“ und die Frieze scheint es zu beweisen.

Frieze Art Fair, bis 18.10., www.friezeartfair.com

Matthias Thibaut

Zur Startseite