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Das Role Model Lorde gewann mit 16 Jahren ihren ersten Grammy.

© Marta Perez/Imago

Lorde in Berlin: Fehler im System

Die Neuseeländerin Lorde irritiert den Popbetrieb: Im Berliner Tempodrom balanciert sie zwischen Melancholie und Euphorie.

Von Andreas Busche

Dem adoleszenten Gefühl, von der Welt nicht verstanden zu werden, verdanken wir einige der größten Pop-Momente. Weil da draußen natürlich unzählige gequälte Teenagerseelen existieren, die in dem diffusen Bewusstsein leben, nirgendwo dazuzugehören. Die gerade erst 20-jährige Ella Yelich-O’Connor hat für diese fragilen Gemütszustände genau die richtige Botschaft: Scheiß auf Gruppenzwänge und Konformitätsdruck, mehr authentische, intensive Gefühle, die manchmal eben auch wehtun müssen – ohne dass man verstehen würde, warum eigentlich. Sehnsucht nach bedingungslosem Leben ohne Kompromisse, die Konsequenzen tragen wir später.

Yelich-O’Connor, bekannt unter dem Namen Lorde, lieh dem Lebensgefühl der „Loveless Generation“ vor vier Jahren mit ihrem unverschämt erfolgreichen Debüt „Pure Heroine“, das das Versprechen mädchenhaften Pathos’ und selbstzerstörerischer Verschwendung einlöste, ihre markante Stimme und klang dabei so weise und abgeklärt, als wäre ihr älteres Selbst geradewegs aus der Zukunft zurückgekehrt, um eine ganze Teenager-Generation vor der emotionalen Verwahrlosung zu bewahren.

Besonders wirkungsvoll sind Pop-Momente eben, wenn sich aus so solchen unsichtbaren Allianzen aufrichtige Solidarität schmieden lässt. Lorde schrieb noch einen Hit für die vielleicht größte Mädchen-Ikone der Gegenwart, die Rebellin Katniss Everdeen aus „Die Tribute von Panem“, und wurde danach selbst so etwas wie eine Ikone für junge Frauen – viele von ihnen deutlich älter als sie selbst.

Kein gewöhnliches Pop-Konzert

Am Sonntag machte Lorde ihrer Gefolgschaft im ausverkauften Tempodrom ihre Aufwartung, und auch wenn die junge Neuseeländerin mit ihrer minimalistischen Bühnenshow alles tat, diesem Eindruck entgegenzuwirken: Es war mehr als ein gewöhnliches Pop-Konzert. Die Bandbesetzung besteht aus der an sich unspektakulären Konstellation Schlagzeug, Gitarre und Keyboards, im Hintergrund prangte die Leuchtschrift „Melodrama“ (der Titel ihres zweiten Albums), den Rest der Bühne teilt sie sich mit Bruce- Nauman-artigen Neonröhren-Installationen und zwei Tänzerinnen. Aber das Publikum lässt ihr keine Chance, sich lediglich auf die Rolle des Popstars zu berufen, Lorde wird von ihren Fans wie ein role model gefeiert.

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Die Voraussetzungen, als weiblicher Popstar mit „coolem“ Wissen den Mainstream zu erobern, waren ja – zwischen Beyoncé, Miley Cyrus und Ariana Grande – noch nie so gut wie im Moment. Mikrogenres besetzen die Popmusik vom Rand her, die Produktionsmittel sind in Zeiten von Pro Tools und Ableton allseits verfügbar und die Musikgeschichte liegt abrufbereit auf Musikplattformen. Der Rest ist nur noch eine Frage des Geschmacks und hier erweist sich Lorde auch als Stilikone an den Schnittstellen von Pop und Avantgarde – leider immer noch der große Scheinwiderspruch im Pop-Diskurs.

Phil Collins und Dubstep

Lorde dagegen kann sich als Fan von Phil Collins outen und gleichzeitig das britische Post-Dubstep-Duo Disclosure covern. Oder ihr Stück „Buzz Season“ mit einem handgespielten Xylophon-Solo einleiten und im letzten Drittel ihres Sets, nach drei eleganten, aber nie übertrieben extravaganten Kostümwechseln, die erschöpfte Melancholie auf „Melodrama“ in die pulsierende Euphorie einer After- Hour-Party kippen lassen. Es spricht für die kluge Dramaturgie ihres Auftritts, den offiziellen Teil mit der bassdruckgesättigten Club-Hymne „Green Light“ zu beschließen und für die Zugabe mit der akustischen Kate-Bush-Hommage „Writer In The Dark“ zurückzukommen.

Überhaupt ist die Show perfekt durchkonzipiert. Lorde beherrscht kokett die Rolle des „kleinen Mädchens aus Neuseeland“, wie sie sich zwischen zwei Songs einmal nennt, sowie die des globalen Superstars, dem die Crème de la Crème des zeitgenössischen High-End-Pop zu Diensten steht. Immer wieder sucht sie die Nähe zum Publikum. Die Motivationsansprache vor der Piano-Ballade „Liability“ („Mädchen, seid ihr selbst!“) muss man ihr einfach abnehmen, wenn sie zwischendurch vor ungebremster Emphase die stimmlichen Register wechselt, von rau zu kieksend. Die Show überzeugt mit einer ausgeklügelten Geometrie, von den über die Bühne wandernden Neon-Objekten bis zu den symmetrischen Tanz-Choreografien. Alles ist fein aufeinander abgestimmt. Der strenge Rahmen ist notwendig, weil zwischen den Fixpunkten eben noch dieser 20-jährige Derwisch über die Bühne fegt: der glitch in einer perfekten Inszenierung, der sich Lorde dann doch nicht unterordnen mag. Wenn man so will, ist Lorde das schönste Störsignal im aktuellen Hochglanz-Pop.

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