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Angst und Alptraum. Otto Katzameier singt die Titelrolle des Mannes, der sich nach oben mordet.

© Davids/Fischer

"Macbeth" auf der Baustelle der Staatsoper: König wird, wer König tötet

Bretter und Beton: Jürgen Flimm inszeniert Sciarrinos „Macbeth“ auf der Baustelle der Staatsoper - und schafft auch dank eines gut besetzten Titelhelden ein weihevolles Fest auf der Baustelle.

Es ist eine große Sehnsucht nach dem eigenen Haus, wenn die Staatsoper auf der Baustelle Unter den Linden einkehrt. Vorfreude ist Grund genug, während der endgültige Eröffnungstermin weiter und ewig auf der Berliner Warteliste steht. Seit dem letzten Herbst haben Intendant Jürgen Flimm und Generalmusikdirektor Daniel Barenboim die Idee ventiliert, die Baustelle in ihre Planungen einzubeziehen. Nichts gegen die Ausweichstätte Schillertheater, die sehr geschätzt wird, zumal dazu noch die Werkstatt „kassiert“ (Flimm) werden konnte. Nun inszeniert Jürgen Flimm im ehemaligen Orchesterprobensaal der in Sanierung befindlichen Lindenoper. Im Rahmen des Festivals „Infektion!“ steht Salvatore Sciarrinos „Macbeth“ an, „Drei namenlose Akte“ nach William Shakespeare. Baustellenkonzerte folgen.

Wir wandern also via Oberwallstraße durch Pfützen und unebenes Gelände, um „Macbeth“ zu erreichen, über Bretter, am Toilettenwagen vorbei. Erstes Ziel in der alten Heimat ist das entkernte Casino, am Boden schütterer Beton, Brandsicherheitswache bereit. Draußen wird hörbar Grundwasser abgepumpt, während sich drinnen Hausherr Flimm mit Rose im Knopfloch unter die Gäste mischt. Nur an die 120 Zuschauer dürfen es sein in diesem Fall, aus Sicherheitsgründen.

Alles ist Provisorium, hergerichtet con amore. Eine behelfsmäßige Treppe führt hinauf in das improvisierte Theater. Hier feiert das Publikum auf den Tribünen zum Schluss die Aufführung mit einem Beifall, der zu Herzen geht. Man fühlt den Teamgeist. Als Erster springt Achim Freyer auf, um frenetisch zu applaudieren. Er kennt sich bestens aus mit dem Werk des 1947 in Palermo geborenen Salvatore Sciarrino, weil er in Schwetzingen 2002 die Uraufführung des „Macbeth“ in Szene gesetzt hat.

Mit der Sanierung der Oper wird es dauern

„Blut fordert Blut“, sagt Macbeth zu seiner Lady. Als Poet der Reduktion hat der Komponist Texte aus Shakespeares Tragödie übernommen. Vom Feldherrn mutiert Macbeth zum Königsmörder, ohne auf dem usurpierten Thron glücklich zu werden. Nach der Ermordung Duncans, des Königs von Schottland, fürchtet er die Königssöhne und den Mitwisser Banquo. Nach dessen Ermordung folgt der Mord an der Familie des Edlen Macduff.

Da es aber Sciarrino nicht um ein paar bestimmte Bluttaten, sondern um „alle“ Bluttaten geht, radikalisiert er das Finale. Neuer König wird, wer den König tötet. Und das ist nicht der rechtmäßige Thronerbe, sondern Macduff, der Macbeth im Kampf besiegt. Fortwirken des Bösen. König Duncan des ersten Akts ist König Macduff des letzten. So will es die Besetzungsliste dieses „Macbeth“, die vom ewigen Kreislauf des Gemetzels ausgeht.

Nackte Glühbirnen, klassizistische Säulen, Spiegel matt über einem Kamin, davor drei Ledersessel: Das Ambiente, das Magdalena Gut zusammengefügt hat, betont den Zustand des Vorübergehenden. Zwischen allen Mitwirkenden wird der Taktschlag von vielen Monitoren vermittelt. Der ganze Abend macht sehr bewusst, dass es mit der Totalsanierung der Oper dauern wird. Da die beiden getrennten Orchester, die Sciarrinos Partitur verlangt, im Probenraum nicht unterzubringen sind, spielt eines durch die offene Tür von draußen. Wundersame lyrische Korrespondenzen ergeben sich daraus unter den Musikern und Sängern, Echos, skelettierter Ausdruck, Flageoletts und Klappengeräusche, verfremdete oszillierende Klänge. Die Macht des Tons (etwa des Cellos) dominiert in der Hörlandschaft, die David Robert Coleman beherrscht. Er ist ein Dirigent, der mit der Musik atmet. Hervorragende Partner hat er in der Gruppe Opera Lab Berlin.

Die Kostüme passen nicht schlecht zum CSD

Flimms Inszenierung geht von der Bogenform des Werkes aus. Eine weibliche Angststimme, zitternd, ist Königsbegleiterin im ersten und letzten Akt, einmal als Sergeant, dann als Wachsoldat, Kriegskrüppel jedenfalls. Katharina Kammerloher verkörpert beide Figuren (und in der Mehrfachbesetzung noch weitere) mit hoher Virtuosität. Die Personen demonstrieren ihre seelischen Zustände, indem sie durch die Mitte an den Zuschauertribünen vorbeiziehen. So der verwundete Sergeant auf dem Rücken des Königs Duncan (Timothy Sharp), welcher so hinfällig wirkt, dass der Mord an ihm schon ans Absurde grenzt. Stephen Chambers gibt den Banquo und einen meschuggenen Diener mit ansprechendem Tenor. Zu „Stimmen“ verallgemeinert sind Texte der Hexen wie auch der Personen um die kranke Lady. Diese bestens singenden sechs Voci, drei Frauen und drei Männer, haben es dem Regisseur angetan, denn sie entpuppen sich alle als Damen in modernen Abendkleidern (Kostüme: Birgit Wentsch). Es passt nicht schlecht zum CSD, dass eine von ihnen aussieht wie Conchita Wurst. Sie begleiten die Handlung und protokollieren den Wahnsinn der Lady Macbeth. Die Rolle wird von Carola Höhn bewundernswert gemeistert, eine neue mutige Farbe der bedeutenden Mozartsängerin. Im Kostüm vertritt sie fein das elisabethanische Zeitalter.

Otto Katzameier lebt in der Titelrolle, seit er sie in der Schwetzinger Uraufführung kreiert hat. Mit Flimm begreift er den Macbeth als einen gebrochenen Mann von Anfang an, der fast stirbt vor Angst, bevor er mordet. Maskenhaft trägt er sein Kreuz auf der Stirn, und gesanglich trifft er die verhetzten und weiten Intervalle mit unbeirrbarer Kondition. Dieser Sängerdarsteller, der noch bei Hans Hotter studiert hat, trägt wesentlich dazu bei, dass die Weihe des Kunstraums auf der Baustelle ein Fest ist.

Wieder am 25., 28., 30. 6. und am 1. Juli, ausverkauft).

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