zum Hauptinhalt
Rickson Tevez (r.) als Raphael und Gabriel Weinstein als Ratte in einer Szene des Kinofilms "Trash".

© dpa/Universal Pictures

Märchen aus der Favela: "Trash": Zwischen Müllhalde und Millionen

Ein Wunschtraum sozialer Gerechtigkeit: Stephen Daldrys neuer Film zeichnet sich nicht nur durch starke Kindercharaktere aus, sondern löst auch den westlichen Mitleidsblick auf.

Im hohen Bogen fliegt die Brieftasche aus dem Fenster und fällt in einen Müllwagen, der auf der Schnellstraße vorbeifährt. Der Mann, der sich ihrer entledigt hat, wird von der Polizei überwältigt, im Gefängnis gefoltert und auf einem Friedhof in Rio de Janeiro begraben. Die Brieftasche landet auf einer Müllkippe vor der Stadt, wo hunderte Kinder in rasender Geschwindigkeit die Wertstoffe heraussortieren, für die sie später Tages ein paar Real ausgezahlt bekommen.

Raphael (Rickson Tevez) kann sein Glück kaum fassen, als er die Brieftasche im Müll findet. Am selben Tag durchstreifen Zivilpolizisten die Favelas und setzen eine Belohnung für den Finder aus. Aber Raphael und seine Freunde behalten die Brieftasche und entdecken darin den Schließfachschlüssel, der sie mitten in einen millionenschweren Korruptionsskandal führt.

Die Jungs aus den Favelas

Es ist die klassische Geschichte von David gegen Goliath, die Stephen Daldry in „Trash“ erzählt – nach dem Jugendroman von Andy Mulligan, der in den Elendsvierteln von Mumbai und Manila als Lehrer gearbeitet hat. Dabei will der rasante Thriller keinesfalls hart sozialrealistisch, sondern als märchenhaftes Abenteuerkino verstanden sein – irgendwo zwischen „Slumdog Millionaire“ und „City of God“. Wie schon in „Billy Elliot“ beweist Daldry sein Gespür für starke Kindercharaktere. Die drei in den Favelas gecasteten Hauptdarsteller spielen das in Nebenrollen versammelte Hollywoodpersonal (Martin Sheen als abgeklärten Priester, Rooney Mara als Lehrerin) locker an die Wand. Bei einer Verfolgungsjagd durch einen Vorstadtzug überzeugt das Trio ebenso wie in den ruhigeren Szenen, in denen die Fragilität der viel zu jungen Helden gezeigt wird.

Sympathie statt Empathie

Dabei gelingt „Trash“ etwas, woran viele politisch korrekte Sozialtragödien scheitern: Er löst die Distanz auf, die der westliche Mitleidsblick erst konstruiert. Das soziale Elend wird zur innerfilmischen Normalität, weshalb der Zuschauer nicht nur Empathie, sondern Sympathie für die Helden entwickelt. Die im Müll wühlenden Jungs sind Teil eines funktionierenden sozialen Mikrokosmos, lassen sich nicht als Opfer stigmatisieren und bieten dem jugendlichen Zielpublikum viel Identifikationspotenzial an. Wenn dann die Geldscheine der erbeuteten Millionen über der Müllhalde niederregnen, ist das nur ein bunter Wunschtraum sozialer Gerechtigkeit – aber auch ein Happy End, das man den Figuren von Herzen gönnt.

In zehn Kinos; OmU: FaF, Freiluftkino, Cassiopeia, Kulturbrauerei, Sputnik

Zur Startseite