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Kultur: Luise Rinser: Das Abenteuer der Tugend

Sie habe Angst vor der politischen Stimmung im Land, die sie zunehmend an ihren politischen Hoffnungen und Zielen nach 1945 zweifeln ließe. "Wozu waren wir eigentlich während des Dritten Reiches im Widerstand?

Sie habe Angst vor der politischen Stimmung im Land, die sie zunehmend an ihren politischen Hoffnungen und Zielen nach 1945 zweifeln ließe. "Wozu waren wir eigentlich während des Dritten Reiches im Widerstand? Wir haben dafür gesorgt, dass Deutschland für das Ausland trotz des Nazifaschismus noch positive Züge behalten hat. Jetzt frage ich mich, war ich nicht, wenn ich auf der realpolitischen Ebene denke, ausgesprochen töricht?" Dieses Bekenntnis stammt aus einem Hintergrundgespräch mit Luise Rinser, das im Oktober 1977, ein Tag nach der Geiselbefreiung in Mogadischu, stattgefunden hat. Vorausgegangen war die "Gerlinger Affäre", als die Schriftstellerin aufgrund rechtsradikaler Drohungen an einer Lesung gehindert wurde, nachdem das Magazin "Quick" Rinser beschuldigt hatte, im Jahre 1970 die Terroristen Ensslin und Baader beherbergt zu haben.

Dass sich 25 Jahre später ein Bundesaußenminister wegen einer vermeintlich ähnlichen "Verfehlung" in einer Beichtstunde vor dem Bundestag verantworten muss, scheint der seit den 60er Jahren in der Nähe von Rom lebenden Autorin im nachhinein Recht zu geben. Eine sicher ungewollte Wirkung dieser Denunziation war es , dass der bis dahin zwischen "christlicher Erbauungsliteratin" und "Volksschriftstellerin" gehandelten Rinser plötzlich ein Interesse entgegenschlug, das ihre vielfältigen Werke bis dahin nicht auszulösen vermochten.

Zwar erlebte ihr ursprünglich 1941 entstandener, von den Nazis verbotener Roman "Die gläsernen Ringe" nach dem Krieg mehrere Auflagen, wurde vielfach übersetzt; zwar wurde "Mitte des Lebens" (1950) ein Bestseller; doch weder diese noch heute mit Gewinn zu lesende Emanzipationsgeschichte, die in "Daniela"(1953), "Abenteuer der Tugend" (1957) oder, viel später,"Mirjam" (1983) thematische Anschlussstellen fanden, waren geeignet, das Kritiker-Vorurteil gegenüber einer um Geld schreibenden Frau ohne Vermögen und Lobby zu entkräften.

Als Mitbegründerin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und Publizistin, die sich stets weigerte, die DDR in Anführungszeichen zu setzen, bewegte sich Luise Rinser nach 1945 zwar immer in antifaschistischen Kreisen, doch sie trat in den meinungsmachenden literarischen Zirkeln wie etwa der "Gruppe 47" nicht profiliert in Erscheinung. Das liegt zum einen ganz sicher an Rinsers offensichtlichem Desinteresse an formal-literarischen Innovationen; zum anderen auch - wie sich aus der Biographie Ingeborg Bachmanns rekonstruieren läßt - am Umgang der männlich-literarischen Milieus mit Autorinnen generell.

Erst die Atmosphäre "reinlicher Scheidung" in Freund und Feind des "Deutschen Herbstes" war geeignet, das kritische Christentum, das die am 30. April 1911 bei Landsberg an der Lech geborene und katholisch geprägte Autorin seit Anfang der sechziger Jahre ausgebildet hatte, neuen Bündnispartnern zu öffnen. Insofern profitierte Luise Rinser auch von der aufkommenden Frauenbewegung, der sie umgekehrt mit ihrem früh an weiblicher Emanzipation interessiertem Werk Impulse hätte geben können - wäre es denn innerhalb dieses Klientels damals rezipiert worden. Als die Grünen Luise Rinser 1984 als Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin kürten, war dies nicht nur Reminiszenz an die vielfach bewiesene Zivilcourage der Schriftstellerin, sondern auch ein Signal für die Frauen. Und für jene rechtsradikalen Kreise, die nicht abließen, Luise Rinser Dreck nachzuwerfen.

Luise Rinser hat den sekundenlangen Augenschlag der einstigen Volksschullehrerin mit den Nationalsozialisten, der in krassem Gegensatz zu ihrem Engagement zu stehen scheint und sie 1944 wegen Hochverrat sogar ins Gefängnis brachte, stets vehement bestritten. Sei es aus Furcht um ihre politische Integrität oder weil sie glaubte, ihr Leben und Werk spreche sie auch ohne "Beichte" frei: Auffällig darin ist jedenfalls, dass die antithetische "Ordnung der Dinge", die noch die frühen Texte prägt, später, etwa im Roman "Der schwarze Esel", aufgelöst wird zugunsten einer differenzierteren Sicht, die den Figuren Irrtum und Korrektur zugesteht.

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