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Kultur: Malen, wie Charlie Parker spielt

Das Pariser Centre Pompidou ergründet die Wechselbeziehung von Musik und bildender Kunst

Die Synästhesie, bewirkt durch die verschiedenen Künste, gehört zu den großen Sehnsüchten der Moderne. Allein, in den Museen wird Kunst ausgestellt und in den Konzertsälen musiziert, aber Kunst und Musik, Augen- und Ohrensinn finden in der Praxis kaum je zueinander. Dabei ist das Feld reichlich beackert worden; wie – und ob es auch entsprechend reiche Frucht getragen hat –, untersucht derzeit das Pariser Centre Pompidou in seiner Ausstellung „Sons et lumières“, zu übersetzen mit „Lichter und Töne“.

Spektakulär ging es stets zu, wenn die Künstler sich an die Musik oder – weitaus seltener – die Komponisten an die bildende Kunst wagten. Die Pariser Ausstellung, erarbeitet von Sophie Duplaix, hat ihr größtes Verdienst in der Zusammenstellung schier unglaublicher, längst vergessener und oft nur mehr im Nachbau wiedererstandener Maschinerien, die als Instrumente zu bezeichnen dem Musikliebhaber sicher contre-cœur geht.

Der nach Paris emigrierte Russe Wladimir Baranoff-Rossiné etwa konstruierte ein „Optophonisches Klavier“ – auf das er 1923 gar ein Patent erwarb –, der Amerikaner Morgan Russell entwarf von 1916 an eine „Kinetische Lichtmaschine“, deren Grundgedanken allerdings sein Freund und Kollege Stanton Macdonald-Wright als „Kineidoskop“ zur Ausführung brachte – ein halbes Jahrhundert später.

Man sieht diese Maschinen nicht ohne Rührung. Anders verhält es sich mit der „reinen“ Kunst. Sie kommt – im ersten, der Abstraktion gewidmeten Teil der in drei Kapitel gegliederten Ausstellung – so frisch herüber, dass die gelegentlich zu hörende Hintergrundmusik ausreicht, die Sehnsucht der Künstler nach der Verschmelzung der Sinne zu begreifen.

Mit ihrem abstrakten Auftakt gerät die Ausstellung übrigens in eine gewisse Konkurrenz zu der Übersicht, die das Musée d’Orsay gleichfalls in Paris unter dem Titel „Die Ursprünge der Abstraktion“ erst vor einem Jahr gegeben hat. Hier sieht man erneut Frantisek Kupka und vor allem natürlich Wassily Kandinsky, dessen „Impression III (Konzert)“ von 1911, entstanden unter dem Eindruck eines Münchner Schönberg-Konzerts, allmählich Gefahr läuft, als allzu nahe liegender Beleg für den Gleichklang der Sinne verschlissen zu werden. Das gilt ebenso für die Gemälde, in denen Arnold Schönberg dilettierte (wie man wohl ohne Häme sagen darf). Sie werden durch ihr wiederholtes Vorzeigen nicht besser; vor allem aber verraten sie so gar nichts über die Verbindung zur Welt der Töne. Das ist bei Kandinsky anders. Bei ihm kann man die Farben tatsächlich hören.

Hören kann man die Bilder – ohne Hintergrundmusik – in dem kunsthistorisch erlesensten Raum der Ausstellung, wo Piet Mondrians „New York City I“ von 1942 und Jackson Pollocks „Number 26A, Black and White“ von 1948 die grandiose, großformatige „Swing Landscape“ des in Europa noch immer sträflich unterbewerteten Stuart Davis von 1938 rahmen. Der Jazz stellte eine enorme Inspirationsquelle dar, man weiß es von Mondrian. Davis’ Werk ist ohne die Musik ohnehin nicht zu verstehen. Indessen – Inspiration und Synästhesie sind zwei Paar Schuhe, und ist nicht umgekehrt auch Musik von Bildern inspiriert worden, ohne dass daraus eine Verschmelzung hervorging? In diesem Sinne „sprechender“ Musik denkt man natürlich an Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, die bekanntlich auf ein Ausstellungserlebnis des Komponisten zurückgehen, und die dann umgekehrt Kandinsky zu einem Bühnenexperiment veranlasst haben...

Die Stuttgarter Staatsgalerie hat solche Zusammenhänge 1985 in ihrer Ausstellung „Vom Klang der Bilder“ ausgebreitet, die noch immer den Maßstab abgibt und auch in Paris nicht überboten wird. Das Centre Pompidou brilliert hingegen mit der Darbietung der heute so fragil gewordenen technischen Experimente eines László Moholy-Nagy oder Oskar Fischinger, und gar die mühsame Arbeit des kaum mehr bekannten Rudolf Pfenninger von 1931, Tonwellen sichtbar zu machen, streift die Grenze zur Naturwissenschaft, die eine andere Inspirationsquelle der Moderne war.

Laut und rummelig geht es in der dritten und größten Abteilung zu, die den Fluxus-Leuten der Sechzigerjahre gewidmet ist. Die akribische Dokumentation, die die Fluxus-Künstler ihren ephemeren Aktionen angedeihen ließen, macht immer wieder Kopfschütteln. Jenseits von Fluxus ragt Joseph Beuys’ passgenau in Filz gehüllter Konzertflügel heraus. Filz erstickt die Töne, die nur als Möglichkeit erhalten bleiben – präsent allerdings durch den visuellen Eindruck des Musikinstruments in seiner absurden Hülle.

Die Kernfrage bleibt, ob wir nicht in einem ganz überwiegend visuellen Zeitalter leben, in dem der kurze Traum der Synästhesie überrollt wurde von der Dominanz der Bilder – und ihrer Überrumpelung. Dafür spräche auch die heutige Beliebtheit der Videos, von denen die Ausstellung in einem „Epilog“ nur Rodney Grahams hintersinnige Studie eines mit Handschellen Klavier spielenden Häftlings zeigt. Das Video aus dem vergangenen Jahr geht übrigens auf einen Gedanken von André Breton zurück – womit der Bogen zu den Surrealisten geschlagen wäre, deren Inspiration nicht die Töne waren, sondern die Worte.

Paris, Centre Pompidou, bis 3. Januar. Katalog, 376 S., 39,90 €.

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