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Mittelalter-Mummenschanz. Luther-Umzug im Erzgebirge, 1934.

© Ausstellung/Sammlung Ulrich Prehn

Luther und die Nazis in der Topografie des Terrors: Im Dienst des Diktators

„Überall Luthers Worte“: Eine bemerkenswerte Berliner Ausstellung zeigt, wie die Nationalsozialisten den Kirchen-Reformator für sich vereinnahmten.

Auftritt eines Popstars vor dem Zeitalter des Pop. Adolf Hitler auf der Tribüne des Nürnberger Reichsparteitages 1934. Gut gelaunt schreitet der „Führer“ durch die Reihen der Ehrengäste. Männer in Uniform, behängt mit Weltkriegs-Orden, Honoratioren, Würdenträger wenden sich ihm zu. Dahinter jubelndes Volk. Lachende Gesichter, überall recken sich die Arme zum „Deutschen Gruß“.

Hitler wird als Erlöser empfangen, auch von den beiden Kirchenmännern in der Bildmitte. Reichsbischof Ludwig Müller und Benediktinerabt Alban Schachleiter drücken dem Kanzler-Diktator die Hand. Gleich daneben ein anderes Schwarzweißfoto. Ein Dutzend Männer, unter ihnen der Theologe Karl Barth, haben sich im Oktober 1934 zur zweiten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Berlin-Dahlem versammelt. Keine Uniformen, nur Gehröcke, Stehkragen und übergroße Hüte.

Die beiden Bilder stehen für das Spannungsfeld, das die bemerkenswerte Ausstellung „Überall Luthers Worte...“ in der Berliner Topographie des Terrors beschreibt. „Martin Luther im Nationalsozialismus“ lautet der Untertitel. Der Reformator wurde gleich nach 1933 zur Figur eines Deutungskampfes und Glaubenskrieges. Willig stellten sich die Deutschen Christen in den Dienst des NS-Staates. Reichsbischof Müller, NSDAP-Mitglied seit 1931, forderte im Berliner Sportpalast die „Vollendung der deutschen Reformation im Geiste Martin Luthers“. Die Stoßrichtung war eindeutig: für das Kreuz, gegen „den sechseckigen Stern Judas“. Die Übernahme des „Arierparagrafen“ führte im Herbst 1933 zur Amtsenthebung von Pfarrern und Kirchenbeamten jüdischer Herkunft. „Die Deutschen Christen“, schrieb der Brandenburger Landesbischof Joachim Hossenfelder, „sind die SA Jesu Christi“.

Gegen diese Gleichschaltung schlug die Bekennende Kirche auf der „Dahlemer Bekenntnissynode“ Alarm. Die Deutschen Christen hätten die Evangelische Kirche zerschlagen, ihr Machtanspruch sei unrechtmäßig. Den Totalitarismus des Staates wiesen Kirchenrebellen wie Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer genauso zurück wie den Antisemitismus, bei dem sich das Regime gern auf Martin Luther berief. Einige Kirchenmänner bezahlten für ihre Ansichten mit dem Leben. In den Gefängniszellen des Prinz-Albrecht-Palais auf dem heutigen Topographie-Gelände saßen etwa Paul Gerhard Braune von der Bekennenden Kirche und der später hingerichtete katholische Pfarrer Max Josef Metzger.

Luther hat sich oft abfällig über Juden geäußert

Die Ausstellung sei der „Versuch einer Bestandsaufnahme“, es gehe nicht um „steile Thesen“, sagt Kurator Ulrich Prehn. Die gezeigten Bilder und Dokumente sind sprechend genug. Besonders eindrucksvolle Schaustücke werden in Triptychon-Form präsentiert. Gegenüberstellungen gliedern den Zeitstrahl von 1933 bis 1945. „Überall Luthers Worte und doch aus der Wahrheit in Selbstbetrug verkehrt“, konstatierte Dietrich Bonhoeffer 1937. Der Klage des Kirchenmanns wird eine Schlagzeile aus dem Hetzblatt „Der Stürmer“ entgegengesetzt: „Dr. Luther ist einer der großen Antisemiten der deutschen Geschichte.“

Der Reformator wurde als mittelalterliche Führerfigur verklärt und als „Herkules“, „Luther der Deutsche“ oder „Evangelist des Dritten Reichs“ vereinnahmt. Das Cover einer „Weltgeschichte für alle“ zeigt sein Profilporträt neben dem von Adolf Hitler. Ein Triumphbogen In der 1933 errichteten Martin–Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf präsentiert Hakenkreuze und die Köpfe von SA-Männern und Stahlhelm-Soldaten neben der Dornenkrone.

Aber inwieweit handelt es sich bei der Etikettierung von Martin Luther als Antisemiten überhaupt um ein Missverständnis? Schließlich hat der Begründer der Evangelischen Kirche sich immer wieder abfällig über Juden geäußert, und je älter er wurde, desto heftiger tat er es. „Jawohl, sie halten uns in unserem eigenen Land gefangen, sie lassen uns arbeiten in Nasenschweiß, (...) sitzen dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen, fressen, sauffen, leben wohl von unserm erarbeiteten Gut“, heißt es im Pamphlet „Von den Juden und ihren Lügen“. Luther forderte dazu auf, die Häuser der Juden zu zerstören und ihre Synagogen anzuzünden. Während die Kirche bis heute daran festhält, seine Ausfälle seien bloß das Dokument eines epochenüblichen Antijudaismus, hält der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann sie für eine Vorform des Antisemitismus.

Seinen Höhe- und Tiefpunkt fand der Luther-Kult der Nationalsozialisten in der Reichspogromnacht. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 setzten SS- und SA-Männer mehr als tausend Synagogen in Brand. Etwa 100 Menschen starben, über 30 000 Juden verschwanden in Konzentrationslagern. Es war die Nacht von Martin Luthers 455. Geburtstag. Der Thüringer Landesbischof Martin Sasse erkannte im Zufall des Datums einen Auftrag und veröffentlichte wenige Wochen später eine Broschüre mit antijüdischen Passagen aus Schriften des Reformators. Der Titel lautete. „Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!“ Die Ausstellung zeigt Fotos von brennenden Synagogen in Hannover, Essen und Rostock. Davor: gaffende Deutsche.
Topographie des Terrors, bis 5. November, täglich 10 – 20 Uhr. Eintritt frei, Katalog 18 €.

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