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Kultur: Mach mich glücklich

Ironie in Überlebensgröße: Sigmar Polke in einer Baden-Badener Retrospektive

„1 + 1 = 3“, verkündet Sigmar Polkes Bild „Lösungen V“ und stellt damit alles von uns als erwiesen Geglaubte spielerisch infrage. „1 + 1 + 1 = 1“, könnte man in Abwandlung sagen, um die Polke-Retrospektive im Frieder-Burda-Museum in Baden-Baden zu beschreiben. Drei bedeutende deutsche Privatsammler, die zusammen etwa drei Viertel des relevanten Polke-Bestandes besitzen, haben sich zusammengetan, um dem neben Gerhard Richter bedeutendsten Maler seiner Generation eine Hommage auszurichten. Eine Retrospektive, die von Polkes künstlerischen Anfängen zu Beginn der sechziger Jahre bis zu Werken aus dem Jahr 2005 reicht.

170 Arbeiten, etwa die Hälfte davon auf Papier, das ist eine veritable Werkschau, die vieles, was in den letzten Jahren an Polke-Ausstellungen zu sehen war, etwa 2003 in der Tate Modern in London, in den Schatten stellt. Und gleichzeitig, schaut man genauer hin, ein Zeugnis der höchst unterschiedlichen Sammlerpersönlichkeiten, die sich aus dem vielfältig experimentierenden Polke-Oeuvre das ihnen Gemäße heraussuchten. Nicht von der Macht der Sammler wolle er sprechen, so der Kölner Kunstsammler Reiner Speck. Eher von der Ohnmacht – und von der Kraft, die er aus der Begegnung mit dem Künstler schöpft.

Drei bedeutende westdeutsche Sammler also, die ihre höchst unterschiedlichen Kollektionen schon früh mit einem Polke-Schwerpunkt schmückten. Frieder Burda, der Hausherr in Baden-Baden, der väterlicherseits eine bedeutende Expressionistensammlung erbte und selbst dem Zauber der deutschen Nachkriegskunst, von Richter über Polke bis Baselitz, erlag. Josef Froehlich, Stuttgarter Unternehmer, der mit Andy Warhol, Bruce Nauman und Josef Beuys begann und über die amerikanische Pop-Art zu Polke fand. Und Reiner Speck, der Kölner Urologe, der mindestens so viel von Proust wie von Polke versteht und sich immer besonders für den Zusammenhang zwischen Schrift und Bild interessiert hat.

Sie alle finden in Polke ihr Gegenüber: Burda, der Druckfachmann, in Polkes Punkt- und Rasterbildern, den Druckvorlagen und Zeitungsbildern. Josef Froehlich besonders im Frühwerk Polkes, in ironisch-respektvollen Zeitkommentaren, die in den sechziger Jahren so erfrischend und revolutionär wirkten. Und Speck, selbst Besitzer einer legendären Bibliothek, im „Pictor doctus“, dem gelehrten Maler, der in seinem Atelier ebenfalls über eine große Bibliothek verfügt und der seine Werke mit Zitaten von Dürer bis Goya, von Enea Silvio Piccolomini bis zu Max Ernst auflädt.

Obwohl die drei Sammler es im Gespräch mit Ausstellungskurator Götz Adriani nicht lassen können, sich gegenseitig ständig daran zu erinnern, welche Bilder sie jeweils erworben, verpasst oder wieder verkauft haben, welche Bilder sie sich gegenseitig neiden und auf welche sie ganz besonders stolz sind, ergänzen sich die drei Sammlungen in Baden-Baden aufs Schönste. So entspannt, so uneitel und vor allem so hochkarätig wäre keine von einem einzelnen Haus (oder Sammler) zusammengestellte Ausstellung möglich gewesen.

Da mögen die Froehlich-Bilder vielleicht die humorvollsten, die Burda-Bilder die enzyklopädischsten und spektakulärsten und die Speck-Bilder die klügsten sein: Erst gemeinsam ergeben sie das Bild eines Künstlers, der sich über Jahrzehnte hinweg, mit immer gleichem Ausgangsmaterial, immer wieder neu erfunden hat. Ein Künstler, der, ungeachtet seines Dauerplatzes ganz oben auf der Skala der Marktgrößen, etwas aus dem Fokus der breiten Öffentlichkeit gefallen ist. Und der seinen Namen gleichwohl schon 1969, ironisch prophetisch, in die Sterne geschrieben hat, mit der Zeichnung „Der Sternenhimmel am 24. 6. 24.00 Uhr zeigt als Sternbild den Namenszug S. Polke.“

Natürlich sind in Baden-Baden die Klassiker dabei, die bunt gerasterten „Freundinnen“ von 1965 und das schwarz-weiß gerasterte „Interieur“ von 1966, das mit blauem Kuli auf weißem Autolack gezeichnete „Liebespaar“ von 1967 sowie „Carl Andre in Delft“ von 1968, ganz zu schweigen von „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen“ von 1969. Es gibt den politischen Polke der „Amerikanisch-Mexikanischen Grenze“ von 1984 und den mit durchscheinenden Kunstharz-Platten Experimentierenden der neunziger Jahre. Hier spätestens werden die Formate so monumental, dass sie die große Halle des lichten Richard-Meier-Baus in Baden-Baden spielend füllen.

Das dekorative Element ist hier nicht zu übersehen, und so äußern alle Sammler ein gewisses Unbehagen angesichts des Spätwerks des Künstlers, dem allein Frieder Burda mit dem monumentalen „Triptychon“ von 1996 und der noch größeren „Menschenbrücke“ von 2005 die Treue hält. Nicht umsonst ist es auch Burda, der von Polke 1996 porträtiert wurde – Froehlich und Speck wählten sich, ebenfalls bezeichnend, Warhol und Twombly.

Vor allem eines wird in Baden-Baden deutlich: Im spielerischen Frühwerk wie im monumentalen Spätstil, im Experiment quer durch Techniken und Stile und im unbestechlich kritischen Blick auf die Gegenwart ist Polke nicht ohne den großen Kollegen – und Konkurrenten – Gerhard Richter denkbar, dem man in Baden-Baden demnächst eine ähnlich konzipierte Überblicksschau widmen möchte. Polkes „Richter-Reihe“ von 1965 zeugt noch von der Nähe zum Düsseldorfer Mitstudenten und Mitbegründer des „Kapitalistischen Realismus“, mit dem er sich später überwarf. „Richter ab September ständig im Kino“ ist da zu lesen, oder „Mach mich glücklich – nur mit Richter“, und schließlich „Ihr Friseur-Richter“.

Die Nähe zur Werbe- und Reklamewelt prägt viele der herausragenden frühen Zeichnungen, und mit ihr die biedere Modernität der fünfziger Jahre, die wortreich für Deocreme, Kaba-Milch und Würstchen wirbt. Doch in den simplen Kugelschreiber-Zeichnungen, die die Gründerjahre der Bundesrepublik mindestens so respektlos veralbern wie die hochgestochenen Kunstdiskurse der Zeit, erkennt man vor allem den Lehrer und Vorläufer eines Martin Kippenberger. „Polke als Droge. Pulverisierter Polke im Glasröhrchen“, wirbt eine Zeichnung um 1968. Es wird eine Lachdroge gewesen sein.

Museum Frieder Burda, Baden-Baden, bis 13. Mai, danach im Museum Moderner Kunst in Wien. Der Katalog (Hatje Cantz) kostet 28 Euro.

Christina Tilmann

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