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Gérard Depardieu

© ddp

Mammuth: Eine Nase tankt Super

Lakonie, Anarchie und Poesie: Gérard Depardieu ist "Mammuth". Der französisches Roadmovie ist der schrägste Wettbewerbsfilm 2010.

Der Mann ist eine Wucht. Ein Hüne, ohne Hals, mit massigen Schultern und gewaltigem Bauch, einer, der jeden Bildrahmen sprengt. Mein See-Elefant, sagt seine Nichte zu ihm. „Mama, da liegt ein Mann in der Bushaltestelle,“ sagt das Schulkind ins Handy, „er ist dick und stinkt. Soll ich die Polizei holen?“

Gestatten: Gérard Depardieu alias Serge Pilardosse alias Mammuth (wie sein Motorrad, eine Münch Mammut 1973). Ein Schlachter, der in Rente geht, jahrzehntelang hat er Schweine geschlachtet, war nie einen Tag krank, der Chef liest die Abschiedsrede vom Zettel, während die Kollegen geräuschvoll Chips aus Schüsseln verspeisen. Zu Hause weiß Mammuth nicht, wohin mit sich, tigert um den Wohnzimmertisch, schrottet auf dem Supermarkt-Parkplatz einen Einkaufswagen, als er ihn zwischen zwei Autos hindurchzuzwängen versucht, und lässt sich von seiner Frau (wunderbar mürrisch: Yolande Moreau) die Leviten lesen. Ihr Geld als Kassiererin reicht nicht, er muss was tun, Bescheinigungen bei seinen Arbeitgebern aus den 70ern beschaffen, das erhöht die Rente. Also steigt Serge aufs Motorrad und klappert seine Vergangenheit ab. Und das Bild, ein grobkörniges 16-MillimeterBild, es dröhnt und vibriert, wenn Mammuth über die Landstraßen rattert.

Pappa ante portas mit einer Portion Anarchie: Loriot meets Jacques Tati. Den Regisseuren Benoît Delépine und Gustave de Kervern (die zuletzt „Louise Hires a Contract Killer“ drehten, auch mit Yolande Moreau) gelingt die seltene Kombi von skurriler Komik, Melancholie und Poesie. Ihr französisches Roadmovie „Mammuth“ ist der schrägste Wettbewerbsfilm 2010. Schon das erste Bild: Depardieu sitzt nach der letzten Schicht da, zieht seine Plastikhaube vom Schädel, das schulterlange blonde Zottelhaar quillt hervor, und man ahnt: Dieser Held ist anders. Er ist nicht der Hellste, nicht der Geschickteste und auch nicht der Fröhlichste, er weiß nicht, was er seiner Frau auf die Mailbox sprechen soll, weshalb er für jeden Satz einzeln anruft, er sitzt im Frühstücksraum der Pension und fängt das Heulen an, gemeinsam mit den anderen Gästen, lauter alleinreisenden Handelsvertretern.

Mammuth hat ein Ding mit der Schuld zu laufen, einer Riesenschuld. Isabelle Adjani taucht manchmal hinter ihm auf, seine Liebste von früher, mit blutüberströmtem Kopf, es war ein Motorradunfall. Vielleicht wiegt bei dicken Menschen ja auch die Vergangenheit schwerer. Das dauert, bis man die los ist.

Also wird die Motorradtour durchs Departement Charente Maritime zur Reise ins eigene Seeleninnere, eine Odyssee, auf der wunderliche Dinge geschehen. Serge badet nackt im Fluss, Depardieu als proletarischer Buddha, ein lakonisches Naturereignis, eine Wiedergeburt. Er trifft seine verrückte Nichte Miss Ming (die Künstlerin Miss Ming), die horrible Puppenskulpturen herstellt und ihn in die Welt der Kunst einführt. Er schippert mit ihr im XXL-Kunststoff-Bassin über den Atlantik. Er trägt am Ende bodenlange Gewänder, der Schweineschlachter als Hippie, als Indianer, er ist so frei. Und er kapiert, es stimmt nicht, was die anderen sagen, er ist gar kein Idiot. Es gibt die Poesie, die Schönheit, die Liebe, und es gibt sie auch in ihm, und Isabelle Adjani hat nichts dagegen.

Als Mammuth-Odysseus nach Hause zurückkehrt (Yolande Moreau hatte sich in Sorge um Serge zwischendurch eigene Freiheiten und Aufgeregtheiten erlaubt), als sie sich gerade die Achselhaare rasiert und innehält und nicht weiß, wohin mit dem Plastikrasierer, und überhaupt nicht mehr mürrisch ist, wird daraus die schönste Liebesszene des Festivals. Dafür einen Extra-Bären, für die Zartheit zweier Eheleute, in einem schäbigen Badezimmer, irgendwo in der Provinz.

Heute 15 Uhr (Friedrichstadtpalast), 20 Uhr (Urania), 21. 2., 17.30 Uhr (Urania)

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