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Prachtvoll. Titelbild des Märchens von den unzertrennlichen Kontrahenten Abu Qir und Abu Sir.

© SMB, Leihgabe Sarah Wessel

Märchen im Ägyptischen Museum: Sindbad trifft Cinderella

Eine Ausstellung im Ägyptischen Museum zeigt, wie Araber und Europäer sich gegenseitig inspirierten.

Ein großes rundes Zelt lädt ein zum Verweilen und zum Hören: Es steht im Griechischen Hof im Untergeschoss des Ägyptischen Museums, auf drei Tablets lassen sich Märchen aus Marokko, Tunesien, Libyen, Syrien, Jordanien, Ägypten, Sudan und Deutschland über eine interaktive Karte anklicken. Die Kopie des Schreibers Henka (2504–2347 v. Chr.) unterstreicht das Prestige, das schon im alten Ägypten Menschen genossen, die lesen und schreiben konnten. Überliefert sind nicht nur politische oder wirtschaftliche Dokumente, sondern auch Geschichten. Die präsentiert die Ausstellung „Cinderella, Sindbad und Sinuhe. Arabisch-deutsche Erzähltraditionen“ als Abschluss eines Forschungsprojektes der Arab-German Young Academy of Sciences an Humanities (AGYA).

Auf einer über 3000 Jahre alten Kalksteinscherbe ist ein Auszug aus „Sinuhe“ in hieratischer Schrift geschrieben. Dieser stieg vom Pflegekind zum Leibarzt von Pharao Echnaton auf. Über die Liebe zu der babylonischen Hetäre Nefer vernachlässigt er seine Pflichten, die Tochter Echnatons stirbt und Sinuhe wird zum Tode verurteilt. Er kann fliehen, reist als Arzt durch die Welt und wird vermögend. Als er von einer drohenden Invasion der Hethiter erfährt, kehrt er zurück, um Echnaton zu warnen.

Märchen als Nebenprodukt der Diplomatie

Das Filmplakat „Sinuhe, der Ägypter“ (Regie Michael Curtiz) von 1954 zeigt, dass der Stoff in der arabischen Welt immer wieder rezipiert wurde, ähnlich wie die Geschichte vom beredten Bauern, in dem erstmals ein einfacher Mann die Herrschenden anklagt. Im sogenannten Westcar-Papyrus treten zum ersten Mal in der Literatur Zauberer auf. Das Märchen, das zu Zeiten des Pharao Cheops spielt, hat den ägyptischen Nobelpreisträger Nagib Machfus 1939 zu einem Roman inspiriert. In den Kreis dieser ältesten Werke der Weltliteratur gehört das Gilgamesch-Epos, das in der Ausstellung durch ein großes Fragment einer mesopotamischen Keilschrifttafel aus dem Königspalast von Hattuscha vertreten ist. Aus Oxford stammt die älteste arabische Handschrift der „1001 Nacht“, aus dem 9. Jahrhundert, die 1947 entdeckt wurde.

Viele Geschichten und Märchen wurden als Nebenprodukt von diplomatischen und wissenschaftlichen Reisen gesammelt. So hat Antoine Galland 1730 die erste Übersetzung der „1001 Nacht“ veröffentlicht. Aber auch Berichte früher arabischer Reisender wie Ibn Battuta aus dem 14. Jahrhundert zeugen von dem Interesse an fremden Kulturen. Mit Manuskripten, Büchern und Filmplakaten untersucht die Ausstellung wechselseitige Beeinflussungen. So hat sich Wilhelm Hauff zu „Die Geschichte vom kleinen Muck“ und „Kalif Storch“ durch arabische Märchen inspirieren lassen. Goethe darf mit seinem „West-Östlichen Diwan“ in dieser Ausstellung nicht fehlen. Er hat sich sogar in arabischer Schrift versucht, wie ein Blatt aus Weimar beweist.

Gemeinsamkeiten der Kulturkreise

Für die arabische Welt waren die Gebrüder Grimm auch nicht ohne Einfluss. So gibt es aus der Golfregion ein modernes Märchen vom Aufstieg eines Mädchens, das Fische schuppte, frei nach Aschenputtel oder Sindirilla, wie es auf Arabisch heißt. In weiteren Kapiteln untersucht die Ausstellung Gemeinsamkeiten beider Kulturkreise. Tiere, weise Narren, Helden als positive Vorbilder, Gut und Böse sowie der Schlaf sind Themen, die sich durch deutsche und arabische Märchen ziehen. Damit es nicht nur eine Vitrinenschau wird, sind überall Bänke mit Büchern aufgestellt, in denen es sich stöbern lässt, an Tablets kann man sich Märchen erzählen lassen. Familien mit Kindern sei diese Ausstellung empfohlen, die zeigt, dass der vermeintliche Fremde ganz eng mit uns verbunden ist.

Ägyptisches Museum im Neuen Museum (Museumsinsel in Mitte), bis 18. August. Täglich 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr.

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