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Kultur: Lukullus

LESEZIMMER Rainer Moritz erholt sich von der Leipziger Buchmesse Sie sehen mich ermattet. Eine Buchmesse ohne unangenehme Nachwirkungen für Körper und Seele zu überstehen, ist nicht leicht.

LESEZIMMER

Rainer Moritz erholt sich von der Leipziger Buchmesse

Sie sehen mich ermattet. Eine Buchmesse ohne unangenehme Nachwirkungen für Körper und Seele zu überstehen, ist nicht leicht. Von Frankfurt und seinem hektischen Durcheinander will ich nicht reden, von all diesen wildfremden Menschen, die einen zu kennen glauben, und von den unzähligen, noch fremderen Büchern, die ich nicht kennen will. Nein, ich war letzte Woche in Leipzig, auf der gemütlichen Veranstaltung im Leseland, wo man an einem Tag alle Verlagsstände bequem abgehen und so Kräfte für die etwa 812 Lesungen sparen kann, die die Stadt in Atem halten.

Jetzt bin ich erschöpft und möchte nichts mehr von Christoph Hein, den sich das Feuilleton neuerdings als Grass- und Böll-Erben ausgeguckt hat, Juli Zeh, Jeffrey Eugenides oder Gerhard Zwerenz lesen und hören. Um mich von diesen Herausforderungen zu erholen, greife ich zu zwangloser Lektüre, tauche ein in publizistische Welten, die auf keiner Buchmesse je eine Rolle spielen: Ich lese „Lukullus“, die großartige Kundenzeitschrift der Fleischer-Fachbetriebe. Dieses Blatt schätze ich seit Urzeiten, seit jenen Kindertagen, da ich an Mutters Hand mit in die Metzgerei durfte, von Frau Specht ein „Rädchen“ Wurst in die Hand bekam und zu Hause gleich nach dem kostenlosen „Lukullus“-Heftchen griff, um mir die Witzseite zu Gemüte zu führen.

„Lukullus“ erinnert an den römischen Kriegsherrn Lucius Lucullus, der seinen Nachruhm weniger dem Geschick auf dem Schlachtfeld als seinen üppigen Gastmählern verdankt, und besteht seit über 50 Jahren. Damals, so belehrt mich ein Editorial vom vergangenen Mai, hatte Frau Trude Zaeck-van Heel eine „Vision“ und dachte sich eine Zeitschrift aus, die Kundenbindung schaffen und den allmählich zu Geld kommenden Nachkriegsdeutschen die Unverzichtbarkeit von Schwartenmagen, Fleischwurst und Rinderleber nahe bringen sollte.

In über 600000 Exemplaren wird „Lukullus“ allwöchentlich gedruckt. Hauptzielgruppe ist die „haushaltführende Frau“, die über Reife und Versiertheit am Herd verfügt, also nicht diese jungen Dinger, die froh sind, wenn sie ein kalorienarmes Fertiggericht heil auf den Tisch kriegen. Die Botschaft, die uns die im reizvollen Stockelsdorf (Stadtteil Eckhorst) sitzende Redaktion zu vermitteln hat, ist einfach: Fleisch und Wurst sind prima, gesund, energiespendend, eigentlich durch nichts zu toppen und sollten zwei- bis dreimal (etwa als leckerer „Wurstgratin“) am Tag ohne Reue genossen werden.

Um diese Erkenntnis an die kochende Frau zu bringen, lassen sich die „Lukullus“-Leute manches einfallen: Sie verpacken ihre Lehre vom Anti-Vegetarismus dekorativ, bieten Wellness- und Reisetipps, geben Anregungen, wie man seinem Liebsten sagt, dass er der Liebste ist („Für den Partner einen Baum pflanzen“), drucken Romane wie Sándor Márais „Wandlungen einer Ehe“ ab und geben der fleischeslustigen Köchin in der Garperiode Gelegenheit, ihr Horoskop zu studieren oder Kreuzworträtsel („Fleisch vom Bratrost mit acht Buchstaben“) zu lösen.

Die Zivilisationskrisen der letzten Jahre sind auch an „Lukullus“ nicht spurlos vorübergegangen. Schweinepest, Rinderwahnsinn – das trifft Tatarenthusiasten empfindlich, und selbst der stiernackigste Haxenkonsument musste erkennen, dass es vom gesundheitlichen Standpunkt aus gesehen Argumente für den Genuss einer gemüsebetonten Mahlzeit gibt. „Lukullus“ hat diese Bedrohungen ausgesessen und lässt Kompromissbereitschaft erkennen: Der moderne Fleischesser wird mit kompensierenden Gesundheitsratschlägen versorgt, für die der aus Film, Funk und Fernsehen bekannte Professor Bankhofer zuständig ist, ein einfühlsamer Arzt, der dem in der Damenwelt wohlgelittenen Dieter Kürten ähnelt.

Man sieht: „Lukullus“, die letzte Bastion der unhinterfragten Fleischverehrung, hat viel zu bieten. Ich selbst bevorzuge die Kolumne „Ich esse gern FLEISCH, weil ...“, die auskunftsbereiten Lesern die einmalige Chance gibt, sich selbst und ihre famose Begründung gedruckt zu sehen (und dafür satte 20 Euro einzusacken, die sich mühelos in anderthalb Kilo Schmorbraten investieren lassen). Wolfgang Mork aus Hessisch Oldendorfburg zum Beispiel nimmt gern Fleischprodukte zu sich, „weil es mich super happy macht“, während sich Leserin Erika Verwey aus Essen differenzierter äußert: „weil es meinem Gaumen und meiner Seele gut tut“.

Ich bin sehr froh, dass es „Lukullus“ immer noch gibt und dass dieses „Feinschmecker-Journal“ auch seinen unvermeidbaren Relaunch überstanden hat. Und wenn ich alle Hefte, die meine Mutter für mich sammelt, ausgelesen habe, greife ich zur „Bäckerblume“, die nahezu die gleichen Inhalte (nur mit Obsttorte statt Schweinemedaillons) aufbereitet. Auch dies übrigens eine Vision von Frau Trude Zaeck-van Heel.

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