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Kontrollfreak. Ordnung muss sein im organisierten Verbrechen. Der Boss (Johnny Depp) lässt einen Mann verprügeln.

© Warner Bros

Mafiathriller "Black Mass" mit Johnny Depp: Ich bin die Nacht

Johnny Depp spielt in „Black Mass“ einen Gangsterboss, der gerne mit bloßen Händen tötet. Der fulminant leiser Auftritt könnte ihm den Oscar verschaffen - nach drei vergeblichen Nominierungen.

Für die Mafia gelten keine Gesetze. Umso strenger hält sie sich an ihre eigenen Gebote. Das erste Gebot lautet: Du sollst nicht reden. Nicht mit deiner Partnerin, nicht mit der Presse, schon gar nicht mit der Polizei. Der Vorwurf, eine „Ratte“ zu sein, also ein Verräter, ist gleichbedeutend mit dem Todesurteil.

Scott Coopers Mafiathriller „Black Mass“ führt drastisch vor Augen, was mit Ratten passiert. Ein Mitglied des irischstämmigen Mobs von South Boston hat sich betrunken und dem Boss widersprochen. Er könnte zum Problem werden, zum Verräter. James „Whitey“ Bulger, der allmächtige Pate in diesem Teil der Stadt, unternimmt mit dem Kleingangster einen Spaziergang hinunter zum Fluss und schießt ihm mitten im Gespräch in den Hinterkopf. Eine präzise Exekution ohne jede Gefühlsaufwallung.

Friedhof am Fluss

Diese Distanz fehlt bei einer späteren Hinrichtung. Einer aus der Bande hat sich mit der Polizei eingelassen. Bulger foltert und erdrosselt ihn. Mit den Händen zu töten, das bereitet ihm sichtlich Freude. Die Leichen werden unter einer Brücke am Charles River verscharrt. Im Lauf des Films entsteht dort ein regelrechter Friedhof.

James „Whitey“ Bulger ist eine jener mythischen Gangsterfiguren, die zum Bestandteil der Popkultur wurden. Bis zu seiner Verhaftung 2011 rangierte er in Amerika zeitweilig auf dem zweiten Platz der meistgesuchten Verbrecher, gleich hinter Osama bin Laden. „Black Mass“ zeigt, wie er vom „Motherfucker“ zum „Kingpin“ aufsteigt, zum Bostoner Unterweltkönig, wie er den italienischen Clan der Angiulo-Familie eliminiert und die freundliche Unterstützung des FBI nutzt.

Gewaltiger Eierkopf

Zum Ereignis wird „Black Mass“ durch Johnny Depp, der Bulger in einer atemberaubenden Mischung aus Aasigkeit und Somnambulismus spielt. Den Oberkörper von einer Lederjacke mit Stehkragen zusammengehalten, hat er das graubraune Resthaar mit viel Pomade zurückgekämmt und präsentiert einen gewaltigen Eierkopf. Man erkennt ihn kaum wieder. Mit seinen staksigen Bewegungen erinnert Depp an einen Vampir, wie er ihn zuletzt in „Dark Shadows“ gespielt hat. Seine Befehle erteilt er mit leiser Stimme, fast flüsternd, und wenn jemand ihm in seinem Hauptquartier, der „Triple O’s Lounge“, davon erzählt, wie das Auge eines Mannes mit einer Gabel ausgestochen wird, dann sollte bitte, bitte niemand diese Geschichte unterbrechen. Denn es könnte lebensgefährlich werden.

Auch die Standardszene, in der der Gangsterboss die Einkaufstasche einer alten Nachbarin von seinen Leuten nach Hause tragen lässt, fehlt nicht. Nur dass die Frau am Ende fragt: „Wann bist du eigentlich aus Alcatraz rausgekommen, Jim?“ Dreimal war Johnny Depp für einen Oscar nominiert, mit „Fluch der Karibik“, „Wenn Träume fliegen lernen“ und „Sweeney Todd“. Wenn er ihn jetzt für seinen fulminant leisen Auftritt in „Black Mass“ wieder nicht bekäme, dann wäre das zumindest ungerecht.

Allein unter "Southies"

Depp ist ein Grund, den Film zu sehen. Leider ist er auch der einzige. Scott Cooper neigt in der Inszenierung zur Behäbigkeit. Zu seinem Country-Melodram „Crazy Heart“ passte die Entschleunigung, doch schon „Auge um Auge“, ein Krimi um zwei Brüder, hatte entschieden zu wenig Drive.

Was „Black Mass“ fehlt, ist ein starker Antagonist. Der FBI-Agent John Connolly, ebenfalls ein „Southie“ aus Süd-Boston, schließt einen Pakt mit dem aufstrebenden Boss: Bulger soll Informationen liefern und dafür straffrei bleiben. Einzige Bedingungen: kein Mord, keine Drogen. Bulger wird zum Spitzel, hält sich selbstverständlich nicht an die Auflagen und gibt nur Tipps, die das FBI ohnehin bereits hat. Connolly, gespielt von Joel Edgerton, unterwirft sich. Er bewundert den Gangster, sonnt sich in dessen Glanz, lässt sich kaufen. Die Ratte, das ist in diesem Fall der Polizist.

Die Kriege des FBI

„Lass das FBI unsere Kriege führen“, sagt Bulger, und das FBI wirft sich tatsächlich skandalöse zwanzig Jahre lang für ihn in die Bresche. Der Pate hat einen weiteren Beschützer, seinen Bruder William M. Bulger, Präsident des Senats von Massachusetts. Benedict Cumberbatch verkörpert ihn als vornehm hüstelnden Blender. Doch weil in „Black Mass“ die Nebenfiguren eindimensional bleiben, sind die Gewichte falsch austariert. Man hat ohnehin das Gefühl, die Geschichte schon mal gesehen zu haben. Und besser. So erzählte Clint Eastwood in „Mystic River“ vom Bostoner Filz, und Ben Affleck zeigte in „The Town“, was Bostoner Bankräubern droht, die sich mit dem Mob anlegen. Sie werden durchlöchert.

In 17 Berliner Kinos; OV im Alhambra und Cinestar SonyCenter

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