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London: Holzkopf schlägt Schmetterling

Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten: Trotz Wirtschaftskrise erzielen zeitgenössische Kunstwerke auf den Londoner Auktionen Spitzenpreise.

Dem Auktionssaal stockte der Atem. „23 Millionen“, rief Auktionator Jussi Pylkkänen und visierte eine leere Stelle im Saal an, als gäbe es da einen Bieter für Francis Bacons „Triptychon 1974-77“. Die Auktionshäuser hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Moderne- und Impressionistenkunst für 260 Millionen Pfund verkauft und bewiesen, dass Kunst tatsächlich das neue Gold ist. Je wackliger die Wirtschaft wird, desto höher die Preise. Sotheby’s hatte am Abend zuvor einen Auktionstriumph erlebt und allein für 25 deutsche Expressionisten 39 Millionen Pfund eingespielt. Eine Russe bezahlte für Franz Marcs „Weidende Pferde“ einen Rekordpreis von 12,3 Millionen Pfund, fast 17 Millionen Euro. Aber nun schien für einen Moment die Zukunft des Kunstmarkts von diesem Bacon abzuhängen.

Um die 25 Millionen Pfund sollte das letzte der „schwarzen“ Triptychen kosten, in denen der Künstler den Selbstmord seines Freundes George Dyer verarbeitete. Ein düsteres Werk, das 1985 in der Retrospektive der Tate Gallery für den alten Bacon noch als Leihgabe des Künstlers verzeichnet war. Nun hingen die drei Goldrahmen als am höchsten taxiertes Werk, das je in einer europäischen Auktion angeboten wurde, neben dem Auktionator. Wenn dieses wichtigste Werk des Künstlers, das je auf den Markt kam, nicht verkauft würde, käme der Contemporary Markt in seinem Höhenrausch ins Trudeln.

Das erlösende Gebot kam von einem im Saaleingang versteckten Unbekannten.23,5 Millionen. Sein erstes und letztes Wort. Die in die Ecke gedrängten Journalisten sahen sich ratlos an. Einige hatten vor der Auktion auf einen Zuschlag von über 40 Millionen Pfund gewettet. Als der Hammer fiel hatte das Werk den Rekord um umgerechnet 150 000 Dollar verfehlt, auch wenn es, mit Aufgeld nun 26,3 Millionen Pfund oder 35 Millionen Euro kostet und das teuerste Nachkriegswerk ist, das je in Europa versteigert wurde.

Es war ein sensationeller Preis für Bacon und nach all dem Hype doch eine Enttäuschung. Christie’s Ergebnis lag an diesem Abend mit 79 Millionen Pfund auf Höchstniveau. Aber nur 37 von 54 angebotenen Werken wurden verkauft. Gerhard Richters Fotomalerei „Zwei Liebespaare“, eine Hommage an die kleinbürgerliche Aufbruchsstimmung in Deutschland, die von der bunten, fröhlichen Popwelt der Amerikaner nicht weiter entfernt sein könnte, war einem amerikanischen Sammler die Rekordsumme von 7,3 Millionen Pfund wert. Doch die Hälfte der vor dem Richter-Bild versteigerten Lose war zurückgegangen.

Das monumentale, rote „Concetto spaziale“ mit senkrechtem Schlitz, dem Lucio Fontana liebevoll den Namen seiner Frau Teresita gab, verdoppelte den Höchstpreis des Künstlers auf 6,7 Millionen Pfund. Aber alles, was in dieser Auktion nicht die Aura klassischer Beständigkeit besaß, musste Federn lassen. Routinewerke von Warhol, Hirst, Tàpies gingen zurück. Arbeiten von Tom Wesselmann, Roy Lichtenstein, Richard Prince wurden unter der Schätzung verkauft. Von sieben Gerhard Richter-Werken fanden nur drei einen Käufer. Der Appetit auf Kunst ist stark, aber es wir nicht mehr um jeden Preis gegessen. Die Stimmung schlägt um. Statt spekulativer Preistreiberei beginnt die Suche nach Wert und Beständigkeit. „Die Preise können nicht jedes Jahr um 50 Prozent nach oben gehen“, so Christie’s-Sprecherin Cathy Mason an. Damit war in dieser Woche die alte Hierarchie der Werte wieder hergestellt.

Kunst der großen Aufbruchsperiode des frühen 20. Jahrhunderts liegt wieder vorn. Sotheby’s Moderne-Abendauktion übertrumpfte mit 117 Millionen Pfund für nur 67 Lose die Umsätze aus drei Contemporary-Katalogen von Christie’s. Acht Werke erzielten in den Abendauktionen mit Moderner Kunst mehr als 5 Millionen Pfund. Jawlenskys glühende „Schokko mit Tellerhut“ verdoppelte ihren eigenen Rekord von 2003, Renoirs klitzekleine Zweitversion der Impressionistenikone „La Loge“, für die Kasinobesitzer Steve Wynn einmal 12,5 Millionen Dollar bezahlte, worauf alle ihn für verrückt hielten, kostete nun in Dollar 14,6 Millionen. Ein Ehepaar, angeblich aus der Schweiz, ersteigerte ohne mit der Wimper zu zucken gleich zwei Dora Maar-Porträts: Bei Christie’s zahlten sie 5,7 Millionen Pfund für eine bräunliche Version, die 2002 in New York nicht einmal den Mindestpreis von 2 Millionen Dollar geschafft hatte, dann bei Sotheby’s 7,4 Millionen für die kraftvollere Version, die von den Berggruen-Erben aus dem Berliner Museum abgezogen worden war. Und wer hätte geglaubt, dass ein von Karl Schmitt-Rottluff grob zurechtgehackter Holzkopf aus dem Nachlass des Künstlermäzens Wilhem Niedermeyer 1,5 Millionen Pfund kosten würde – mehr als eines der gefeierten Schmetterlingsbilder von Damien Hirst.

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