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Kultur: Mama Cool

Kino: die Familien-Farce „Das wahre Leben“

Wenn Familie eine Beziehungskiste ist, dann in Form eines Chemiebaukastens. Explosive Verbindungen und Fehlzündungen sind unvermeidbar. Kein Wunder also, wenn der jüngste Spross Sprengstoffattentate verübt und das wie der heimische Bungalow gestaltete Vogelhäuschen im Vorgarten mit stiller Wonne zerfetzt.

Papamamasöhne oder „Das wahre Leben“, zugespitzt zur Burleske. Man schaut ihnen gerne zu in Alain Gsponers Familien-Farce: Ulrich Noethen als Risikomanager und Vater Spatz, der über Nacht wegglobalisiert wird und fortan als linkisch dilettierender Heimwerker den echten Bungalow nach und nach zur Bruchbude kaputtrenoviert; Katja Riemann als Mutter Spatz mit schwarzgefärbtem Haar, großartig schlagfertiger Schnodderschnauze und – typisch Frustfrau – Galerie für zeitgenössische Kunst; plus zwei durch Pubertät und schwules Coming out bei der Bundeswehr schlingernde Söhne (Josef Mattes, Volker Bruch) sowie Hannah Herzsprung als Nachbarstochter: die Schauspielentdeckung der Saison diesmal als energisch-verzweifelte Göre und jungwilde Künstlerin.

Der Schweizer Regisseur Gsponer, der sich bereits mit der TV-Produktion „Rose“ als Experte für turbulente blutsverwandtschaftliche WGs erwies, hat ein sicheres Gespür für Pointen, Ensemblespiel und die Balance zwischen Situationskomik und der Tragik stiller Entfremdung im Kreise der Lieben. „Papa, wenn du keine Arbeit findest, bleibst du dann die ganze Zeit hier?“ Solche Dialogsätze verdankt der Zuschauer wohl auch Gsponers eigener Kindheitserfahrung mit einem überraschend arbeitslos gewordenen Vater. Dazu Tempo, Witz und Lebenskrisennähe, sprich: eine kräftige Prise Frischluft für die leidige Familiendebatte. Dass einige Nebenfiguren – Juliane Köhler als schwerstdepressive Nachbarin, Martin Feifel als Kurzzeit-Lover für Mutter Spatz – Schablone bleiben und die Chose zum immer katastrophischeren Ende hin dramaturgisch aus dem Ruder läuft: geschenkt. Katja Riemann als selbstironische Mama Cool und Chaos-Pragmatikerin entschädigt dafür.

In Berlin im Broadway, Capitol, International, Kulturbrauerei, Yorck

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