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Kultur: Lulu, tiefergelegt

Die Schattenmänner: Michael Thalheimers Wedekind-Quickie mit Fritzi Haberlandt am Thalia Theater Hamburg

„Ich muss einen Scherz machen“, sagt einer der Kerle und reißt sich die Hose runter. Ein kleiner Scherz allerdings – und so geht das weiter. Wenn sie Lulu sehen, ziehen sie blank. Kurzer, freudloser Sex auf leerer Bühne. Kurzer Prozess mit der mythenbeladenen „Monstretragödie“ von Frank Wedekind: Nach knapp zwei Stunden ist am Thalia Theater alles vorbei. Hamburg hat eine neue Lulu. Zugerichtet und durchgezogen von Michael Thalheimer, der Lulus Männchen nicht einmal Zeit lässt, anständig abzutreten. Ein Schlag, ein Schuss: Hier wird im Sitzen gestorben. Kann auch sein, dass die Leichenstarre schon vor dem Exitus einsetzt. Alles muss wahnsinnig schnell gehen. Das Publikum kichert. Wer sich mit Wedekinds Riesenstück – der Skandaldichter schlug sich von 1892 bis 1913 damit herum – nicht so auskennt, findet im Programmheft eine Zusammenfassung der Geschichte. Sie machen es im Stehen und sterben in aufrechter Sitzhaltung, und Lulu: macht einen Schritt zur Seite. Sie bekommt nichts von diesen Männern, und sie hört nicht auf damit.

Michael Thalheimer ist unter Deutschlands Regisseuren der preußischste. Zackig, ein strenger Choreograf, ein Stückeschleifer. Er legt Klassiker tiefer wie alte Autos. Diese „Lulu“ ist im Grunde erst sechzehn Jahre alt. 1988 war es Peter Zadek, der am Deutschen Schauspielhaus Hamburg die lange unterdrückte Wedekind’sche Urfassung triumphal in Szene setzte. Auch Thalheimer arbeitet mit dem ursprünglichen Text: schraubt alles ab und jagt den Motor hoch. Nein, kein Vergleich! Es hat sich in den anderthalb Jahrzehnten zwischen diesen „Lulu“-Inszenierungen im Theater und in der Welt drumherum sowieso alles geändert. Nur so viel sei gesagt: Damals war Lulu, „Die Büchse der Pandora“, war Susanne Lothar nackt auf der Bühne, so souverän splitternackt wie keine Schauspielerin zuvor oder danach. Und jetzt hoppeln die Büchsenöffner um die Frau herum, der jeder einen anderen Namen aufdrückt: Eva, Mignon, Lulu.

Oder Fritzi. Fritzi Haberlandt. Immer im kurzen Kleid, mit Strümpfen und Pumps. Schmerzhaft schmal, wie eine Balletttänzerin. Mit ihren Katzenaugen, ihrem Kindermund und dem kräftigen Kinn, in dem ihre unglaubliche Energie zu stecken scheint. Sie wechselt die Körperhaltung wie ein Chamäleon die Farbe. Eine Projektionsfläche für Männer und für Frauen. Das demonstriert aber auch schon Olaf Altmanns Bühnenbild. Eine riesige weiße (Lein-)Wand, die sich langsam von der Brandmauer an die Rampe schiebt, mit den großen Schatten der Schauspieler, die sich klein machen, ärgerlich klein.

Ausgerechnet in diesem Ur-Drama des Geschlechts (nicht: der Geschlechter) zeigt sich Thalheimers Regie prüde und kalt. Thalheimer hat (Nina Hoss und Regina Zimmermann in der Berliner „Emilia Galotti“!) Frauen so aufregend schön inszeniert, dass die Luft brannte. Hier nicht. Hier regiert das Konzept: Hirnlose Männer, ob sie Norman Hacker (Lulus Ehemann Dr. Schöning), Felix Knopp (Schönings Sohn Alwa) oder Hans Löw (der Maler Schwarz) heißen, auf Crash-Kurs mit einer Weiblichkeit, die sich dünne macht. Bald empfindet man mit Lulu nur Mitleid.

Der Grundton der Aufführung bleibt kalte Hysterie. Keiner hält es aus in seiner Haut. Die lesbische Gräfin von Geschwitz, auch sie Lulu verfallen, wird immer gern von den Regisseuren verspottet. Leider auch von Thalheimer. Maren Eggert hat ein aufregendes Entree; eine erwachsene Frau, endlich. Ebenso fix ist sie verschwunden. Und kommt wieder als Wrack.

Lulus Passion gehört zum Schwierigsten auf dem Theater. In ein paar Wochen werden wir an der Schaubühne Anne Tismer in der Rolle erleben, Thomas Ostermeier führt Regie. Thalheimer hat vorgelegt: einen Quickie mit albernem Ende. Lulu auf dem Strich, ihre Freier: Vollidioten. Nur ihr Mörder, Jack the Ripper, darf in Ruhe zustoßen. Schlimm, dass man auf den Moment wartet.

Rüdiger Schaper

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