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Kultur: Madonna è mobile

Himmlische Schwestern: Zum Papstbesuch wird die Dresdner Sixtina mit einer zweiten Raffael-Gottesmutter vereint

Eigentlich hätte die Madonna di Foligno längst nach Dresden gehört. Ein Raffael fehlte August III. noch in seiner legendären Sammlung. Umso begeisterter reagierte Heinrich Graf von Brühl, der sächsische Premierminister und Verantwortliche für die Akquisitionen der Kollektion, 1750 in einem Brief, als ein Agent ihm den bevorstehenden Ankauf verkündete. Am Ende kam es nicht zu dem Deal. Vier Jahre später gelangte stattdessen die Sixtinische Madonna an den sächsischen Hof, heute neben Leonardos Mona Lisa und Botticellis Venus eines der bekanntesten Bilder der Renaissance.

Späte Genugtuung spielt also keine Rolle mehr, wenn 250 Jahre später Raffaels berühmte Foligno-Madonna, die der Vatikan nach ihrer Beschlagnahmung durch Napoleon und Rückkehr aus Paris erwarb, zumindest gastweise nach Dresden kommt. Taktische Bedeutung besitzt die Ausstellung „Himmlischer Glanz“ in der Gemäldegalerie Alter Meister dennoch. Benedikt XVI. ließ das ansonsten mit Reiseverbot belegte Madonnenbild als Vorhut seines am 22. September beginnenden Deutschland-Besuches nach Dresden ziehen.

„Ihn sollte ein einzigartiges kulturelles Ereignis begleiten“, erklärt unumwunden Walter Jürgen Schmid, Botschafter der Bundesrepublik beim Heiligen Stuhl, die päpstliche Geste. Der Heilige Vater macht es wie Politiker auf Staatsbesuch. Schon bei seinem London-Trip 2010 brachte er als spektakulären Akt die Raffael-Teppiche mit, wo sie zusammen mit den Entwürfen gezeigt werden konnten. Dass diesmal das Ausstellungsevent im Mutterland des Protestantismus stattfindet, kommt Benedikt XVI. gelegen, denn bei seinem Abstecher in Erfurt, wo Martin Luther lange lebte, soll es um die Verständigung der beiden Religionen gehen.

Beim Stichwort Event umwölkt sich die Stirn von Galeriedirektor Bernhard Maaz; das mag er gar nicht gerne hören. Die kleine feine Ausstellung mit gerade zwanzig Exponaten, welche die Wiedervereinigung der beiden kurz hintereinander gemalten Raffael-Madonnen zelebriert, die sich vor 500 Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach gleichzeitig im Atelier des Meisters befanden, ist für jeden Besucher der ständigen Sammlung frei zugänglich. Die Sempergalerie mit ihren Rembrandts, Canalettos, Cranachs generiert ihre 50 000 Besucher monatlich auch ohne das päpstliche Zugpferd.

Und doch eröffnet die Dresdner Ausstellung just in einem Moment, wo allenthalben große Renaissance-Ausstellungen zu sehen sind: die vom Erfolg überrannte „Gesichter“-Schau im Berliner Bode-Museum, die „Deutschen Porträts um 1500“ in München ab 16. September und „Frühe italienische Meister bis Botticelli“ in Hamburg ab 1. Oktober. Schon melden sich erste Zweifel, ob die fragilen Exponate diese Reiseaktivitäten unbeschadet überstehen. „Verleumdung“, ereifert sich Arnold Nesselrath von den Musei Vaticani prompt, als kritisch auch nach dem Zustand der Foligno-Madonna gefragt wird. Gerade erst wurden die Farben gereinigt, der Firnis erneuert, die Restauratoren gaben der Foligno-Madonna den Freischein. Nach ihrer Rückkehr nach Rom gilt wieder strengstes Reiseverbot.

Das Gefühl der Exklusivität gehört also zum gesteigerten Kunsterlebnis. In Dresden wird es zweifellos beschert, ganz ohne den Hype einer bombastischen Ausstellungsarchitektur. Geradezu protestantisch bescheiden wurde vor dem großen Saal, wo die Sixtinische Madonna ständig hängt, nun benachbart vom Schwesterbild, ein abgedunkeltes Kabinett aus Pressholz hinter schweren Samtvorhängen eingefügt. Es birgt einen Band mit Vasaris Künstler-Viten, die allerdings die Foligno-Madonna nur mit einem dürren Satz erwähnt, sowie zwei Zeichnungen, eine aus London, eine aus Frankfurt, in der die Weiterentwicklung des Motivs der auf den Betrachter zuschreitenden Madonna sichtbar wird.

Nach dieser Fokussierung im Kleinen kann der Effekt nicht größer sein. Blau, gold, rot, so strahlt die Madonna von Foligno auf den Betrachter herab. Sie überwältigt ihn in der Zweisamkeit mit der Sixtina, die sich daneben durch den matten Firnis, fast eine Grünstichigkeit, geradezu bescheiden ausnimmt. Wie schon bei der Restaurierung von Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle in Rom erscheinen die Farben plötzlich grell und überpointiert. Stille Andacht und Intimität, wie man sie bislang selbst von den monumentalen Formaten kennt, sind dahin. Stattdessen erlebt der Besucher ein machtvolles himmlisches Theater mit wilden Farben und dramatischen Gesten.

Welche Dynamik würde eine Restaurierung erst bei der Sixtinischen Madonna freisetzen! Das zeigt die Gegenüberstellung der beiden Bilder mehr als deutlich. Die Sixtina ist die stärkere Schwester. Während die Madonna di Foligno noch dem gängigen Kanon folgt, bei dem die Mutter Gottes und das Jesuskind den Heiligen und dem knienden Stifter auf einer Wolke erscheint, also himmlische und irdische Sphäre klar getrennt sind, befindet sich der Betrachter bei der Sixtina selber in der Rolle des Anbetenden, erlebt er deren Vision. Diese Verlagerung des Geschehens auf eine andere Ebene gelingt Raffael durch einen genialen Kniff: Er gibt die Sicht auf die himmlische Erscheinung durch beiseite geschobene Vorhänge frei, als blicke man durch ein Fenster, an dessen unterer Kante sich die bekanntesten Engel der Kunstgeschichte allerliebst langweilen. Auch sie haben ihren Vorgänger bei der Foligno-Madonna: einen entzückenden geflügelten Knaben, der zwischen den Heiligen steht und eine Tafel trägt.

Doch die Dresdner Ausstellung will mehr, will den Bogen zu anderen Malern schlagen; das Madonnenbildnis galt als eines der wichtigsten Motive der Zeit. So holten die Kuratoren Correggio, Dürer und Cranach aus der eigenen Sammlung hinzu, sowie eine zweite spektakuläre Leihgabe: die Stuppacher Madonna von Matthias Grünewald aus dem Jahr 1519. Sie hält den Großformaten Raffaels, seinem Pathos, seiner Farbdramatik allemal stand. Dieser Maria flackert ein rötlich-gelbes Licht ums Haupt, das schon die Brücke-Maler entflammte, die in Dresden ihre Anfänge nahmen. So vollzieht sich auch bei diesem Bild eine Form der vorübergehenden Heimholung, der kunstgeschichtlichen Herleitung.

Dresden gelingt der Balanceakt zwischen Publikumsmagnet und seriöser Betrachtung, doch ist das Misstrauen gesät. Wie viel Kult darf um die Kunst gemacht werden? Wie viel vertragen Bilder? Ab wann werden sie für andere Zwecke instrumentalisiert: ob nun vom Papst bei seinem Deutschland-Besuch als besondere Geste oder zuletzt in Peking bei der großen Schau der Berliner, Dresdner und Münchner Museen als verunglückter Versuch, Aufklärung europäischer Lesart zu exportieren. Der aufgeheizte Ausstellungsbetrieb hat seinen Preis. Dem Besucher schenkt er dafür Momente des Bilderglücks.

Gemäldegalerie Alter Meister, Dresden, bis 8.1.; Katalog (Prestel) 24,95 €.

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