zum Hauptinhalt
Ein Herz für Loser. Sandra Bullock bekam für die Rolle der Leigh Anne Tuohy den Oscar als beste Hauptdarstellerin. Foto: Warner

© ddp

Kultur: Man trägt blond

Ein Blick ins Gesicht von Leigh Anne Tuohy, schon sind alle Vorurteile gegenüber reich verheirateten Vorstadtamerikanerinnen da. Ihr Terminplan für den Tag scheint auf der Hand zu liegen: morgens Aerobic mit dem persönlichen Fitnesstrainer, anschließend Maniküre und ein Friseurtermin zum Ansatzfärben, nachmittags Tratsch mit den Nachbarinnen in der Lounge des Golfclubs und abends Auftritt als Gattin bei einem geschäftlichen Sektempfang.

Von Maris Hubschmid

Ein Blick ins Gesicht von Leigh Anne Tuohy, schon sind alle Vorurteile gegenüber reich verheirateten Vorstadtamerikanerinnen da. Ihr Terminplan für den Tag scheint auf der Hand zu liegen: morgens Aerobic mit dem persönlichen Fitnesstrainer, anschließend Maniküre und ein Friseurtermin zum Ansatzfärben, nachmittags Tratsch mit den Nachbarinnen in der Lounge des Golfclubs und abends Auftritt als Gattin bei einem geschäftlichen Sektempfang.

Der Film überzeichnet nicht. Das Vorbild für John Lee Hancocks Hauptfigur sieht genau so aus. Sie trägt von allem eine Spur zu viel. Wimpern, Goldschmuck, Blond. Schnell jedoch macht der Regisseur und Drehbuchautor deutlich: In der toughen Sportlerbraut steckt mehr. Leigh Anne lässt sich nicht auf die Füße treten. Und getretene Straßenköter holt sie auf die Couch.

Hancocks „Blind Side“ ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Familie, die eines ungewöhnlichen Aufstiegs und – natürlich – die vom amerikanischen Traum. Ein armer schwarzer Teenager wird von einer weißen Lady aus dem Ghetto geholt und zum heftig umworbenen Footballstar hochgepäppelt. So lieben es die Amis. Auch für das Extrabonbon ist gesorgt: Die Coachs der großen Footballvereine spielen sich selbst.

Es ist die Biografie des Michael Oher, an der Hancock sich in Anlehnung an Michael Lewis’ Bestseller „The Blind Side. Evolution of a Game“ entlanghangelt. Oher, der heute Millionen verdient, kommt in den Slums von Memphis, Tennessee, zur Welt. Seine Schreckenskindheit böte Stoff für einen Dreiteiler. Offensichtlich aber interessiert Hancock die Story der Retterin mehr.

Sandra Bullock, die für die Darstellung der Leigh Anne Tuohy mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, spielt ihre vielleicht beste Rolle - und sich damit nach einigen eher schwachen Auftritten zurück in die Oberliga Hollywoods. Auch die übrige Besetzung macht Freude, Kathy Bates als Privatlehrerin Miss Sue ebenso wie das bezaubernde Nachwuchstalent Lily Collins.

Schade nur, wie einseitig der Film angelegt ist. Michaels Eigenbeitrag zu seiner Entwicklung bleibt unbeachtet. Ohne die Tuohys hätte er nie ein Stadion gesehen. Geld und Nächstenliebe machen gleichwohl keinen Footballstar. Kein Wunder, dass der echte Oher sich nicht zu dem Werk äußert. Kränkend beschränkt kommt der Koloss im Film daher.

Enttäuschender noch, dass Hancock die Gelegenheit ungenutzt lässt, ein bisschen weiter wegzuzoomen. Michael bekommt die Chance, die er verdient und die Tuohys lassen sich als Wohltäter feiern. Eine Win-win-Situation also. War’s das? Augenscheinlich ruhen sich die Tuohys auf ihrer guten Tat aus. Wie Passanten, die die Annahme von Unicef-Flyern verweigern, weil sie schon für Greenpeace spenden. Dabei hätte der Film helfen können, ein Bewusstsein für verkümmernde Talente wie Michaels zu wecken. Und eine Chancengleichheit zu fordern, die nicht bloß auf dem Papier besteht.

In 22 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center und Rollberg

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false