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Malerei: Nebelkerzenwerfer

Der Leipziger Maler Tim Eitel stellt neue Bilder in der Berliner Galerie Eigen und Art aus. Die Bilder entstanden allesamt in Los Angeles und New York.

Vor ein paar Jahren machte der Begriff „Habseligkeiten“ auf einmal Karriere: Der Deutsche Sprachrat kürte es nach einem internationalen Wettbewerb zum „schönsten deutschen Wort“, weil es den „Eigentümer dieser Dinge sympathisch und liebenswert erscheinen lässt".

An derlei Habseligkeiten fühlt man sich vor Tim Eitels Bild „Asphalt“ erinnert. Das riesige, über drei Meter hohe Gemälde zeigt zwei Einkaufswagen, über und über beladen mit blauen oder anthrazitfarbenen Müllsäcken und zerknitterten Plastiktüten. Als farbiger Akzent lugt zwischen allerlei Paletten eine knallrote Tasche hervor. Vom Besitzer all dieser Hinterlassenschaften fehlt indes jede Spur.

Ein wattiges Grau umgibt die Szenerie. Der 1971 in Leonberg geborene Eitel malt das Schicksal eines Obdachlosen als pars pro toto. Obgleich er sich bei all seinen Arbeiten auf selbst erstellte Fotos stützt, geht es ihm nie um die akribische Abbildung. Der Fotorealismus, meint Eitel, langweile ihn zutiefst. Interessant sei vielmehr das Symbolische, das die Assoziationen des Betrachters herausfordere – und das besonders an den Leerstellen seiner Gemälde. Die provozierend planen Flächen rund um seine Gestalten sind zum Markenzeichen des in Halle und Leipzig ausgebildeten Malers avanciert. Er begann mit gelassen beobachtenden Menschen im vertrauten Galeriemilieu, die zunehmend ausschwirrten ins Freie, ohne allerdings mit der Natur innig zu verschmelzen. Stets markierte Eitel eine Kluft zwischen dem Individuum und seiner Umwelt: Ein Rückgriff auf die Vorstellungswelt der Romantik, wie sie sich auch in den gemalten Rückenfiguren eines Caspar David Friedrich findet, von denen es bei Eitel zahlreiche Widergänger gibt.

Auf dem internationalen Markt begehrt

Nun hat der Maler zwei Jahre lang in Los Angeles und New York gearbeitet. Die neuesten Arbeiten – allesamt in diesem Jahr vollendet – präsentiert die Galerie Eigen und Art. Es ist die erste Berliner Einzelausstellung des Künstlers, der neben Neo Rauch und nicht zuletzt dank des Schlagworts von der Neuen Leipziger Schule zu den begehrtesten deutschen Malern auf dem internationalen Kunstmarkt zählt. Auch wenn seine Bilder, die als Großformate mehr als 100.000 Euro kosten, sich längst von den vordergründig verbindenden Merkmalen jener Schule verabschiedet und fortentwickelt haben.

Als Erstes fällt die Nichtfarbe Grau auf, die Eitel inzwischen in allen Skalierungen ausreizt. Vom schmuddeligen Weiß über allerlei Grauzonen bis zum Schwarz in dichten Lagen wie auf dem zweiten Großformat „Zwei Männer“. „Wir nehmen doch die Umwelt vor allem in diesem Spektrum wahr“, gibt der Maler mit Blick auf den trüben Septembernachmittag zu bedenken. Seine heftiggrünen Wiesen der Frühzeit entsprächen kaum unserer Wahrnehmung.

Frappierend in der neuen Werkschau ist zudem der extreme Wechsel der Formate: Dem erwähnten Supersize des „Asphalt“-Gemäldes stehen handliche Täfelchen gegenüber. „Wenn sich das Erzählerische stärker in den Vordergrund schiebt, neige ich zum Kleinformat“, bemerkt Eitel.

Prägnante Gesten faszinieren ihn, sie fixiert er mit seiner Kameralinse. Diese Fotos liefern die Rohdaten für seine Gemälde, die er anschließend sorgsam komponiert, ohne die Korrekturen unsichtbar zu machen. Im Bild „Erziehung“ sieht man einen Sporttrainer, der einen Jungen in Baggy-Pants mit erhobenem Zeigefinger lässig unterweist. Im Kleinformat „Zelt“ erscheint der vorbeihuschende Camper mit gezückter Digitalkamera als Flaneur des 21. Jahrhunderts.

In Amerika entstanden, überall auf der Welt zu Hause

Die Ursprünge der neun gezeigten Bilder gehen auf das Jahr 2006 zurück. Dezidiert amerikanische Milieus bilden sie dennoch nicht ab. Die Szenen lassen sich nicht verorten. Der Maler hat Situationen auf den Punkt gebracht, kondensiert, die überall auf der Welt vorstellbar sind. „Aus dem Bauch heraus zu arbeiten ist mir vollkommen fremd“, bekennt Eitel, auch wenn das Fotografieren durchaus eine schnelle Entscheidung ist. Der fruchtbare Augenblick wird gebannt – und anschließend ausführlich reflektiert.

Seine Bilder verdanken sich langen Entstehungsprozessen. Bei den Kleinformaten registriert man eine Feinmalerei, die beinahe altmeisterlich anmutet – wäre da nicht der abstrakte Umraum, der sie sehr gegenwärtig macht. Der Betrachter spinnt die ausgeworfenen Situationen weiter, der Maler ist der Regisseur, der etwa auf dem Bild „Zwei Männer“ einen liegenden Obdachlosen und einen seltsam unbeteiligten Beobachter kombiniert, indem er zwei unabhängige Einzelaufnahmen überblendet.

Will Eitel Mitleid evozieren, die soziale Befindlichkeit spiegeln, wie es dem Deutschen Sprachrat angesichts seiner Entscheidung für „Habseligkeiten“ vorschwebte? In Los Angeles hat der Maler in Santa Monica gearbeitet, tatsächlich aber hat ihn die Stadt downtown interessiert. Eitel findet Metaphern für die unterschiedlichen Existenzen. Eine bräunliche Papiertüte, die sich im Fußboden spiegelt, wird zum vieldeutigen Zeichen für den Konsum. Ob ein Schrippenkauf voranging oder der Erwerb eines Petit Fours? Erhaben ist der Eindruck, den sie hinterlässt. Als wäre sie aus einem Stillleben von Morandi.

Galerie Eigen + Art, Auguststraße 26; bis 20. Oktober, Di–Sbd 11-18 Uhr.

Martina Jammers

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