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Kultur: Mandat des Himmels

Im Alten Museum Berlin präsentiert Taiwan einen atemberaubenden Überblick über sechs Jahrtausende chinesischer Kunst

Nie zuvor waren in Deutschland Schätze aus dem Nationalen Palastmuseum von Taipeh zu sehen, und bis jetzt gab es das nur in den USA und 1998 in Paris. Die allererste Ausstellung außerhalb Chinas fand 1935/36 in London statt – damals allerdings mit Leihgaben nicht aus Taipeh, sondern aus Peking.

Gleichwohl handelt es sich um die selbe Sammlung: die über Jahrhunderte, ja beinahe Jahrtausende aufgebaute, erweiterte, dezimierte, zerstreute, wiederhergestellte und schließlich auf einer jahrzehntelangen Flucht gerettete Kollektion der Kaiser von China. Dass eine exquisite, ja atemberaubende Auswahl von rund 400 Objekten (aus 650000 des Museums!) als Botschafter Taiwans in Berlin – sowie anschließend in der für die Organisation federführenden Bundeskunsthalle Bonn – gastiert, beleuchtet das delikate politische Umfeld. 18 Jahre ist es her, dass das Palastmuseum Peking mit „Schätzen aus der Verbotenen Stadt“ im Martin-Gropius-Bau auftrat, damals gleichermaßen als Kulturereignis gefeiert – zudem eine politische Demonstration für West-Berlin, und das seitens der Volksrepublik China! Diesmal nun ist es Taiwan, das eine Bühne sucht für seinen Anspruch auf Teilhabe am weltweiten Austausch, den ihm die Volksrepublik, die Taiwan seit jeher als abtrünnige Provinz betrachtet, nach Kräften bestreitet.

Das ist nun nicht einfach nur politisches Rankwerk um ein makelloses Kulturereignis, sondern führt in die Mitte dessen, was von heute an unter dem Titel „Schätze der Himmelssöhne“ im Alten Museum zu sehen ist. Die Sammlung der Kaiser war weit mehr als ein ästhetisches Schauvergnügen, mehr auch als der aus Europa bekannte Ausweis aristokratischer Bildung und Finanzkraft. Sie besaß eine eminent politische Bedeutung, ja hatte Teil an der Legitimation des Kaisertums überhaupt. In der chinesischen Vorstellung ist der Monarch der „Himmelssohn“, seine Dynastie von den Mächten des Himmels mit dem Mandat der irdischen Regierung betraut. Zu den Insignien dieses besonderen Bundes zählte schon zu Zeiten der halb noch mythischen Shang-Dynastie vor über 3000 Jahren der Besitz von Ritualgegenständen. Aus diesem magischen Urbestand erwuchs die zunehmend nach ästhetischen Kriterien ausgesuchte Sammlung der Kunstschätze, die als Unterpfand des himmlischen Vertrauens gerade auch von allen Eroberern des Reiches, allen Usurpatoren des Thrones ergriffen, gehütet und vermehrt wurde.

Schrift und Bild, Sinn und Form

Herausragendes Beispiel für diese Art der Selbstlegitimierung ist der Kaiser Qianlong (nach der von den Leihgebern gewünschten Umschrift nach Wade-Giles: Ch’ien-lung), der von 1736 bis 1795 regierte. Der vierte Mandschu-Herrscher, auf Anordnung seines kaiserlichen Großvaters seit dem 11. Lebensjahr zielstrebig auf sein künftiges Amt vorbereitet, ließ nicht nur alle Palast-Schätze erfassen und – auf insgesamt 21000 Seiten – katalogisieren, sondern trug selbst in Form zahlloser Erläuterungstexte zu ihrer Erforschung bei. „Als Mandschu war er sein Leben lang bestrebt“, heißt es in dem ihm gewidmeten Aufsatz des ebenso opulenten wie unverzichtbaren Ausstellungskatalogs, „seine Identifizierung mit der chinesischen Kulturtradition zu demonstrieren und sich als deren Erbe und Bewahrer zu erweisen“.

Es ist dies ja das Erstaunliche der chinesischen Kultur, dass sie ihre – stets aus dem Norden eindringenden – Feinde nicht nur zu assimilieren, sondern mehr noch zu den eifrigsten Hütern ihrer reichen Tradition umzuformen wusste. Als überaus wirkungsmächtig erwies sich dabei die komplizierte Schrift, die nicht allein das Medium der Informationsvermittlung darstellt, sondern selbst eine Kunstgattung eigener und höchster Wertschätzung ist. Die chinesische Kultur, wie sie nun im Alten Museum dargeboten wird, ist eine stark von der Schrift und deren visuellem Reichtum geprägt; kein Rollbild beispielsweise, das nicht ohne Erläuterungen, ohne begleitende Gedichte und Notate auskäme, oft von späterer Hand. Ch’ien-lung selbst war es, der die Übung des Kolophons, den einem Kunstwerk auf Zusatzpapier beigehefte Kommentar, zur eigenen kunsthistorischen Gattung entwickelte.

Die Ausstellung unterscheidet über weite Strecken eine höfische Kultur und eine Literatenkultur. Dabei können die Protagonisten identisch sein: Wer in China die ungemein anspruchsvollen Prüfungen für die höhere Beamtenlaufbahn bestand, war damit in den Disziplinen nicht nur der Schreib-, sondern auch der Dicht- und der Malkunst ausgewiesen. Allein der Zweck unterscheidet die Kunstwerke, ob sie der höfischen Repräsentation und Geschichtsschreibung dienten oder einer ästhetischen Betrachtung, in der Kants Begriff des „interesselosen Wohlgefallens“ wohl seine historisch zutreffendste Ausprägung erfahren hat.

Beides ist daher nicht voneinander zu trennen; umso weniger, als die hoch gebildeten Kaiser sich mit Literaten umgaben und mit ihnen in der Abgeschlossenheit des Hoflebens intellektuell von gleich zu gleich verkehrten. Der konfuzianischen Lehre gemäß spielte Tradition als die Überlieferung ewiger Wertvorstellungen eine entscheidende Rolle. Wenn nun die Ausstellung dennoch der Chronologie als Gliederungsprinzip folgt, wird dieser durch und durch traditionelle, der europäischen Entwicklungsvorstellung entgegengesetzte Charakter vielleicht zu wenig deutlich. Für den Betrachter führt dies zum wiederholten Erstaunen, wie „modern“ viele Objekte aus fernen Zeiten doch wirken und wie wenig sich umgekehrt die Künste verändert zu haben scheinen, ob Bronzen oder Tuschbilder, Jadeschnitzereien oder ganz besonders die wahrhaft formvollendeten Porzellane in weiß oder blassgrün. Erst gegen Ende des 6000 Jahre umspannenden Rundgangs, parallel zur politischen Erstarrung seit dem 18. Jahrhundert, vermag man in der dekorativen Verspieltheit, etwa einer mit Schleife gegürteten Vase, und der zunehmenden Buntheit der Rollbilder eine gewisse Ermattung, ein rokokohaftes Sichverlieren im Beiläufigen zu konstatieren.

Die zeitlose Präsenz einer selbstgewissen Kunstvorstellung hingegen zeigt sich bereits in dem jungsteinzeitlichen, über 4000 Jahre alten Opferstein, einer knapp 16 Zentimeter hohen, mit abstrahierten Maskenmotiven geschmückten Jade. Sie wirkt erst recht in Objekten aus antiker Zeit, also vor der gewaltsamen Reichseinigung durch Kaiser Ch’in Shih-huang-ti im Jahr 221 v. Chr. Dessen – dem Land fortan seinen Namen gebende – Chin-Dynastie überlebte ihn nur um wenige Jahre; der Gedanke der Reichseinheit aber bildet seither die unverrückbare, bis auf den heutigen Tag wirksame Konstante der chinesischen Geschichte und Politik.

In diese Zeit fällt auch die Erstellung des ältesten Wörterbuchs, Erh Ya oder „Fortschritt zur Korrektheit“. Es ist in der Ausstellung in seiner ältesten erhaltenen Abschrift aus dem 12. Jahrhundert zu sehen und belegt die systematische Erforschung und Auslegung der kanonischen Schriften der Staatsideologie Konfuzianismus. Wie bedauerlich, dass sich dem westlichen Betrachter der Sinn der Zeichen nicht erschließt! Die Entwicklung oder besser Entfaltung der Kalligraphie, die im Folgenden überreich an Büchern, Briefen und Schriftrollen vorgeführt wird, deren beinahe jede einzelne einen Superlativ als älteste, umfassendste oder einfach nur schönste Vertreterin ihrer Art verdient, bleibt dem der Schrift Unkundigen rein äußerlich. Die Einheit von Schrift und Text, überragend demonstriert an der 258 Zentimeter langen Handrolle des Sung-zeitlichen Dichters Su Shih mit dessen 1083 kalligraphiertem „Prosagedicht über die Rote Wand“, lässt sich nur erahnen.

Kaum jünger ist eines der bezeichnendsten Bildwerke der Ausstellung. Kaiser Li-Tsung ließ 1241 von Ma Ling den mythischen Urkaiser Fu-hsi darstellen – und ihm die eigenen Gesichtszüge geben. Die Legitimität seiner eigenen Herrschaft war so über alle Zeiten hinweg dokumentiert. Schon der Begründer der Sung-Dynastie (960 bis zum Mongolensturm unter Kublai Khan 1279), Kaiser T’ai-tsu hatte sich in einem Sitzbildnis malen lassen, dergestalt, dass in ihm – einem zeitgenössischen Kommentar zufolge – „die ganze Großartigkeit des Himmels zum Ausdruck“ kam. Auch dieses Rollbild ist in der Ausstellung zu sehen.

Landschaftsdarstellungen wie sie der europäische Betrachter wohl am ehesten mit fernöstlicher Kunst verbindet, finden sich in großer Zahl. Schlichtweg vollendet sind Tuschebilder wie die drei Meter lange Rolle mit Darstellungen von und Gedichten zu elf Pflanzen von Hsü Wei (1521-93). Oder das Tuschebild „Alter Baum, Bambus und Fels“, das Chao Meng-fu im 14. Jahrhundert schuf und das, wie der Katalog verrät, auch in den Ast- und Blattdarstellungen Anspielungen auf sinnverwandte Schriftzeichen enthält. Auf einem anderen Bild notierte der hoch berühmte Maler – im Katalog schlicht als „Universalgenie“ gekennzeichnet: „Felsen wie fliegendes Weiß, Bäume wie Siegelschrift; Bambus wird nach den acht Strichen der Kalligraphie skizziert. Beherrscht einer all dies, weiß er, dass Malerei und Kalligraphie gemeinsamen Ursprung haben.“

Der Besucher der Berliner Ausstellung weiß das (in aller Regel) nicht; er steht und staunt vor all den Schätzen, die – meist in perfekt ausgeleuchteten Vitrinen – makellos dargeboten werden. Der Betrachtung und damit dem ästhetischen Genuss öffnen sie sich bereitwillig, dem Verständnis weniger; und wenn das Ausstellungsteam fürchtet, mit den zahlreichen Erläuterungstafeln zu „textlastig“ zu sein, so kann nur entgegnet werden, dass diese Texte ganz unentbehrlich sind, um über die Schönheit der Objekte den Zusammenhang einer Kultur zumindest erahnen zu lassen, die ein Abbild des Himmels formte – seiner Ordnung, seiner Harmonie und seiner überzeitlichen Dauer.

Altes Museum, Lustgarten, bis 12. Oktober. Täglich außer montags 10-18, Do bis 22 Uhr, Eintritt 6,50 €. Katalog 471 Seiten, 26 €.

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