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Gewagt ist die Neugestaltung des Militärhistorischen Museums in Dresden. Daniel Libeskind hat einen mächtigen Keil in die Gründerzeitfassade eingebaut.

© dapd

Magazin Sommerkultur: Viel Platz für große Schätze

Wer das Gebiet der neuen Länder von Nord nach Süd durchmisst, findet kulturellen Reichtum.Entdecken lässt sich Kunst in alten Gemäuern, ehrwürdigen Galerien und futuristischen Neubauten. Und noch ist nicht alles ausgepackt. Nicht nur Caspar David Friedrich wartet noch auf sein Museum.

Zwischen Nord- und Süddeutschland verläuft ein kultureller Graben, zwischen protestantischen und katholischen Landesteilen. Anderes hat mitgewirkt, aber es gibt sie, die historische Scheidelinie zwischen dem eher kargen Norden und dem üppigen Süden.

So jedenfalls lässt es sich in den immer noch „neu“ genannten Bundesländern feststellen, weit mehr als in der alten Bundesrepublik. Die südlichen Bundesländer Sachsen und Thüringen stellen ihren kulturellen Reichtum stolz zur Schau, leiden gar unter dem Aufwand, ihn zu unter- und zu erhalten; die nördlichen Länder Brandenburg, Mecklenburg- Vorpommern sowie Sachsen-Anhalt haben insgesamt weniger zu bieten, sie müssen ihre Schätze konzentrieren. – Berlin, obgleich inmitten des kulturell kühleren Nordens gelegen, bleibt als Hauptstadt und kulturelles Schaufenster in dieser Betrachtung außen vor.

An der Museumslandschaft lässt sich das überprüfen. Wer das Gebiet der neuen Länder von Nord nach Süd durchmisst, wird mit dem Wandel der Landschaft hin zu den lieblichen Mittelgebirgen auf einen kulturellen Reichtum stoßen, der sich in den Ortschaften mitteilt. Man muss nur einmal von Berlin nach Dresden reisen: Wie sich da nach Sandboden und Kiefernwäldern plötzlich der Horizont wellt, das Elbtal auftut und Dresden erscheint! Und dann die Silhouette von der Stadt beim Überqueren der Elbe, mit den charakteristischen Türmen und Kuppeln. Einer der Türme zeigt das Schloss an, den Sitz der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. In ihrer Residenzstadt haben die sächsischen Herrscher in 450 Jahren seit der Einrichtung einer Kunstkammer dermaßen viele Schätze angehäuft, dass sie alle anderen Residenzen mit Ausnahme Münchens und – sehr viel später – Berlins übertrafen. In Dresden aber ist in so altertümlich klingenden Einrichtungen wie der Rüstkammer oder dem Mathematisch-Physikalischen Salon die Quintessenz fürstlichen Sammeleifers zu bewundern, Waffen, Prunkrüstungen, aber ebenso wissenschaftliche Apparate und die erlesensten Porzellane. Dazu die unvergleichlichen Kunstschätze, die sich auf die Galerie Alte Meister sowie die Skulpturengalerie und die Galerie Neue Meister im Albertinum verteilen. Und als Höhepunkt das Grüne Gewölbe, Prunklust pur, minuziös wiederhergestellt, ein Triumph auch der Restaurierungskunst.

Doch Dresden ist auch Krieg, mehrfach vom Krieg verwüstet: Das Militärhistorische Museum im Norden der Stadt deutet es an, mit dem vom Architekten Daniel Libeskind in den gründerzeitlichen Bau hineingetriebenen Keil. Innen: ein Themenmuseum von großer gedanklicher und inszenatorischer Reife.

Das bürgerliche und industrielle Sachsen: Leipzig und Chemnitz

Sächsisches Gegengewicht war stets Leipzig, die Bürgerstadt. Das Grassi-Museum, diese eigenwillige Kombination von Völkerkunde und angewandter Kunst, hat ihr schönes Gebäude zurück gewonnen. Gänzlich neu erstand das Museum der bildenden Künste in der Innenstadt, ein gewaltiger Kubus, in dem durch Bürgerstiftungen bis zum Nachlass Max Klingers die ganze europäische Kunstgeschichte vertreten ist. Anschluss an die Gegenwart stellt die Galerie zeitgenössischer Kunst am Rand der Innenstadt her, eine mäzenatische Stiftung, zu der die Gelder bald nach der Wende eingeworben wurden. Um jüngere bis jüngste Geschichte geht es beim Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, dem einzigen Ableger des Bonner Hauses der Geschichte der Bundesrepublik, als Reverenz an die „Heldenstadt“ vom Herbst 1989.

Ein Gewinn für Chemnitz. Das Museum Gunzenhauser in dem Gebäude der ehemaligen Sparkasse bereichert die Städtischen Kunstsammlungen.
Ein Gewinn für Chemnitz. Das Museum Gunzenhauser in dem Gebäude der ehemaligen Sparkasse bereichert die Städtischen Kunstsammlungen.

© ddp

Zum feudalen und dem bürgerlichen Sachsen kommt das industrielle: Chemnitz. Hier waren die Einschnitte der De-Industrialisierung nach der Wende am schmerzlichsten. Sie werden nie ganz überwunden werden können. Umso bewundernswürdiger ist der Wiederaufstieg der Museen. Die Städtischen Kunstsammlungen in ihrem glücklich erhaltenen, stolzen Jahrhundertwendebau strahlen mit einem ambitionierten Ausstellungsprogramm über die Landesgrenzen hinaus. Dass es gelang, die an Kunst der Weimarer Republik enorm reiche Sammlung Gunzenhauser aus München nach Chemnitz zu locken und in dem aufgegebenen Hauptgebäude der Sparkasse auch stilgeschichtlich treffend unterzubringen, tröstet über die Wunden der NS-Aktion „Entartete Kunst“ hinweg.

Gänzlich anders und doch vergleichbar reich stellt sich die Museumslandschaft im benachbarten Thüringen dar. Thüringen ist historisch gesehen ein Teil Sachsens, nach der Leipziger Teilung 1485 der ernestinischen Linie der Wettiner gehörig. Die unselige Erbteilung setzte sich fort, zeitweilig soll es zehn verschiedene Herzogtümer gegeben haben. Man kann es kaum glauben und glaubt es dann doch, überblickt man die zahllosen Residenzen und Residenzchen, die heute mit ihren Schlossmuseen einen Aspekt des thüringischen Reichtums ausmachen.

Hervorzuheben ist Schloss Friedenstein in Gotha, ein gewaltiges Schloss und eine überragende Sammlung, die in ihren Räumen geschichtliche Atmosphäre bewahrt. Altenburg war lange mit Gotha verbunden, zuvor im 17. Jahrhundert ein eigenes Herzogtum. Das Lindenau-Museum besitzt mit seiner Sammlung italienischer Tafelmalerei des 13.-16. Jahrhunderts internationalen Rang, die Sammlung entstand zur Zeit der Klassik.

Weimar - der kulturelle Nabel der deutschen Klassik

Damit ist Weimar angesprochen, der kulturelle Nabel – nicht Thüringens, sondern der Deutschen Klassik. Es ist bezeichnend für die Verhältnisse im Alten Deutschen Reich, dass eine beschauliche Mittelstadt wie Weimar eine solche zentrale und zudem unstrittige Rolle einnehmen konnte. Im Zeitalter Goethes bündeln sich Kunst, Literatur, auch Naturwissenschaften, Philosophie sowieso; und so sind denn auch die Sammlungen der Klassik Stiftung Weimar ausgreifend in alle diese Gebiete. Bauliches Juwel ist eine Bibliothek: die der Herzogin Anna Amalia, die 2004 bei einem Brand schwer beschädigt wurde und durch diesen Schock eine Welle nationalen Beistandes bewirkte, der Weimar überhaupt wieder an seinen angemessenen Platz im Bewusstsein der Deutschen setzte.

Dass Weimar aber darüber hinaus nicht nur ein „silbernes Zeitalter“ – zu dem die Kunst eher wenig beitrug –, sondern auch eine „moderne“ Epoche aufweist, muss noch deutlicher sichtbar werden: mit dem nun endlich konkret geplanten Bauhaus-Museum, das an die kurzen, aber ertragreichen Jahre zwischen 1918 und 1925 erinnern wird. Die Sammlungen sind da, es fehlt die Behausung.

Weiter nach Norden kommt in Sachsen-Anhalt Halle in den Blick, das seine museale Bedeutung nicht zuletzt gleichfalls der nach Weimar benannten Republik verdankt. Die Galerie Moritzburg war ein Zentralort der künstlerischen Moderne, unendlich geschädigt von den Nazis, doch seit der Wende mit Zukäufen nicht zuletzt dank der Kulturstiftung der Länder einigermaßen entschädigt. Mehr als Entschädigung ist der grandiose Umbau der Moritzburg durch das spanische Architekturbüro Nieto/Sobejano.

Blick in die Säulenhalle des restaurierten Grassi Museums für Angewandte Kunst in Leipzig.
Blick in die Säulenhalle des restaurierten Grassi Museums für Angewandte Kunst in Leipzig.

© Christoph Sandig

Und dann gibt es das Glück der Archäologen: die so genannte „Himmelscheibe von Nebra“, die 3600 Jahre alte und damit älteste Himmelsdarstellung überhaupt. Sie entstammt einer Raubgrabung des Jahres 1999, sichergestellt 2002; und prangt seit 2008 im Landesmuseum für Vorgeschichte, einem bemerkenswert trutzigen Bau des frühen 20. Jahrhunderts. Doch das älteste Museum der Stadt liegt an anderer Stelle: als Teil der Franckeschen Stiftungen, einem gegen 1700 in pragmatischer Absicht entstandenen und alsbald gewachsenen Gesamt(kunst)werk aus Waisenhäusern, Schulen, Bibliothek und der vorzüglichen naturhistorischen Sammlung, die ein „Museum des Museums“ bildet.

Magdeburg - Sammelort des deutschen Hochmittelalters

Auf dem Weg von Halle nach Dessau wird jene geografische Scheidelinie überschritten, von der eingangs die Rede war. In der damaligen Industriestadt Dessau eröffnete 1925 das Bauhaus sein berühmtes Gebäude und seine produktivste Phase. Das Bauhaus ist Museum, mit wachsender Sammlung, und historisch gesehen ein Gegengewicht zum Gesamtkunstwerk des aufgeklärten Dessauer Hofes im nahen Wörlitz. Weiter nach Norden zur Hauptstadt des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, Magdeburg: als Sammelpunkt deutscher Geschichte des Hochmittelalters mit – trotz all der furchtbaren Zerstörungen wie zuletzt 1945 – immer noch bedeutendem Baubestand und dazu dem Kulturhistorischen Museum, das mit dem Magdeburger Reiter ein Epochenwerk bewahrt.

Man kann nun Brandenburg umfahren, um den dann wieder reichen Nordrand Deutschlands zu erreichen, die Ostseeküste mit ihren historisch und baugeschichtlich reichen Hansestädten und auch der Residenzstadt Schwerin. Das Staatliche Museum Schwerin – Kunstsammlungen, Schlösser und Gärten umfasst das Kunstmuseum am Schweriner See mit seiner herausragenden Sammlung flämischer und niederländischer Malerei, das großherzogliche Schloss als Gesamtkunstwerk des Historismus des 19. Jahrhunderts und dazu Schlossmuseen in Güstrow und dem zu DDR-Zeiten als Garnisonsstadt der Roten Armee gepeinigten Ludwigslust. Mit der Ernst-Barlach-Stiftung besitzt Güstrow ein um den Nachlass des Bildhauers aufgebautes Künstlermuseum, in dem das Grüblerische, auch Schwermütige des Nordens als Gegenpol sächsisch-katholischer Leichtigkeit fühlbar wird. Übrigens erhielt die Stiftung den ersten Museumsneubau in den „neuen“ Bundesländern.

Spektakulär ist der Umbau der Moritzburg von Nieto / Sobejano zum Kunstmuseum Moritzburg in Halle.
Spektakulär ist der Umbau der Moritzburg von Nieto / Sobejano zum Kunstmuseum Moritzburg in Halle.

© ddp

Den spektakulärsten Neubau hingegen bekam Stralsund: das Ozeanum, gewissermaßen die Fortsetzung des Meeresmuseums in der Katharinenkirche, eine Mischung aus Museum, Aquarium und Eventstätte. Durch das Ozeanum ist Stralsund neu an die Ostsee angebunden worden, deren Bedeutung für die Wirtschaft der Stadt zurückgegangen ist. Prekärer stellte sich lange Zeit die Lage in Greifswald dar. Die Gründung der Stiftung Pommersches Landesmuseum im Jahr 1996 war eine Antwort auf die Krise der Stadt. Bis 2005 eröffneten sechs Bauteile des Museumskomplexes, dessen Krönung noch aussteht: die Errichtung eines Caspar-David-Friedrich-Museums für den bedeutendsten Künstler der norddeutschen Romantik.

Brandenburg ganz im Zeichen von Friedrich II.

Und nun doch zurück nach Brandenburg, in einer ungerecht schnellen Bewegung, vorbei an den Klöstern der märkischen Backsteingotik, direkt ins friderizianische Rokoko: nach Potsdam. Die brandenburgische Landeshauptstadt schwelgt zumal im 300. Geburtsjahr Friedrichs des Großen in seinen und seiner Nachfahren Schöpfungen, dem Schlossensemble von Sanssouci mit seinen vielfältigen Kunst- und Bildergalerien. Die Bildergalerie Friedrichs in Sanssouci spiegelt heute nur noch ansatzweise die Sammlung ihres Gründers, gingen doch etliche Hauptwerke 1829 ins (Alte) Museum auf der Berliner Museumsinsel und wurden ein Jahrhundert später durch andere Kunstwerke aus dem Umfeld des großen Königs ersetzt.

Das Schweriner Schloss ist als Gesamtkunstwerk ein bedeutendes Museum des Historismus.
Das Schweriner Schloss ist als Gesamtkunstwerk ein bedeutendes Museum des Historismus.

© ddp

Im Orangerieschloss König Friedrich Wilhelms IV. von 1858 findet sich ein kulturgeschichtlich überaus wertvolles Zeugnis einer uns Heutigen fremd gewordenen Kunstauffassung: der Raffael-Saal mit über 50 Kopien von Werken Raffaels. Wenn man so will: die größte Raffael-Sammlung der Welt. Nur nicht original. Man kann dies auch als Metapher verstehen: als Metapher für die naturgegebene Armut des märkischen Landes, dem allein ein zielstrebiger Wille eine solche kulturelle Leistung zu entringen vermag, wie sie im preußischen Arkadien von Potsdam-Sanssouci Gestalt gewonnen hat. Als Gegenstück zu dem quasi natürlichen Reichtum, wie er in Sachsen verschwenderisch zutage tritt.

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