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Kultur: Lust an der Synkope

"Amerika-Paris" mit Solisten des DSO im KammermusiksaalVON ALBRECHT DÜMLINGDie Faszination ging damals von beiden Seiten aus.Das kriegsmüde Europa blickte um 1920 neidisch auf die naive Lebensfreude, die mit der amerikanischen Tanzmusik hineinströmte.

"Amerika-Paris" mit Solisten des DSO im KammermusiksaalVON ALBRECHT DÜMLINGDie Faszination ging damals von beiden Seiten aus.Das kriegsmüde Europa blickte um 1920 neidisch auf die naive Lebensfreude, die mit der amerikanischen Tanzmusik hineinströmte.Umgekehrt besaßen die Kulturtraditionen der Alten Welt auch für Amerikaner Anziehungskraft.In Paris, dem Hauptschauplatz für solchen Kulturtransfer, ließen sich so unterschiedliche Persönlichkeiten wie der Amerikaner George Antheil, der Tscheche Bohuslav Martinu und die Franzosen Darius Milhaud und Maurice Ravel von Jazzrhythmen anstecken.Gemeinsam frönten sie der Lust an der Synkope sowie dem Drang zum Populären.Auch beim heutigen Publikum gibt es ähnliche Neigungen, die aber offenbar auf bekannte Namen wie Gershwin oder Piazolla angewiesen sind.Nur wenige Musikkenner ließen sich durch das reizvolle, gänzlich unakademische Programm zum Besuch dieses DSO-Kammerkonzerts verleiten.Wo sonst hört man schon Milhauds Ballettmusik "La Création du monde", eine der wegweisenden Partituren dieses Jahrhunderts, in der Klavierquintett-Fassung des Komponisten? Zur Romance, die Gershwins "Summertime" vorwegnimmt, paßte die Streicherbesetzung nicht übel.Bernhard Hartog, Isabel Grünkorn, Igor Budinstein und Andreas Grünkorn konnten aber auch in der Fuge die Blues-Intonation und im Scherzo die rhythmische Schärfe der Bläser mit Erfolg nachahmen.Noch exzentrischer als Hindemith und Schulhoff setzte sich in Paris damals George Antheil als enfant terrible in Szene.Man braucht eine gehörige Portion schrägen Exhibitionismus, um seine Sonate Nr.2 für Violine und Klavier zu spielen.Bernhard Hartog und die an diesem Abend vielbeschäftigte Sevimbike Elibay brachten genügend Elan mit, um dieses knallbunte Kaladeiskop aus massiven Synkopen, krassen Glissandi und Foxtrott-Rhythmen wirkungssicher zu präsentieren.Erst im liedhaften Epilog, von Bongo-Trommeln begleitet, trat Subjektivität an die Stelle maschinenhafter Mechanik.Gegenüber der frechen Originalität dieser Violinsonate wirkte Antheils späte Trompetensonate, von Falk Jaeger mit Anstand geblasen, nur noch epigonal.Als substantieller erwiesen sich die "Quatre visages", musikalische Frauenporträts, die Milhaud 1943 aus der Exilperspektive zeichnete.Der herausragende Igor Budinstein fand hier elegische Bratschentöne für "Die Brüsselerin", während er die "Pariserin" lebhaft und leicht gestaltete.Amerika brachte die Synkope in die Musik der zwanziger Jahre, Europa dagegen den Kontrapunkt.Wie gut beides zusammenging, zeigte der flotte Charleston in Martinus "Revue de la cuisine".Sogar der Klangzauberer Ravel besann sich damals asketisch auf kontrapunktische Linien.Die Geschwister Isabel und Andreas Grünkorn brillierten in diesem musikalischen Kabinettstück vor allem im Kopfsatz, zeigten sonst im ausgeglicheneren Spiel des Cellisten und der größeren rhythmischen Prägnanz der Geigerin aber auch unterschiedliche Temperamente.

ALBRECHT DÜMLING

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