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Kultur: Maler der jüdischen Seele

Von Moritz Schuller Lesser Ury ließe sich als deutscher Jude bezeichnen, der unter der Kluft litt, die sich zwischen beiden Worten auftun konnte. Der für die Bilder, die ihm am Herzen lagen, die Darstellungen biblischer Szenen, keine Anerkennung fand, und der, quasi sein Judentum zügelnd, die nebligen, impressionistischen Straßenszenen malte, mit denen er heute vor allem in Verbindung gebracht wird.

Von Moritz Schuller

Lesser Ury ließe sich als deutscher Jude bezeichnen, der unter der Kluft litt, die sich zwischen beiden Worten auftun konnte. Der für die Bilder, die ihm am Herzen lagen, die Darstellungen biblischer Szenen, keine Anerkennung fand, und der, quasi sein Judentum zügelnd, die nebligen, impressionistischen Straßenszenen malte, mit denen er heute vor allem in Verbindung gebracht wird.

So sah Martin Buber den Maler, als „Dichter der jüdischen Seele“, in dessen Bildern der Bibel sich „eine lebendige Kraft gegen dumpfe Schickalsmächte aufbäumt“. Dagegen schrieb Jahre später der Kunsthistoriker Alfred Werner: „Die wohl unbedeutendsten unter Urys Werken sind die monumentalen Kompositionen von jüdischen, biblischen oder philosophischen Themen.“ Die Nachlassverwalter finden nach Urys Tod im Oktober 1931 in seiner Wohnung am Nollendorfplatz viele dieser großen Leinwände, auch das Gemälde „Jeremias“, an dem er „mit fast verzweiflungsvoller Liebe hing“. Dort standen sie, als hätte Ury sie verstecken wollen.

Nur eines dieser Monumentalgemälde war zu Lebzeiten Urys in ein Museum gelangt. Der Görlitzer Seidenfabrikant Gustav Senneberg hatte „Jerusalem“ (1896) seiner Heimatstadt geschenkt. Seit dem Krieg galt das Bild als verschollen, bis es vor wenigen Monaten auf mysteriöse Weise wieder auftauchte: Im Januar wurde das 170 Zentimeter hohe und 285 Zentimeter breite Gemälde dem Berliner Jüdischen Museum vom angeblichen Eigentümer zum Kauf angeboten. Da es sich bei dem Bild um einen Kriegsverlust handelt, schaltete das Museum die Kriminalpolizei ein. Seitdem ist „Jerusalem“ polizeilich beschlagnahmt, auch wenn es wegen seiner Größe weiterhin im Lager des Jüdischen Museums untergebracht ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Hehlerei.

Fast gleichzeitig zum Wiederauftauchen des Bildes widmet das Centrum Judaicum den biblischen Bildern Urys eine Ausstellung. „Jerusalem“ sollte eine zentrale Stelle eingeräumt werden, doch die Staatsanwaltschaft wollte das Bild nicht herausgeben. Der angebliche Besitzer verweigere die Freigabe, so das Argument. Wo sich das Bild seit Kriegsende befand, ist unbekannt. Chana Schütz, Kuratorin der Ausstellung, vermutet, dass es aus Polen kommt. Schütz, die nun statt des Bildes die Absage der Staatsanwaltschaft ausstellt, hält das Bild für ein Schlüsselwerk Urys.

Aber auch die übrigen Werke wie die „Sintflut“ von 1906, erstmals seit 1931 wieder in Berlin zu sehen, sind eindrucksvolle Beispiele für die Leidenschaft und Melancholie, die so unverhüllt in den biblischen Bildern des Malers zu Tage treten. Das Drama der Existenz ist überwältigend und reicht von „Rebekka am Brunnen“ (1908) bis zum immer wieder von Ury genutzten Motiv von Jakob, der Benjamin zum Abschied segnet. Gerade im Gegensatz zur Parallelaustellung im Kollwitz-Museum, das die Radierungen Urys zeigt, wird die Spannbreite dieses Malers deutlich.

Nachdem das Kollwitz-Museum 1995 dem malerischen Werk Urys eine Ausstellung gewidmet hatte, bei dem der Zeichner und Grafiker bewusst ausgespart wurde, vervollständigt es das Bild nun. „Der Malerradierer“ zeigt einen Künstler, der auch in der Zeichnung und Lithografie ganz Maler geblieben ist. So beschreibt ihn Hans Cürlis, der Ury 1925 gefilmt hat: „Die kurze, fleischige Hand zeichnet eigentlich nicht, sie malt mit Kohle die Stimmung der regenfeuchten Straße, auf der sich die Wagen spiegeln ... Das Ganze und jede Einzelheit ist farbig gedacht und nur in das leicht Fließende der Kohletechnik übersetzt.“

Die alltäglichen Szenen der Absinthtrinker, die einsame Bäuerin, erhalten zusammen mit der religiösen Tiefe der biblischen Bilder eine andere Ernsthaftigkeit. Ury war überzeugt, dass „die Kunst des 20. Jahrhunderts in dem Dienst der Lösung der sozialen Fragen stehen wird. Die Kunst ist nicht dazu da, um an den Wänden aufgehängt zu werden“. Beide Ury-Ausstellungen präsentieren diesen selten gezeigten Ury. Dessen Ruhm hatte sich bislang weniger auf seine biblischen Darstellungen und sein Zeichenwerk gestützt. So wird das Bild dieses Berliner Malers vervollständigt.

Bilder der Bibel, Centrum Judaicum, bis 31. Juli, So/Mo 10-20, Di-Do 10-18, Fr 10-17 Uhr.

Der Malerradierer, Käthe-Kollwitz-Museum, bis 5. August, Mi-Mo 11-18 Uhr.

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