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Kultur: Malerin Freda Heyden: Glück ist, wo ich nicht bin

Freda Heyden sitzt in der Chausseestraße vor einer türkischen Kneipe und trinkt Campari. Soda wollte sie dazu haben, da hatte ihr der Wirt geantwortet, das sei bei ihm Mineralwasser.

Freda Heyden sitzt in der Chausseestraße vor einer türkischen Kneipe und trinkt Campari. Soda wollte sie dazu haben, da hatte ihr der Wirt geantwortet, das sei bei ihm Mineralwasser. Und so trinkt sie Campari mit Mineralwasser, als Medizin, ihr ist nicht wohl, das sieht man auch, so fahl wie sie ist. Die Klimaanlage, sagt sie, und zeigt auf die Ausstellungsräumen gegenüber, das sei sie nicht gewohnt.

Vor wenigen Tagen hatte sie noch verführerisch in ihrem Atelier gesessen, dabei geraucht wie die Bacall und Pausen gemacht, wenn man am meisten auf ihre Worte wartete. Verführerisch wie eine Katze auf der Couch, versteckt in einem verwunschenen, denkmalgeschütztem Haus im Hinterhof. Die Farbe blättert von den hohen Wänden, doch auf ihrem Schreibtisch liegen die Stifte in Reih und Glied. "Hier waren Tauben drin, als ich 1993 einzog." Die Tauben hat sie inzwischen vertrieben, das Gefühl von Quartier Latin nicht.

Die Aussicht, gleich etwas serviert zu bekommen, das sie noch nie getrunken hat, gibt ihr Lebenskraft zurück. Sie erzählt davon, wie sie die Bilder in den Ausstellungsräumen der VEAG hängen wird und vom Basler Theaterintendanten Michael Schindhelm, der einen kurzen Text zu ihrer Ausstellung geschrieben hat. Schindhelm zitiert darin ein russisches Sprichwort: "Dort, wo ich nicht bin, ist das Glück." Freda Heyden formuliert es anders: "Ich halte es gut aus, in Träumen zu leben", und meint damit wohl auch, dass sie sich größere, freie Räume für ihre Arbeiten wünscht.

Inszenierte Räume

Wieder raucht sie Luckies ohne Filter, eine nach der anderen, doch das Verführerische verfliegt. Sie macht sich Sorgen wegen der Ausstellung. Ideal sollen die Bilder platziert werden, "inszenierte Räume" will sie schaffen, doch dabei trifft sie unentwegt auf die Realität: "Ich scheine zu hohe Ansprüche zu haben." Ein anderer dieser Ansprüche ist es, von ihren Arbeiten leben zu können. Das geht schlecht, aber es geht. "Manchmal lässt mich das nicht schlafen." Dann knallt plötzlich eine Taube von innen gegen die Scheibe der Kneipe, flattert in Panik mit den Flügeln. Heyden hält sich die Ohren zu und steht auf. Als ein Gast das zappelnde Tier packt, die Flügel einklappt und in der Chausseestraße hoch in die Luft wirft, sagt sie: "Die ist aber froh, wieder frei zu sein."

Freda Heyden ist 1955 in Hamburg geboren. Nach dem Studium verließ sie die Hafenstadt jedoch und ging aufs Land nach Niedersachsen, es war ein Rückzug voll von Trauer. Ihr Lebensgefährte, der Journalist und Autor Michael Holzach, war gerade auf einer seiner berühmt gewordenen Wanderungen durch Deutschland ertrunken. "Deutschland umsonst - Zu Fuß und ohne Geld durch ein Wohlstandsland", hieß Holzachs Buch, das er über eine seiner Reisen geschreiben hatte. Noch immer verbringt Heyden einen Teil des Jahres in der niedersächsischen Provinz. Erträumt hatte sie sich, das sagt sie auch, einen anderen Verlauf.

"Eine schöne Frau wie du muss in die Stadt", ermahnten sie Freunde, und nun sitzt diese schöne Frau in ihrem Atelier und sagt: "Einsamkeit bedroht mich nicht." Nicht mehr, müsste das vielleicht heißen: Nach Holzachs Tod hatte sie unendlich viel gemalt, Selbstporträts, Rettungsbilder. Dann kam sie 1991 nach Berlin, eigentlich nur für zwei Jahre, jobbte in Kneipen, traf viele Leute. Ihr Foto in einem Ausstellungskatalog aus jener Zeit zeigt sie mit gefalteten Händen und noch immer mit Augen, die den Verlustschmerz nicht verbergen können. Dem Bild gegenüber vier kleine Werbeanzeigen, die das Universum umreißen, in das Heyden damals eindrang: Café Einstein, Franzotti Vineria, Restaurant Maxwell, Paris Bar. Heyden macht den Eindruck, als sei sie in Berlin augenblicklich gut aufgehoben gewesen.

Die neuen Bilder aus der Serie "Wärts" sind riesig und rosa: Gartenbänke für alle vier Himmelsrichtungen. Auch die anderen Bilder tragen Verortungen im Namen: "Niemandsland", "Hügel", "inbetween". Hier bekommen Träume ihren Platz zugewiesen. In "Niemandsland", einer 36-teiligen Serie, verschwindet eine Person, eine andere blickt ihr mit einem Fernglas nach. Schindhelm schreibt dazu: "Der Mensch, der dort geht, geht. Er zögert keinen Augenblick mehr. Der Abschied ist nicht im Plan gewesen." Sehnsucht in Öl.

Im letzten Jahr hatte sie für den Kultursommer Schwerin eine Skulptur entworfen: Zehn Affen aus Beton sitzen im Kreis um einen flachen Fernsehbildschirm. Abends erstrahlten die Affen blau vom Licht des Fernsehers. Und in Neapel hat sie in einer Galerie die Installation "Piazza Ombrelli" umgesetzt: Unendlich viele aufgespannte Miniaturregenschirme. Ihr sei es wichtig, sagt Heyden, Kunst für den öffentlichen Raum zu entwerfen. Damit Menschen sich berühren lassen können. Doch aufdringlich möchte sie auch nicht sein. Dann greift sie mit ihren großen Händen nach der Lucky Strike-Packung.

Junge Kunst rückt nach

Während sie letzten Dienstag ihre großformatigen Gartenbank-Bilder zum Transport einpackte, hörte sie Radio. Plötzlich verlor sie ihre Festigkeit, wie sie es nennt, legitim schien ihr nur noch die Plastikfolie, in der sie die Kunst einwickelte, nicht die Kunst selbst. Vielen mag es so gegangen sein, Freda Heyden scheint es häufiger so zu gehen. Als sie Michael Schindhelm in Basel besuchte, sie hatte ihn noch nie im Leben gesehen, und alle dort nach dem Filmmaterial aus Genua riefen, für das Globalisierungsprojekt des Theaters, da muss sie gefühlt haben, sie dränge sich auf. "Ich fühlte mich dort nicht mehr wohl."

"Als Künstler hat man die Möglichkeit, die Dinge neu zu denken." Freda Heyden sagt das, und andere haben es schon vor ihr gesagt. Aber sie senkt dabei die Stimme, fragend, hoffnungslos und doch voller Absichten. "Ich halte mich nicht in Träumen auf", sagt sie nun, als ob sie nie etwas anderes behauptet hätte. Vielleicht, weil sie in der Chausseestraße wieder mal einen Traum der Realität aussetzt: Sie zeigt Arbeiten, die sie in ihrem eigenen Tempo produziert hat. "Ich bin 45, da ist viel junge Kunst nachgerückt." Sie arbeitet allein, sie erledigt ihre Aufträge. So nennt sie ihr Arbeiten. "Ich würde mich aufs Alter freuen, wenn ich mit 80 noch so arbeiten könnte." Und dabei ein oder zwei große Projekte im öffentlichen Raum verwirklicht zu haben, das ist ihr Ziel.

Der Campari hat ihr gut getan. Die Taube ist frei. Freda Heyden springt über die Gleise in der befahrenen Straße, fast wie eine Katze. Sie will sich um ein paar Scheinwerfer kümmern. In der Seitenstraße parkt ihr Ford Lieferwagen mit niedersächsischem Kennzeichen.

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