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Kultur: Malen ist magisch

Der US-Künstler Chuck Close, derzeit in Berlin, spricht über das MoMA, Flick und neue Trends

Herr Close, Sie sind nach Ihrer Ankunft in Berlin direkt auf das Art Forum gegangen. Welchen Eindruck hatten Sie von Berlins Messe für Gegenwartskunst?

Irgendwie sind alle Kunstmessen gleich: Man hängt Bilder in Boxen, und die Erfahrung, sie dort zu sehen, ist immer etwas nervig. Aber ich fand die Atmosphäre in Berlin sehr lebendig. Die gezeigten Künstler sind deutlich jünger als auf anderen Messen. Und es waren natürlich viel mehr europäische Galerien, als wir in Amerika je zu Gesicht bekommen. Die Menge großformatiger Fotografien überraschte mich. Die Düsseldorfer Fotoschule scheint unglaublichen Einfluss auf die Gegenwartskunst zu haben.

Malerei war jahrelang ein Thema auf der Messe. Viele junge Künstler arbeiten wieder figurativ. Sie haben immer gegenständlich gemalt – was ist Ihnen bei diesen Künstlern aufgefallen?

Ich habe lange genug gelebt, um mitzubekommen, wie die Malerei fünf oder sechs Mal für tot erklärt wurde. Die beste Zeit zum Malen ist immer, wenn alle anderen entschieden haben, es gebe keinen Bedarf dafür. Es ist immer schön zu sehen, wie junge Künstler die Kraft der Malerei wieder entdecken. Malerei ist nun einmal die magischste aller Künste, weil sie die physische Realität überwindet: Man schmiert Farbe und Dreck auf eine flache Oberfläche, und es ist erstaunlich, was daraus werden kann. Nach so viel Installation, Video und Fotografie, wo es keine Materialhaftigkeit und vor allem keine Handschrift gibt, kann ich gut verstehen, dass die Jugend begeistert darüber ist, wieder etwas mit der Hand zu schaffen.

Überzeugen die jungen Maler Sie?

Sie meinen das Elizabeth-Peyton-Zeug? Es ist leichthändig, aber auch schwachbrüstig. Was nicht als Bewertung gemeint ist, nur als Beschreibung. Die gleiche Diskussion gibt es in den Staaten. Der belgische Maler Luc Tuymans hat offensichtlich einen großen Einfluss.

Eine der großen Entdeckungen des Art Forums ist die polnische Gegenwartskunst, die sich ebenfalls stark auf Malerei verlegt hat. Wie stark ist die osteuropäische Kunstszene in den USA bekannt?

Überhaupt nicht, so weit ich weiß. Sie müssen bedenken: Für den amerikanischen Blick ist Europa ein Ganzes. Wir unterscheiden kaum zwischen den einzelnen Ländern. Was andersherum genauso gilt: Für Europäer sieht Amerika wie ein einheitlicher Block aus. Wohingegen für uns die Vereinigten Staaten eine Ansammlung verschiedener Teile sind. Menschen aus dem Süden, Westen, Osten sind voneinander so unterschiedlich wie europäische Länder untereinander.

Gestern wurde die MoMA-Ausstellung in Berlin geschlossen. War ihr großer Erfolg auch ein Thema in Amerika?

Ich habe von den Schlangen gehört. Es ist nur gerecht, dass jetzt ihr mal anstehen müsst, um unsere Kunst zu sehen. Denn normalerweise ist es umgekehrt: Es gibt eine lange Tradition, dass Amerikaner Schlange stehen, um europäische Kunst zu sehen. Wenn sich in Amerika jemand für etwas anstellt, ist es mit großer Wahrscheinlichkeit in Europa entstanden.

Das klingt kurios: Denn in Berlin gab es gerade die Diskussion, ob die MoMA-Auswahl nicht zu sehr auf amerikanische Kunst fokussiert und den internationalen Aspekt vernachlässigt.

Ich finde es naheliegend, dass man, wenn man nicht alles ausleihen kann, das schickt, was hier nicht zu sehen ist. Aber ich kann verstehen, dass das als Teil des amerikanischen Imperialismus wahrgenommen werden kann.

Was erwarten Sie von der Eröffnung des MoMA-Erweiterungsbaus im Herbst?

Ich bin gespannt, was dort wie gezeigt wird. Unter William Rubin gab es diese geradlinige Präsentation von Kunst, die ich die alttestamentarische nenne: Der und der zeugte den und den, und der zeugte wiederum den und den. Als Kirk Varnedoe übernahm, hatte er eine andere Vorstellung. Er wollte nicht mehr diese Art Super-Highway der Kunst, sondern Wege und Nebenwege. Ich werde auf jeden Fall ganz vorn in meinem Rollstuhl sitzen, um zu sehen, wie sie es diesmal lösen.

Das andere große Berliner Ereignis der Woche ist die Eröffnung der Flick-Collection, die hierzulande aus politischen Gründen sehr umstritten ist. Wie sehen Sie die Rolle der Kunst in diesem Kontext?

So weit ich weiß, geht es um die Familiengeschichte des Sammlers. Amerika ist voll von Kulturinstitutionen, die von den sogenannten „Raubbaronen“ gestiftet wurden: die Fricks, die Mellons, Carnegies, Rockefellers. Das Geld war bestimmt nicht das sauberste. Aber wo wären wir ohne diese Institutionen, die sie vielleicht sogar aus Schuldbewusstsein gegründet haben? Es sind Reparationen besonderer Art. Das ist eine komplizierte Beziehung. Aber die Kunst selbst kann man dafür nicht verantwortlich machen, sie steht über diesen Dingen.

Interview: Christina Tilmann.

Chuck Close wurde 1940 im Nordwesten der USA geboren. Nach einem Kunststudium ging er 1967 nach New York. Zur Zeit lebt er als Stipen- diat der American Academy in Berlin.

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