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Leoparden küssen doch. Madonna Louise Ciccone, 56.

©  Mert Alas und Marcus Piggot

Madonna und ihr Album "Rebel Heart": Bis das Bett zusammenkracht

Dancebeats, Verschwörungstheorien und eine Heimspielniederlage: Madonnas Album „Rebel Heart“ wurde schon Anfang des Jahres geleakt. Am Freitag kommt es nun komplett heraus. Einiges darauf ist eher peinlich.

Diesmal hat es die Sängerin definitiv übertrieben. Das wird sie lebenslang bereuen. Um Werbung fürs neue Album zu machen, ging sie in einen Tätowiersalon und ließ sich dort großflächig einen dunklen Kreis frontal ins Gesicht stechen. Das Ding hat einen Durchmesser von 20 Zentimetern. Augenlider, Nase, Wangen, alles pechschwarz. Sieht arg scheußlich aus. Die entstellte Sängerin erklärte, die Inuit verstünden Kreise als Tor zur Seele. Der Boulevard kreischt: „Irre! Geisteskrank!“, Fans hoffen, das Beweisvideo der Selbstverschandelung werde sich am Ende doch noch als Fälschung erweisen.

Die Sängerin mit dem Schocktattoo heißt Delhia de France und ist Kopf der bisher wenig bekannten Band Pentatones.

Die Sängerin Madonna hat dieser Tage ebenfalls Aufreger produziert. Bei den Brit Awards verhakte sich ihr Kleid, woraufhin sie von einer Showtreppe fiel und, je nach Quelle, eine Po-Prellung oder ein kleines Schleudertrauma erlitt. Weiterhin erklärte sie in einem Interview, sie würde Marine Le Pen gern mal auf einen Drink einladen. Und in einer Fotomontage knebelte sie niemand Geringeren als Martin Luther King. Gähn. Gähn. Supergähn.

Was kann die 56-jährige Madonna ausrichten gegen die Jüngeren, Extremeren?

Madonna war die Tabubrecherin des Pop, Visionärin der Aufmerksamkeitsökonomie. Aber was kann die 56-jährige Madonna noch ausrichten gegen ihre Enkelinnen im Geiste, die Jüngeren und Extremeren, gegen ein fingiertes Monstertattoo im Gesicht? Ähnliches galt dieses Jahr bereits für das notorische Schreckgespenst Marilyn Manson und sein schnurstracks untergegangenes jüngstes Album: Wenn erst mal alle Gräber geschändet und alle Dämonen beschworen sind, was bleibt dann noch zum Unruhestiften?

Es bleibt, na klar, die Musik. Und das ist für Madonna keine erfreuliche Nachricht. Ihre vorangegangenen Alben konnte man sich, wohlwollend formuliert, durchaus gut anhören. Inspiriert oder gar inspirierend waren sie nicht.

Nun bestand die Hoffnung, Madonna gelänge noch einmal die Trendwende – mit „Rebel Heart“, ihrer 13. Studioproduktion in 36 Jahren, die am Freitag erscheint und mit deren Songs sie im November auf Tour nach Berlin kommt. Aber „Rebel Heart“ ist einfach nur Madonnas nächstes Dance-Album geworden. 19 Lieder enthält es, die bereits ausgekoppelte Single „Living For Love“ – der energetische Song, zu dem Madonna in London von der Treppe stürzte – wurde zu Recht als Opener gewählt. Leider folgt dann nicht endenwollender Durchschnitt. Sicher, „Rebel Heart“ kann Laune bereiten. Als musikalisches Prozac. Als Endorphin-Tralala. Es klingt stellenweise wie Kylie Minogue der nuller Jahre, minus den Charme, minus die Spritzigkeit. Mit Diplo, Avicii und Kanye West hatte Madonna drei aktuell sehr relevante Produzenten im Studio, trotzdem klingt die Platte nirgends vorneweg, meistens hinterher.

Einmal wird Madonna ernst, singt von eigener Verletzlichkeit

Auf „Rebel Heart“ finden sich ein Reggaerhythmus („Unapologetic Bitch“), nerviges Auto-Tune („Ghosttown“), House- und Dubstep-Passagen, eine Rapeinlage von Ex-Boxer Mike Tyson („Iconic“). Ursprünglich war Jay-Z für den Part eingeplant, der mochte aber nicht. Es dauert bis Lied Nummer acht, „Joan Of Arc“, bis das Dancegedudel pausiert, der Akustikgitarre weicht und noch einmal zarte Hoffnung aufkeimt. Plötzlich wird Madonna ernst, singt von eigener Verletzlichkeit: „Each time they write a hateful word/ Dragging my soul into the dirt / I wanna die /Never admit it but it hurts.“ Diese Hoffnung hält 39 Sekunden, dann verhunzen Partybeats die Nummer.

Madonna erlitt bei dem Sturz bei den Brit Musik Awards eine Po-Prellung. Oder, laut anderen Quellen, ein kleines Schleudertrauma.
Madonna erlitt bei dem Sturz bei den Brit Musik Awards eine Po-Prellung. Oder, laut anderen Quellen, ein kleines Schleudertrauma.

© dpa

Schon die Monate vor der Albumveröffentlichung sind eher unglücklich verlaufen. Im Dezember stellt ein Unbekannter eine Reihe der neuen, noch nicht final abgemischten Songs ins Internet. Madonna tobte, klagt über „künstlerische Vergewaltigung“ und veröffentlicht überhastet eine EP mit sechs Songs. Es folgen Häme und Spott von anonymen Nutzern, die sich Urteile über die unvollendeten Songs erlauben. Darüber regt sich die Sängerin auf, zu Recht: Was nicht fertig ist, soll nicht kritisiert werden. Jetzt sind sie fertig.

Peinlich wird es, wenn Madonna über Verschwörungstheorien singt

Es heißt, Madonna wolle ein persönliches, ja intimes Album abliefern. Mit autobiografischen Offenbarungen, mit lange Verschwiegenem. Nun ja. In „Veni Vidi Vici“ beschreibt sie grob ihren Werdegang und webt ihre berühmtesten Songtitel ein. Das ist so intim, als hätte sie ihren eigenen Wikipedia-Eintrag vertont. Anderswo singt sie von Partys, Dancefloors und der Möglichkeit des Klebstoffschnüffelns. Wirklich peinlich wird es erst bei „Illuminati“, Madonnas Beitrag zum gegenwärtigen Hang zu Verschwörungstheorien. Darin besingt sie die angebliche Macht des Geheimbundes der „Illuminaten“, der ja noch mächtiger sein soll als Google oder Isis oder die amerikanische Regierung.  Spannendes Thema für alle, die seit Jahren nicht ins Internet geguckt haben.

Und dann schließlich der Song über Sex. Das kann Madonna doch, denkt man zuerst. Heimspiel. Immerhin sind Lust und Begehren seit jeher Hauptmotive ihres Schaffens, sie hat das Bild der Frau als selbstbestimmtes sexuelles Wesen mitgeprägt, sie sprengte Konventionen und überwand Gendergrenzen. Sie hat uns die Schönheit von Peitschen und Bondage erklärt, mehr als 20 Jahre vor Christian Grey.

Das Lied über Sex, das es vielleicht rausreißen könnte, trägt auf „Rebel Heart“ den verruchten Titel „S.E.X.“. Kurzer Auszug: „Oh my God, you’re so hot. Hold my head, let me get on top“. Wahnsinn, Madonna beschränkt sich im Schlafzimmer nicht auf die Missionarsstellung. Doch es geht noch weiter: „Oh my God, soaking wet. Back and forth ’til we break the bed“. Es muss eine regelrechte Orgie gewesen sein.

Mit jedem neuen Album wird die Kluft zwischen der einstigen und der heutigen Madonna unleugbarer. Die Popwelt verdankt ihr „Like a Prayer“ „Papa Don’t Preach“, den Kampf gegen Normierung und Verklemmtheit, ganz abgesehen von Henna, dem lesbischen Zungenkuss und ja, okay, ein paar ziemlich miesen Filmen.

Gibt es ihn, Madonnas ultimativen Tabubruch?

Das Problem ist, dass sich, wer sich für Madonnas Spätwerke noch richtig begeistern möchte, immerzu ihre verdienstvolle Biografie und die ganzen Lebensleistungen ins Bewusstsein rufen muss. Das wird zunehmend lästig. Und irgendwann ist die Verehrung von Madonna bloß noch eine Haltung.

Vielleicht ist ja genau dies Madonnas ultimativer Tabubruch: jenseits des künstlerischen Zenits einfach immer weiterzumachen. Komme, was wolle: Sie! Hört! Nicht! Auf! Dagegen spricht bloß, dass schon schrecklich viele andere auf diese Idee gekommen sind und gut daran verdienen. „Return To Forever“, die jüngste Mangelware der Scorpions, ist soeben auf Platz zwei der deutschen Charts eingestiegen.

Madonna wird weiterhin als „Queen of Pop“ gefeiert werden, daran können auch die nächsten fünf „Rebel Hearts“ nichts ändern. Das ist das Schöne an der Monarchie: Titel gelten auf Lebenszeit. Abwahl unmöglich.

„Rebel Heart“ erscheint am 6. März bei Interscope/Universal

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