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Malerei: Pferde stehlen

Wieder ein Restitutionsfall: Die Nachkommen der Familie Mendelssohn kämpfen um zwei Hauptwerke der New Yorker Museen. Unklar ist, ob der Berliner Bankier die Bilder bereits zu seiner Hochzeit an seine Frau vermacht hat.

Wenn sich das Jüdische Museum Berlin ab September in einer Ausstellung endlich einmal umfassend mit dem brisanten Thema „Raubkunst“ befasst, bekommt es aktuelles Anschauungsmaterial gerade frisch geliefert. Und zwar in einem Fall, der noch um einiges spektakulärer ist als die berüchtigte Kirchner-Debatte um die „Berliner Straßenszene“ – und noch um einiges komplizierter.

Der Potsdamer Historiker und Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums Julius Schoeps kämpft seit 2003 im Namen der Mendelssohn-Erben um die Kunstsammlung des Berliner Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy (1875- 1935). Um zwei besonders berühmte Bilder, Pablo Picassos „Junge mit Pferd“ (1906) aus dem Museum of Modern Art und Pierre Auguste Renoirs „Die Mühle von La Galette“ (1900) aus dem New Yorker Guggenheim-Museum, wird aktuell gestritten. Die New Yorker Museen wollen per Feststellungsklage erreichen, dass ihr Eigentum an den Bildern bestätigt wird. Unlängst war ihr Anwalt in Berlin, im Herbst beginnt die Verhandlung.

Schoeps und die Erben des Zweigs Paul Mendelssohn-Bartholdy hingegen behaupten, ihr Verwandter habe die Bilder 1934 an den befreundeten Berliner Kunsthändler Justin Thannhauser verkauft – er habe sich seit einem Überfall durch SA-Schläger in Berlin bedroht gefühlt und sein Exil vorbereitet. Die New Yorker Museen halten dagegen, der Bankier habe die Bilder schon bei der Hochzeit seiner („arischen“) Frau Elsa von Lavergne-Peguilhen geschenkt. Es liege also keine „verfolgungsbedingte“ Veräußerung vor.

Ob Paul seine bedeutende Kunstsammlung tatsächlich schon 1927 seiner zweiten Frau Elsa geschenkt hat, ist nicht mehr feststellbar. In den Verhandlungen mit Kunsthändlern sei er bis zu seinem Tod 1935 selbst aufgetreten, seine Frau hingegen sei niemals aufgetaucht, so Schoeps. Es existiert allerdings ein Erbvertrag von 1935, in dem Elsa als Vorerbin des Vermögens ihres Mannes eingesetzt wird, handschriftlich wurde in den Vertrag der Vermerk eingefügt, „dass die Gemälde Frau Mendelssohn-Bartholdy bereits bei der Hochzeit von ihrem Gatten geschenkt worden seien“. Dieser Vertrag, so Schoeps, sei ein typisches „Verfolgten-Testament“ gewesen, um das Vermögen Paul von Mendelssohn-Bartholdys vor den Nazis zu schützen.

Paul von Mendelssohn-Bartholdy, der die Mendelssohn-Bank bis zu seinem Tod gemeinsam mit seinem Cousin Franz leitete, hatte mit seiner ersten Frau Charlotte Reichenheim nicht nur ein feudales Leben in ihrem Haus am Park von Schloss Bellevue und auf dem Gut Börnicke vor den Toren von Berlin geführt, sondern neben einer großen Asiatika-Kollektion auch eine erstklassige Sammlung zeitgenössischer Kunst aufgebaut. Unter anderem besaßen sie acht van Goghs, dazu Bilder von Monet, Renoir, Braque, Matisse sowie fünf Picassos. Paul war nicht der einzige Kunstsammler seiner Familie: Auch die Brüder Robert und Franz von Mendelssohn besaßen hochkarätige Sammlungen mit Werken von van Gogh, Manet und Corot. Robert und Ernst von Mendelssohn-Bartholdy waren an dem Ankauf von Manets „Im Wintergarten“ für die Nationalgalerie beteiligt.

Warum aber die Verkäufe von 1934? Dass Paul, der in Bankgeschäften nach Aussagen des Mendelssohn-Biografen Thomas Lackmann eher ein Frühstücksdirektor, dafür aber ein leidenschaftlicher Kunstfreund gewesen sei, seine Sammlung ohne Druck verkauft haben soll, ist eher unwahrscheinlich. Auch ging es der Mendelssohn-Bank, die 1938 arisiert und von der Deutschen Bank übernommen wurde, in den ersten Jahren nach der Machtergreifung noch nicht so schlecht – so wurde noch 1935 in Estland ein Unternehmen gemeinsam mit der Deutschen Kriegsmarine geplant.

Der Verdrängungsprozess mit dem Verlust von Aufsichtsratsposten, Geschäftsverbindungen und Unternehmensbeteiligungen setzte 1936 ein, schreibt die Historikerin Monika Tatzkow in ihrem Buch „Nazi looted Art“ (2007) – also ein Jahr nach Pauls Tod. Allerdings hatte Paul, der wie die meisten Nachkommen von Moses Mendelssohn schon als Kind protestantisch getauft worden war, bereits vor Hitlers Machtergreifung gefürchtet: „Die Juden werden Schwierigkeiten bekommen.“ Der Reichtum der Familie weckt auf staatlicher Seite Begehrlichkeiten, selbst wenn sie von unmittelbaren Repressalien noch verschont wurden.

Was alles zur Kunstsammlung von Paul von Mendelssohn-Bartholdy gehört, ist bis heute nicht vollständig erforscht – Schoeps will im kommenden Jahr ein Buch darüber bei S. Fischer veröffentlichen. Nur so viel ist bekannt: Fünf Picassos aus der Sammlung sind bis 1935 in den Besitz von Justin Thannhauser gelangt – wie und zu welchem Preis, das weiß man heute nicht mehr. Den Beweis, dass Thannhauser damals einen handelsüblichen Betrag zahlte, müssen nach den Grundsätzen der „Washingtoner Erklärung“ allerdings die Erwerber, in diesem Fall die Museen, erbringen. Ansonsten gilt bei Bildern, die nach 1933 von einer potenziell durch Verfolgung bedrohten Privatperson verkauft worden sind, generell die Vermutung „verfolgungsbedingter“ Entziehung.

Weitere Werke aus der Sammlung befinden sich unter anderem in München und Washington. Schon um ein anderes Picasso-Bild, den „Absinthtrinker“ von 1903, war 2006 gestritten worden, als das Gemälde, das der Andrew Lloyd Webber Art Foundation gehört, bei Christie’s versteigert werden sollte. Der „Junge mit Pferd“ aus dem Museum of Modern Art war übrigens 2004 beim großen MoMA-Gastspiel in Berlin dabei. Damals hat Schoeps noch nichts unternommen.

Christina Tilmann

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