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Gebürtige Londonerin mit ghanaischen Eltern, zu Hause in Berlin. Sharon Dodua Otoo, eine der 30 "Stadtsprachen"-Stimmen.

© Mike Wolff

Magazin "Stadtsprachen": Meine Zunge, deine Zunge

In wie vielen Sprachen schreibt Berlin? Das Online-Magazin "Stadtsprachen" weiß die Antwort - jetzt auch gedruckt. Die Zeitschriftenkolumne.

Von Gregor Dotzauer

Im Idealfall zwinkern sich die Sprachen, die sie sprechen, auch literarisch zu. Zum Beispiel bei Eugene Ostashevsky, der als gebürtiger Leningrader das Russische seiner Kindheit mit dem Amerikanischen seiner Jugend in der Emigration verquickt und beides seit seinem Berliner DAAD-Stipendium 2014 mit dem Deutschen konfrontiert. „Das Lied hat gelogen. The song lied“, beginnt eines seiner „Feeling Sonnets“. Aus trügerischen Homonymen unter einer russischen Überschrift konstruiert es eine Spannung, die sich in einer Assonanz fortsetzt: „Sorrow was the issue. Der Ausgang war Leid.“ Bilanz dieser linguistischen Grundlagenforschung: „Often you write das Leid but read das Lied.“

Ostashevsky ist einer der bisher rund 170 Autoren und Autorinnen aus 30 Sprachen, die im Berliner Online-Magazin stadtsprachen.de vertreten sind und nun zum ersten Mal in einer gedruckten Auswahl vorliegen. Unter dem Titel „Parataxe“ haben die Organisatoren des 2016 aus dem Stadtsprachen-Festival hervorgegangenen Projekts eine großformatige Klappenbroschur herausgegeben (KLAK Verlag, Berlin 2019, 128 Seiten, 10 €), die 30 Fenster in dieses nur teilweise bekannte anderssprachige Berlin öffnet. Am 12. April wird das Erscheinen des Magazins im Neuköllner Prachtwerk gefeiert.

Eine klare Typologie der Beteiligten ist schwer. Schon das Mauer-Berlin zog Künstler aus aller Welt an – und das jenseits der hochsubventionierten Kulturprogramme, die internationales Blut in die anämische Provinz pumpen sollten. Der Inder Rajvinder Singh kam 1981 hierher, der Amerikaner William Cody Maher 1987, blieb bis 1998 und ist seither der Stadt doch tief verbunden. Der Vietnamese The Dung zog im Jahr der Wende nach Berlin. Seit 2010 betreibt er mit der Edition Vipen einen eigenen auf Deutsch, Englisch und Vietnamesisch veröffentlichenden Verlag. Doch in den letzten Jahren hat eine neue literarische Internationalisierung eingesetzt.

Wohlstandsgefälle nach oben und unten

Sie ist der Nebeneffekt der allgemeinen Migrationsbewegungen, die durch Wohlstands- und Demokratiegefälle nach oben und unten entstanden sind: die unbezahlbaren Mieten in London und die deprimierenden Gehältern in Bukarest, die illiberalen Anwandlungen der Budapester Regierung und die Verelendung in einigen afrikanischen Staaten. Sie wird aber auch von einem rasant gewachsenen Verständnis für kulturelle Hybridität befördert. Die Schriftsteller, die für sie einstehen, mögen nur zum Teil auf der weltliterarischen Bühne mitspielen, wo das Editorial Vladimir Sorokin, Marie NDiaye oder (die schon wieder weitergezogene) Taye Selasi sieht. Dafür haben sich ihre weniger prominenten Kollegen als Künstler und Vermittler mitunter tief in der einheimischen, nach Gattungen und Neigungen ausdifferenzierten Szene eingenistet.

Eine Sprachwechslerin wie die Argentinierin Maria Cecilia Barbetta ist ein selbstverständlicher Teil der deutschen Gegenwartsliteratur geworden. Die ungarischen Dichterinnen Orsolya Kalász und Kinga Tóth haben sich in ihren beiden Sprachen eingerichtet. Einem großen Erzähler und Essayisten wie Bora Cosic gelingt es nur hier, an seiner dezidiert antinationalen Doppelidentität als Kroate und Serbe festzuhalten.

Von der chilenischen Bestsellerautorin Patricia Cerda mag man mangels übersetzter Romane hierzulande noch nichts gehört haben. Als Beobachterin lateinamerikanischer Literaturgeschichte, die in ihrem Beitrag zurecht an einen langen Austausch mit Deutschland erinnert, hat sie etwas zu sagen. Und die aus Kamerun stammende Clementine Ewokolo Burnley malt sich eine afrikanische Literatur aus, die alte Männer wie Wole Soyinka oder Chinua Achebe hinter sich und die Frauen zum Zuge kommen lässt – eines Tages vielleicht ohne Geschlechterzuweisung. Wieder andere wie die Amerikanerinnen Nell Zink oder Andrea Scrima haben in Berlin einfach eine Heimat auf unbestimmte Zeit gefunden. Mit Asien rückt demnächst der literarisch unsichtbarste Kontinent ins Licht eines Stadtsprachen-Symposions: Am 23. Mai stellen sich im LCB bei FernostBerlin chinesische und südostasiatische Autoren vor.

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