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Devotionalie eines Aufsteigers. Martin Luthers Siegelring in der Ausstellung „Luther und die Fürsten“ auf Schloss Hartenfels.

© dpa

Luther und die Fürsten: Kampf mit neuen Medien

Die erste Großausstellung zum Reformationsjubiläum 2017 untersucht in Torgau Luthers Verhältnis zur Macht. Er forderte den Kaiser und die Fürsten heraus, aber ohne die Unterstützung eines Fürsten hätte er den Kirchenkampf nicht überlebt.

Das „weltliche Recht“ solle „gelten, weil das Evangelium nicht wider das weltliche Recht lehret“, hat Martin Luther geschrieben, und so ist uns der Reformator überliefert, als der wortmächtige Verteidiger der weltlichen, zu seinen Zeiten mithin fürstlichen Gewalt. Dieses Luther-Bild ist ebenso richtig wie falsch. Richtig, weil Luther tatsächlich all die Schriften zur Legitimierung fürstlicher Herrschaft verfasst hat, und falsch, weil es den Kontext ausblendet, den der Begründung, Durchsetzung und Festigung der Reformation. So ungeplant sie entstand, so sehr bedurfte sie bald darauf des landesherrlichen Schutzes, um überhaupt bestehen zu können angesichts der übermächtigen Gegnerschaft von katholischer Kirche und römisch-deutschem Kaiser.

Genau davon handelt die Ausstellung „Luther und die Fürsten“, deren Untertitel präzisiert: „Selbstdarstellung und Selbstverständnis des Herrschers im Zeitalter der Reformation“. Keinen besseren Ort könnte es für dieses Thema geben als Schloss Hartenfels im sächsischen Torgau, gewissermaßen die Schaltzentrale der Reformation im Stadium ihrer frühen Ausbreitung. Von Hartenfels aus, wo die sächsischen Kurfürsten aus der Linie der ernestinischen Wettiner nach der Teilung Sachsens 1485 ihren Hauptsitz nahmen und ihre Kanzlei, mithin ihr Verwaltungszentrum, unterhielten, wurde die Reformation zur Staats- und Verwaltungsangelegenheit. Mit Blick auf das Wechselverhältnis von Luthers persönlicher Ausstrahlung und der Institutionalisierung der Reformation könnte man, Max Weber folgend, von der „Veralltäglichung des Charismas“ sprechen.

Die Ausstellung präsentiert 250 Objekte

Um diese historischen Schichtungen geht es der Ausstellung, die von hohem intellektuellen Reiz ist und als „Erste Nationale Sonderausstellung zum 500. Reformationsjubiläum“ den Maßstab setzt, an dem die Folgeprojekte insbesondere im eigentlichen Jubiläumsjahr 2017 gemessen werden. Ausgerichtet wird die Torgauer Ausstellung von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – was insofern von historischer Ironie ist, als Dresdens zu Königen erhobene Herrscher aus machtpolitischem Kalkül katholisch wurden. Aber das ist eine spätere Geschichte.

Man wird empfänglich für solche Feinheiten, wenn man die Ausstellung mit ihren 250 Objekten durchstreift. Ihr Ort ist zugleich das größte und bedeutendste Objekt: das Schloss selbst, in seiner jetzigen Gestalt ab 1485 erbaut von und für die drei Kurfürsten Friedrich den Weisen, Johann den Beständigen und Johann Friedrich den Großmütigen. Es ist eines der bedeutendsten Zeugnisse der Renaissance nördlich der Alpen, mit jener für deutsche Lande typischen Zeitverzögerung, die sich stilistisch in der gleichzeitigen Anwendung spätgotischer und frührenaissancistischer Bau- und Schmuckelemente zeigt. Erst im vergangenen Jahr konnte die Restaurierung des bedeutendsten Baugliedes, der Wendelstein genannten, in den 1530er Jahren errichteten Treppe, abgeschlossen werden.

Torgau konnte nie an seine Glanzzeit im 16. Jahrhundert anschließen

Mit der Kurwürde hatte es dann aber bald ein Ende. Der Schmalkaldische Bund, das Schutzbündnis der protestantischen Fürsten im Reich, erlitt gegen Kaiser Karl V. in der Schlacht im unweit gelegenen Mühlberg 1547 eine verheerende Niederlage, in deren Folge der Kaiser die Kurwürde von der ernestinischen auf die albertinische Linie der Wettiner übertrug. Das Land verlor fast die Hälfte seiner Fläche und sank in die politische Bedeutungslosigkeit hinab. Heute gehört Torgau zu Sachsen, nachdem es lange Zeit preußisch war. An seine Glanzzeiten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts konnte die Stadt nie mehr anknüpfen.

Die Ausstellung zeigt faszinierende historische Charaktere

Devotionalie eines Aufsteigers. Martin Luthers Siegelring in der Ausstellung „Luther und die Fürsten“ auf Schloss Hartenfels.
Devotionalie eines Aufsteigers. Martin Luthers Siegelring in der Ausstellung „Luther und die Fürsten“ auf Schloss Hartenfels.

© dpa

Das macht sie aber aus heutiger Sicht interessant, weil sie ein Kleinod der Renaissance-Architektur in Deutschland geblieben ist, ohne in späteren Zeiten überbaut zu werden. Über 500 Bauten aus der Zeit sind erhalten. Die Reformation, das macht die Ausstellung deutlich, konnte nur diese rasante Verbreitung erreichen, weil sich zwei Umbrüche zur selben Zeit vollzogen. Das eine ist die mediale Revolution, durch die erstmals größere Teile der Bevölkerung an Informationen aus erster Hand teilhaben konnten. Flugblätter überschwemmten geradezu das Land, bildkräftig gestaltet für die große Mehrheit der Analphabeten. Alle Seiten bedienten sich der neuen Medien, die die bis dahin vorherrschende Bildpropaganda durch Altarbilder in den Kirchen ablöste und völlig neue Maßstäbe der Informationsgeschwindigkeit setzte.

Der andere, politische Umbruch ist der Kampf der Fürsten gegen den Kaiser. Der zog von Feldzug zu Feldzug, musste überall eingreifen und hatte es mit ständig wechselnden Koalitionen mal für, mal gegen ihn zu tun. Das große, unausleihbare Reiterporträt Tizians aus dem Madrider Prado zeigt Karl V. als Sieger von Mühlberg in vollem Harnisch der Art, von der die Dresdner Rüstkammer einige in die Ausstellung gegeben hat.

Ja, und? Acht Jahre nach diesem Triumph musste Karl in den Augsburger Religionsfrieden einwilligen, der die Landesherren zur obersten religiösen Autorität in ihren Besitzungen machte. „Wes die Herrschaft, des die Religion“, wie man auf dem hier gezeigten Original, reich behängt mit Siegeln, lesen kann. Verbittert gab Karl im Folgejahr 1556 seine Kaiserwürde ab und zog sich in ein spanisches Kloster zurück.

Die Macht der römischen Kirche war nicht gebrochen, aber doch erheblich beschnitten. Von Torgau aus organisierten Luther und die Verwaltung des Kurfürsten die Reformation, es musste eine völlig neue Kircheninstitution geschaffen werden. Bald gab es die ersten Risse in der Reformationsbewegung, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin traten auf. Ständig wurden neue Kirchenordnungen verfasst, neue Katechismen gedruckt, ein erstes Liederhandbuch erschien. Das protestantische Kirchenlied nahm auch von Torgau seinen Ausgang. Und die 1544 von Luther geweihte Schlosskapelle auf Hartenfels ist der erste protestantische Kirchenbau, ein schlichter Saalbau, ein Versammlungsraum ohne architektonische Würdeformeln, jedoch mit der Betonung der Kanzel als theologischem Mittelpunkt der Verkündigung des Wortes.

Nach Luthers Tod geht es mehr um Machtfragen als um die Auslegung der Bibel

Wie stets in historischen Ausstellungen ist es schwer, sich aus den Objekten die Realgeschichte zusammenzusetzen. Rüstungen, Waffen, Bücher und Flugschriften, Stadtansichten und Porträts, es ist alles vorhanden, wenn auch in den teils verwinkelten Räumen auf Hartenfels etwas unübersichtlich. Faszinierend sind dann doch die Charaktere. Tizian hält auf einem weiteren Gemälde den Kaiser nach seinem Sieg bei Mühlberg als klug taktierenden Politiker fest, während Lucas Cranach d. J., viele Jahre später, den in Gefangenschaft geratenen, unglücklichen Kurfürsten Johann Friedrich in voller Rüstung zeigt: das Urbild des standhaften, lutherischen Landesherren.

Nach Luthers Tod 1546 ging es nicht mehr so sehr um die Auslegung der Bibel und den Streit etwa ums Abendmahl, sondern um die Austarierung der Machtverhältnisse im Reich. Spanien war durch die Machtteilung, die Karl V. im Moment seiner Abdankung vorgenommen hatte, aus dem Horizont des Reiches ausgeschieden. Sein Sohn Philipp II. verzichtete darauf, seine Ländereien zu bereisen, und baute mit dem Escorial den düsteren Musterbau einer effizienten Verwaltung. Luther hat auf seine Art dazu beigetragen, den modernen Verwaltungsstaat zu schaffen. Seiner theologischen Integrität tut das keinen Abbruch, aber doch ist eben auch Luther Ausdruck und Beförderer einer neuen Zeit.

Manches vollzieht sich im Kleinen. In einer Vitrine sind Feuerwaffen zu sehen, neben denen die kunstvoll gearbeiteten Harnische – einer aus purem Silber – nur noch repräsentative Funktion haben. Und dann ist da noch eine Vitrine mit einer Koranübersetzung, 1543 in Basel mit Vorreden Luthers und Melanchthons erschienen. Die neue Welt wurde global.

Torgau, Schloss Hartenfels, bis 31. Oktober. Katalog und Essayband, je 24 €, zusammen 40 €. www.luther.skd.museum

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