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Zeit für einen Wechsel. Staatsballett-Chef Vladimir Malakhov zieht sich aus Berlin zurück. Die Choreographin Sasha Waltz sucht neue Perspektiven. Fotos: dpa

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Malakhov Nachfolge: Warum Sasha Waltz das Staatsballett neu beleben könnte

Umbruch im Tanz: Vladimir Malakhov verlässt das Staatsballett. Sasha Waltz könnte es neu beleben – und in Berlin bleiben. Ein Krisentreffen mit Kulturstaatsminister André Schmitz ist schon anberaumt.

Von Sandra Luzina

Die Ära Malakhov geht zu Ende. Am Freitag hat der Intendant des Staatsballetts Berlin und Erste Solist vor seinen Mitarbeitern erklärt, dass er seinen Vertrag über die Spielzeit 2013/2014 nicht verlängern wird. Überraschend kommt der Schritt nicht. Malakhov zieht damit wohl die Konsequenzen aus der anhaltenden Kritik.

Der Weltstar aus der Ukraine wurde 2002 als Retter nach Berlin geholt. Nach zähem Ringen sollte das Berliner Ballett endlich seine künstlerische und wirtschaftliche Autonomie erhalten. Malakhov hat dem aus den drei Opernkompanien fusionierten Staatsballett Berlin eine klassisch-russische Ausrichtung gegeben – was auch sein Auftrag war.

Seine Verdienste sind unbestritten. Er hat das demoralisierte Ballett verjüngt und das tänzerische Niveau sichtbar angehoben. Doch bald zeigten sich auch seine Versäumnisse. Malakhov hat es in fast neun Jahren als Chef des Staatsballetts nicht geschafft, ein interessantes Repertoire aufzubauen. Bei seiner Spielplanpolitik lässt er sich zu sehr von den eigenen Interessen leiten. Zudem suchte er sich mit Vorliebe Stücke, die als Starvehikel für ihn taugen. Diese vertanzten Biografien berühmter Tänzer endeten meist im Schwulst, und die modernen Ballettabende enttäuschten allesamt. Malakhov und seine Berater hinken den aktuellen Tendenzen hinterher: blamabel für ein Hauptstadt-Ballett.

Als die Primaballerina Polina Semionova im März letzten Jahres das Staatsballett verließ, war das ein schwerer Schlag für Malakhov. Er hatte die damals 17-jährige St. Petersburger Elevin nach Berlin geholt, wo sie rasch zur Starballerina aufstieg. Semionova ist heute Principal Dancer beim American Ballet Theater. Ihren Absprung hat das Staatsballett bis heute nicht verschmerzt.

Hinter Malakhov liegt freilich auch ein schwieriges Jahr. Der 45-Jährige laboriert seit einer Weile an Verletzungen herum und schien zuletzt seinen exzellenten Ruf als „Jahrhunderttänzer“ zu beschädigen. Lange Zeit hat er sich zuallererst als Tänzer verstanden und weniger als Intendant. Im Ensemble wächst die Unzufriedenheit. Zumal Malakhov für diese Spielzeit ursprünglich keine Premieren vorgesehen hatte – wegen zu hoher Aufwendungen im letzten Jahr. Zwar wurde noch schnell ein Abend für junge Choreografen im Club Berghain angekündigt. Doch es droht der künstlerische Stillstand. Das Berliner Publikum war Vladimir Malakhov allerdings stets treu. Die Platzauslastung liegt bei fast 85 Prozent.

Sasha Waltz sucht neue Perspektiven in Berlin.
Sasha Waltz sucht neue Perspektiven in Berlin.

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Kulturstaatssekretär André Schmitz hat bereits mit potenziellen Nachfolgern verhandelt. Sein Wunschkandidat Martin Schläpfer, Ballettdirektor in Düsseldorf, hat Berlin aber bereits eine Absage erteilt und seinen Vertrag an der Deutschen Oper am Rhein verlängert. Schläpfer, der für seine neoklassischen Ballette gefeiert wird, wäre eine gute Wahl gewesen. Ein Anwärter auf die Malakhov-Nachfolge ist angeblich der Katalane Nacho Duato, 56, der derzeit das nicht gerade bedeutende Michalowsky-Ballett in St. Petersburg leitet. Duato wäre eine Verlegenheitslösung, denn die Zeit seiner großen Erfolge liegt schon einige Jahre zurück. Aber das hat hier ja auch schon Tradition: Man holt Künstler erst nach Berlin, wenn sie ihre Glanzzeit hinter sich haben.

Auch über eine moderne Ausrichtung des Staatsballetts wird wieder nachgedacht. Das würde Jahre der Aufbauarbeit bedeuten, doch die Malakhov-Nachfolge kann man nicht isoliert betrachten. Denn es brennt auch an anderer Stelle. Mit Sasha Waltz & Guests hat Berlin eine zeitgenössische Compagnie von internationaler Ausstrahlung. Aber wie lange noch? Und ist es nicht widersinnig, nach einem neuen Ballett-Lenker zu fahnden, wenn man eine Künstlerin wie Sasha Waltz in der Stadt hat?

Sasha Waltz ist die bedeutendste Choreografin seit Pina Bausch

Nach dem Tod von Pina Bausch gilt Sasha Waltz (Jahrgang 1963) als die bedeutendste deutsche Choreografin, ihr multinationales Tanzensemble wird in aller Welt gefeiert. Ihr rasanter Aufstieg ist eng mit der Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes in Berlin verknüpft. Ein Stipendium führte die unbekannte Tänzerin 1993 nach Bethanien. Hier entstand das erste „Dialoge“-Projekt, zu dem Sasha Waltz Künstler aus unterschiedlichen Disziplinen eingeladen hatte. Damit legte sie den Grundstein für ihre weiteren Arbeiten. Sie bespielte das leer stehende Jüdische Museum von Daniel Libeskind (1999) und eröffnete das von David Chipperfield gestaltete Neue Museum. (2009). Sasha Waltz hat dem Tanz neue Räume erobert. Und sie hat Berliner Theatergeschichte geschrieben. 1996 gründete sie zusammen mit Jochen Sandig die Sophiensäle in Berlin-Mitte, bis heute eine wichtige Produktionsstätte für freies Theater und Tanz. Von 1999 bis 2004 gehörten Waltz und Sandig dem Direktorium der Schaubühne an. Schauspiel und Tanz sollten hier gleichberechtigt sein. Ein Traum, der bald in Querelen und Futterneid unterging. Seit März 2004 arbeitet Sasha Waltz wieder unabhängig. Das bedeutet auch, dass sie immer wieder neu für eine Förderung kämpfen muss.

In Berlin bezog die umschwärmte Choreografin 2006 einen neuen Ort. Das Domizil des Künstlerkollektivs Sasha Waltz & Guests ist seither das Radialsystem V an der Spree. Dies sei zwar ein wunderbarer Ort der Kreation, betont Sasha Waltz, aber ihre Opern und die größeren Repertoire-Arbeiten kann sie in dem umgebauten Pumpwerk nicht zeigen. Sasha Waltz & Guests gastieren momentan mit „Matsukaze“ in der Staatsoper im Schiller-Theater. Es ist jedes Mal schwierig, eine ihrer Opernproduktionen in Berlin zu zeigen. Für das Publikum ist es frustrierend. Auch die Vorstellungen von „Matsukaze“ waren wieder schnell ausverkauft.

Sasha Waltz selbst empfindet ihre Situation als absurd. Sie ist die Botschafterin des deutschen Tanzes, muss aber in Berlin darum kämpfen, gesehen zu werden. Die Choreografin hat gerade in Indien ein „Dialoge“-Projekt realisiert; sie wird im Mai mit dem Mariinsky-Ballett in Sankt Petersburg eine neue Version von Strawinskys „Sacre du Printemps“ kreieren. Zuletzt hat sie an der Pariser Oper und der Mailänder Scala gearbeitet – ihre Arbeiten sind begehrt wie nie. Und nun drängt sie auf eine baldige Lösung. Denn ihre Arbeitssituation in Berlin ist untragbar geworden und spricht der internationalen Bedeutung der Choreografin Hohn. Das Ensemble wird bis heute nicht institutionell gefördert, zudem kann die Compagnie nur zwölf Tänzerstellen finanzieren und muss mit Gästen arbeiten. „Wir sind offen für Lösungen, aber es muss rasch etwas passieren“, sagt Jochen Sandig, der Lebensgefährte von Sasha Waltz und künstlerische Leiter.

Sasha Waltz möchte gern in Berlin bleiben, doch wenn sich ihr nicht neue Perspektiven bieten, will sie weiterziehen. Sie meint es ernst. Am Montag werden sich Sasha Waltz und Jochen Sandig mit Kulturstaatssekretär André Schmitz zum Krisengespräch treffen. Berlin muss alles tun, um die berühmte Choreografin zu halten. Malakhov geht, Waltz bleibt: Da liegt die Lösung auf der Hand. Wenn man Mut und Fantasie hat. Das Staatsballett und die Berliner Tanzszene brauchen beides dringend.

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