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Kultur: Machwerk, Wundertüte, Erlösungstraum

Jeder liest sich aus der „Zauberflöte“ seine Oper heraus – deshalb wurde sie Mozarts populärstes Werk

Dass die Musik und die Bühnenbilder hübsch seien, der Rest aber eine unglaubliche Farce, notierte einer der ersten Besucher der „Zauberflöte“, Johann Karl Graf Zinzendorf. Zur Rezeptionsgeschichte von Mozarts bekanntester Oper, diesem Musiktheaterstückwerk in zwei Aufzügen, das Parallelwelten zusammenführt, als ob es kein Halten gäbe – Menschen, Vogelfiguren, einen Entführungsfall, mehrere Tempel- und Priesterszenen, eine seriöse Liebesgeschichte, eine Verliebtenklamotte –, zur Rezeptionsgeschichte der „Zauberflöte“ also gehört seit jeher ein gewisses Maß an Verwirrung. Auch wenn sie nach wie vor das meistgespielte Stück auf deutschen Opernbühnen ist.

Aber die Textvorlage scheint tatsächlich vertrackt: Gehören die drei Knaben der Königin der Nacht oder Sarastro? Warum rühmt sich dieser, „keine Rache zu kennen“, um sich immer wieder überheblich-menschenfeindlich zu äußern? Wieso eigentlich ist der Zugang zum Reich der Eingeweihten manchen versperrt? Und warum muss die Königin der Nacht am Ende untergehen? Zinzendorf setzte ein Urteil in die Welt, das früh bestätigt und rasch respektvoll umgedeutet wurde. Goethe fand, die „Zauberflöte“ sei „voller Unwahrscheinlichkeiten und Späße, die nicht jeder zurechtzulegen und zu würdigen wisse“, Hegel nannte das Textbuch – freundlich gemeint – ein „Machwerk“ und ließ sich nicht davon abhalten, für jenes Surplus zu schwärmen, das aus dem Miteinander der Bedeutungsoffenheit des Textes und dem semantisch freien Kreisen der Musik entsteht: „das alles, bei der Tiefe, der bezaubernden Lieblichkeit und Seele der Musik, weitet und erfüllt die Phantasie und erwärmt das Herz“.

Die Bekanntschaft mit dem fünf Jahre älteren Schauspieler und Sänger, Dichter und Komponisten Emanuel Schikaneder hatte Mozart schon 1780/81 in Salzburg gemacht. Mit der Komposition begann er vermutlich im Frühjahr 1791. Datiert ist die „deutsche Oper“ auf Wien, Juli 1791, doch kam etwa die Ouvertüre erst Ende September des Jahres hinzu, zwei Tage vor der Uraufführung im Theater auf der Wieden, die Mozart selbst dirigierte.

Schikaneders Zaubermärchen sind lauter archetypische Grundsituationen eingeschrieben, so, wie man sie aus uralten Erzählungen kennt: Magie und Zauber, die Verwandlung von Gut und Böse. Der Sieg über gefährliche Mächte. Das ewig andauernde Glück nach einem schwierigen Weg der Läuterung oder die Harmonie zwischen zwei Liebenden. Dass er diese Motive quer durch alle Ebenen zieht und bisweilen recht unlogisch engführt, ist zu einer intellektuellen Herausforderung geworden; die „Zauberflöten“- Gemengelage dient als ideale Projektionsfläche für verschiedene Lesarten. Besonders faszinierend sind die Versuche geworden, die Tempelwelt der „Zauberflöte“ mit der Realwelt der Wiener Freimaurerlogen und ihren esoterischen Ritualen in Verbindung zu bringen. Drei Akkorde zum Beispiel leiten die „Zauberflöte“ ein, drei Knaben singen, drei Damen warnen, dreimal tritt die Königin auf, drei Proben sind zu bestehen – drei Grade, drei Säulen, drei Kleinodien machen die Insignien der Freimaurerbünde aus. Immerhin war Mozart 1784 in der Wiener Loge „Zur Wohlthätigkeit“ aufgenommen worden und schon zu seiner Zeit hatte es Versuche gegeben, das Freimaurertum als Mutation altägyptischer Kulturpraktiken zu erweisen. Die Realisierung der Oper lässt sich entsprechend als Weg sehen, mit der zeittypischen „Ägyptomanie“ umzugehen und die aufgeklärten Ideale der Freimaurerei „mit möglichster Breitenwirkung in der Form des Kunstwerks zum Tragen zu bringen“ (Jan Assmann).

Andererseits entspricht der Verflechtung der Erzählstränge auf Seiten der Musik eine Reise durch verschiedenste Klangwelten. Aus dem in seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit nachgerade postmodern anmutenden Werk kann sich jeder heraussuchen, was er von Mozart möchte: Die gläserne Helligkeit einer Figur wie Pamina, die Verspieltheit der Gesangsgespräche über die Liebe. Musikalische Späße mit verschlossenen Mündern, die bloß noch summen können. Die Feierlichkeit der Priestermusiken, den schmerzlichen Zitatton des Gesangs der zwei Geharnischten als Wiederaufnahme längst überlebter kompositorischer Techniken. Und dann erst die Arien der Königin der Nacht, fast vulgär zirzensisch und dennoch atemberaubend. In der Figur der Königin der Nacht, Gegenpol zum schwarz eingefärbten Edelmut des Sarastro, bündeln sich die Eigentümlichkeiten dieser Oper vielleicht besonders deutlich. Denn was hier realisiert werden muss, ist der vokale Spagat, eine Differenz, die ausgehalten und zugleich überbrückt sein will: Junge Frauen müssen es sein, die singen, weil eine Stimme, die älter ist als fünfunddreißig, mit den Hochtönen und Koloraturen kaum mehr zurechtkommt – utopisch aber, in diesem Alter auf jene ausgewachsene Dramatik und Souveränität zu hoffen, die die Königin der Nacht ebenfalls braucht. Doch das dreigestrichene f mit den vielen Koloraturen und einer geradezu ätzenden Schärfe verbünden zu müssen, mag ebenso unmöglich schwierig und reizvoll erscheinen, wie die „Zauberflöte“ als Ganzes unter die Leselupe einer geschlossenen Werkidee zu zwingen.

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