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Kultur: Macht mehr Theater!

„Nach der Demokratie“: ein Wahlabend im HAU

Die Wahlbeteiligung ist erschreckend gering. Nur wenige sind dem Aufruf gefolgt, sich an der „X. Regierungsbildung des Königreichs Koreta“ zu beteiligen, die im Hebbel-Theater in der Stresemannstraße stattfindet. „Nach der Demokratie“ nennt sich die Veranstaltungsreihe, in deren Rahmen der Künstler Vojislav Klacar das Politspiel aufzieht. Seit seinem 13. Lebensjahr bastelt der Mann an einem fiktiven Staat namens Koreta – der Name ist abgeleitet aus dem serbischen „Korita“, das Tränke bedeutet.Die Inspiration lieferten ihm echte Kühe, die sich am Wasser laben, es hat wohl nichts mit dem Kälbermarsch von Brecht zu tun.

Die parlamentarische Monarchie Koreta wäre der Traum vieler Politiker, weil sie ausschließlich aus Politikern besteht. Tausend Abgeordneten-Figürchen aus Papier hat Klacar bis heute gebastelt, die in verschiedenen Parteien-Konstellationen gegeneinander antreten, wobei alle Entscheidungen auf Zufallsoperationen basieren.

Geschlagene vier Stunden lang gibt der Künstler auf der Bühne im Live-Interview unermüdlich Auskunft über sein Projekt, man versteht trotzdem nichts – wie bei einer echten Parlamentsdebatte. Ein paar Zuschauer schlurfen hinter die Kulissen und drehen Karten um, so kommt die Regierung zustande. Gegen 22 Uhr sind gerade noch fünf Besucher da, die Koreta nicht sich selbst überlassen wollen. Was ist los, hat die Politikverdrossenheit das Theater erreicht? Ach, womöglich haben die Leute auch nur genug damit zu tun, sich für ihren eigenen Staat nicht zu interessieren, da brauchen sie kein fiktives Königreich.

Es wird ja immer behauptet, die Menschen seien der Politik müde, weil die Politiker bloß noch medial inszenierte Staatsschauspieler seien und ihre Programme nichts als Sprechblasen im hohlen Bühnenton. Aber das Problem ist nicht das Theater an sich – es ist das schlechte Theater, in der Kunst wie im Leben. Bessere Schauspieler müssen her, und bessere Inszenierungen!

Man tritt ratlos aus dem HAU und blickt auf das Willy-Brandt-Haus gegenüber, das umstellt ist von Ü-Wagen mit Satellitenschüsseln, drumherum ist ein Bauzaun gezogen. Nicht weit entfernt wirbt das Lokal „Zum Frosch“ mit Wahltagsfrühschoppen und dem Slogan „Hauptsache weg von der Straße – rein in die Kneipe“. Auf den Transparenten der SPD steht: „Unser Land kann mehr.“ Was braucht das Land, um, im Castingshow-Jargon gesprochen, mehr aus sich rauszugehen?

„An Anthology of Optimism“ nennt sich die schöne Performance, die parallel im HAU 3 stattfindet. Jacob Wren und Pieter De Buysser suchen nach einer Zuversicht ohne Naivität, unter anderem präsentieren sie Beispiele eines „kritischen Optimismus in Aktion“. Eines trägt den Namen Antanas Mockus, der Mann war mal Bürgermeister von Bogotá, Kolumbien. Sein Wahlkampf kostete tausend Dollar, er versprach nichts, manchmal trug er ein „Superbürger“-Kostüm. Er warb nackt im Fernsehen fürs Wassersparen beim Duschen, er engagierte Pantomimen, die Verkehrsteilnehmer zur Vorsicht mahnten, alles Erfolge, und als er um eine freiwillige Steuermehrzahlung in Höhe von zehn Prozent bat, waren etliche Bürger dazu bereit. Traumhafte Vorstellung: Dass ein deutscher Politiker auftaucht, der sich derart gut aufs Theater versteht. Patrick Wildermann

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