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Michael Wertmüller

© Manuel Liebeskind/Berliner Festspiele

Märzmusik Festival: Göttinnen im Minenfeld

„Anschlag“ von Michael Wertmüller und Lukas Bärfuss erzählt von den unterschiedlichen Möglichkeiten der Auflehnung. Im Rahmen der Märzmusik wurde es jetzt in der Akademie der Künste aufgeführt.

Trägt ein Musiktheater den Titel „Anschlag“, stehen die Erwartungen hoch. Und ja: Es wird laut in der Akademie der Künste, wenn das Publikum von donnerndem Getrommel eingekesselt wird oder das Hammondtrio Steamboat Switzerland mit krassem Hardcore-Sound die Eingeweide vibrieren lässt. Aber der März- Musik-„Anschlag“ des Komponisten Michael Wertmüller erzeugt auch Explosivität, wo man sie nicht erwartet: Diverse Betrachtungen von Auflehnung kollidieren in Text und Musik. In ihrer Essenz, der Körperlichkeit, treffen sie sich.

Während die virtuose und rhythmisch anspruchsvolle Partitur die Musiker an ihre physischen Grenzen transportiert, untersucht Lukas Bärfuss in zehn lyrischen Texten Revolutionsvorgänge im Körper: Bereits die Befruchtung der Eizelle ist ein Anschlag, so wie jede anschließende Zellteilung . Wie einen Körper scannt Bärfuss Gesellschaft und Geschichte nach diesem Motiv, streift die Französische Revolution und hinterfragt den Fortschrittsbegriff. Die pervers-vergnügte Distanziertheit, mit der Karl-Heinz Brandt die Qualen in rhythmischem Sprechgesang schildert, spitzen Sopran-Arien zerbrechlicher Schönheit schmerzhaft zu.

Der Catwalk, auf dem das Sängerinnentrio (Clara Meloni, Anne-May Krüger, Ruth Rosenfeld) agiert, zieht nur optisch eine Grenze zwischen Hammondtrio und Streichquartett. Musikalisch ist diese inexistent. Frei und antipuristisch bedient sich Wertmüller in der Musikgeschichte. Unter der präzisen Leitung von Titus Engel verweben sich unverblümte Anklänge an Strauß, Schostakowitsch, Wagner und Ravel mit polymetrischen Jazzcore-Passagen. Die Gesangspartien sind von dankbarer Kantabilität, wie sie in der Neuen Musik selten anzutreffen ist. Natürlich treibt Wertmüller auch diese ins Extreme, doch den Sängerinnen merkt man den Kraftakt nicht an. Wie Göttinnen bewegen sie sich durch das musikalische Minenfeld.

Marie-Thérèse Jossen und Georges Delnon halten das Szenische reduziert. Sie lassen den Reibungen von Musik und Text den nötigen Raum. Manchmal erinnert „Anschlag“ mehr an eine Kantate: Wie ein Schlusschoral wirkt das Gedicht vom Kältetod „The Big Chill“. Als richtungslose Laute erklingen die Worte zu einer Musik, die nun in unwirklichem Einklang stillzustehen scheint.

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