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Kultur: Lotterleben und Überleben

FOTOGRAFIE

Wie saß es sich eigentlich in einem Stahlrohrstuhl von Mies van der Rohe, anno 1932? Nicht gut. Das Bauhaus musste nach Berlin umziehen, weil die Nazis Dessau schon im Griff hatten. Elsa Thiemann (1910-1981) und ihr Verlobter Hans, beide Bauhaus-Absolventen aus der Dessauer Zeit, haben sich gegenseitig im elegant geschwungenen Sitzmöbel fotografiert. Sie wirkt auf demonstrative, fast trotzige Weise entspannt. Er düster und verkrampft. Ein Zeichen der Zeit in der Schau „Elsa Thiemann: Foto grafin“ im Berliner Bauhaus-Archiv mit über hundert bisher nie ausgestellten Fotos aus den Jahren 1930 bis 1960 (Klingelhöferstr. 14, bis 6. Juni, Mi-Mo 10-17 Uhr). Weitere Doppelporträts zeigen ein glückliches Studentenpaar in Dessau (1930), ein in Kleidung und Habitus alarmierend der Zeitstimmung angepasstes Duo nach 1933 und das wie befreit sich im Liegestuhl sonnende Ehepaar um 1950. Zehn Jahre später gab Elsa Thiemann ihren Beruf als Werbe- und Reportagefotografin auf. Überhaupt machte sie nicht viel Aufhebens um ihre Leidenschaft, warf vieles weg. Schade, hielt die Berlinerin doch Geschichte fest – geschult am Blick der Neuen Sachlichkeit: Das „heile“ Berlin vor Hitler und danach in Trümmern. Vom Ungeist dazwischen gibt es wenig zu sehen, obwohl Thiemann irgendwann nach 1933 einen antisemitischen Spruch am Potsdamer Stadtschloss bemerkte – im Werk eine Ausnahme. Die Bilder aus NS-Zeiten erinnern an die „innere Emigration“ eines Helmut Käutner, Film geworden in dessen „Unter den Brücken“ (1945). Schon 1936 dokumentierte Elsa Thiemann das wohltuend lotterige Leben auf den Schleppkähnen. Abseits der Politik.

Jens Hinrichsen

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