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Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt. Nelson Mandela (Idris Elba) auf einer Kundgebung.

© Senator Film

„Mandela – Der lange Weg zur Freiheit“: Vom Untergrund in die Unsterblichkeit

Justin Chadwick übersetzt in „Mandela“ die Autobiografie des südafrikanischen Staatsmanns elegant in filmische Bilder.

Versuchsanordnung: Morgan Freeman, Idris Elba, Dennis Haysbert, Clarke Peters, Sidney Poitier, Danny Glover, Terrence Howard, David Harewood und Lindani Nkosi sitzen zusammen am Tisch. Anlass: die internationale Konferenz der Mandela-Darsteller. Wer rollt das „R“ ebenso trocken wie der große Mann? Wer kann das viel beschriebene, gutherzige Funkeln in den Augen Mandelas auf Kommando abrufen? Wer macht bei Gericht die beste Figur, wer beim Steineklopfen auf dem Gefängnishof? Und natürlich: Wessen Winnie ist die charmanteste?

An diesem Donnerstag kommt „Mandela – Der lange Weg zur Freiheit“ ins Kino, und es ist beileibe nicht der erste Versuch, Teile des Lebens des im Dezember im Alter von 94 Jahren gestorbenen südafrikanischen Freiheitskämpfers nachzuerzählen. Wohl aber ist es der erste Film, der Mandelas unter anderem heimlich auf Robben Island geschriebene Autobiografie als Vorlage nimmt.

864 Seiten (deutsche Taschenbuchausgabe) in nur 152 Filmminuten. Das sind 5,7 Seiten des prallvollen Erinnerungs- und Erklärbandes pro Minute. Verständlich, dass der Drehbuchautor William Nicholson Bammel vor dem Weglassen, dem Gewichten und dem Sortieren hatte, wie er in Interviews immer wieder betont. Vielleicht ist ihm, dem Produzenten Anant Singh und dem Regisseur Justin Chadwick gerade deshalb etwas Großes geglückt: Man weiß, was fehlt, aber man vermisst es nicht. Im Gegenteil, der Film ist nicht nur ein hervorragendes Destillat der 1994 veröffentlichten Autobiografie. Mandela selbst hatte seinem Landsmann Singh die Filmrechte übertragen. Mit der Behutsamkeit eines Restaurateurs kittet das Team Erinnerungslücken und richtet die Scheinwerfer auch auf die dunklen, zerrissenen Seiten eines Mannes, der von vielen beinahe wie ein Heiliger verehrt wird.

Die handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Evelyn etwa, seiner ersten Frau und Mutter von vier gemeinsamen Kindern. Ihr fehlte nicht nur das Verständnis für das wachsende politische Bewusstsein, sondern auch für die Affären ihres Mannes, der in jungen Jahren vor einer drohenden Zwangsverheiratung aus der Provinz ins überschäumende Johannesburg geflohen war.

Es ist bemerkenswert, dass die Filmemacher in keine der etwa tausend dramaturgischen Fallen tappen

Oder die Zeit nach dem Massaker von Sharpeville, als er in den Untergrund floh und der Gewaltlosigkeit abschwor. Oder auch sein späteres, einsames Leiden, als ihm klar wurde, dass der Preis für seinen Kampf gegen das unmenschliche System der Apartheid das Zerbrechen der eigenen Familie war, mit der er sich eine bessere Zukunft erhofft hatte.

Es ist wirklich bemerkenswert, dass die Filmemacher in keine der etwa tausend dramaturgischen Fallen tappen. Ein paar Sekunden länger das Bild Winnies im Besucherraum auf Robben Island – und es wäre furchtbarer Kitsch gewesen. Ein weiteres Witzchen mit einem Gefängniswärter – und eine „War ja gar nicht so schlimm“-Haltung hätte sich Bahn brechen können. Eine Einstellung zusätzlich, die zeigt, wie Mandela zum ersten Mal zu Verhandlungen übers sonnengeflutete Festland gefahren wird – und der Zuschauer hätte ihm womöglich so etwas wie Dankbarkeit unterstellt.

So paradox es klingen mag: „Mandela“ ist ein Meisterwerk des Weglassens. Das liegt auch an den Darstellern, angeführt von Idris Elba („The Wire“). Er sieht dem Vorbild überhaupt nicht ähnlich, wirklich kein bisschen, hat aber offensichtlich den gepressten Gang, die schwingende Rechte beim Boxen und die konzentrierte Miene Mandelas genau studiert.

Auch Naomie Harris („Skyfall“) spielt äußerst kraftvoll die Wandlung Winnie Mandelas von der optimistisch-schüchternen Aktivistin zur verbitterten Guerrillera im Tarnanzug. Das tiefe Zerwürfnis der beiden, dessen Kern die Frage war, welche Rolle Rache und Gewalt spielen sollen, war zugleich die südafrikanische Schicksalsfrage. Es ist insofern formvollendet aufbereitet, weil die Argumente jeder Seite nur angedeutet bleiben können.

Tempo, Tempo. Natürlich rast die Zeit nur so über die Leinwand wie Oscar Pistorius einst mit seinem Speedboot über den Vaal River. Zwischen dem jungen Nelson, der in den Hügeln der Transkei aufwächst, bis zum Staatsmann auf dem Weg zu seiner Inauguration als erster schwarzer Präsident des Landes liegen irgendwie auch nur ein paar zerknüllte Taschentücher und eine große Portion Nachos mit Käse. Klingt belanglos? Nein. Genauso muss Kino sein.

Konnte Nelson Mandela den Film noch selber sehen?

Dank der überwiegend linearen Erzählweise des Biopics verlieren übrigens trotz der Hochgeschwindigkeit auch mit der Materie Unvertraute nicht den Faden der Geschichte. Auch hier fällt auf: Wie schnell hätte der Film bruchlanden können – aber nicht doch, er bremst anders als Pistorius sanft ab und kommt mit elegantem Schwung am Ausgangspunkt zum Stehen.

„Mandela“ soll bald in südafrikanischen Klassenzimmern laufen. Gut so, denn der Zugang wird Schülern leicht gemacht, und sie werden etwas lernen: dass da neben der Pop gewordenen Figur noch viel, viel mehr ist, das es zu ergründen gilt. „Mandela“ weckt Neugier, nicht nur auf das Buch, sondern auch darauf, weitere Fragen zu stellen. Wie geht es uns heute? Was hat’s gebracht? Eine Diskussion, auf die sich die satten Ex-Kämpfer der Generation nach Mandela dringend einlassen müssen.

Die Nachricht seines Todes platzte in die Londoner Premiere, bei der auch seine Töchter Zindzi und Zenani und der britische Thronfolger im Publikum waren. Zwei Schweigeminuten schlossen sich der Vorführung an. Auf den Bildern sieht man, wie die Prominenz aus dem Dunkel des Kinosaals betroffen ins Scheinwerferlicht tritt. Catherine, die Duchess of Cambridge, wirkt verheult.

Hat nun Madiba – viele Südafrikaner bezeichnen ihn mit seinem Clannamen – den Film noch selber sehen können? Angeblich war die Familie rechtzeitig im Besitz einer Kopie. Den letzten öffentlichen Auftritt hatte er bei der Fußball-Weltmeisterschaft vor vier Jahren. Kaum vorstellbar, man weiß es nicht. Doch man weiß dank des „Time“-Magazins, was Nelson Mandela zu Morgan Freeman sagte, nachdem er zum ersten Mal „Invictus“, den Film über die Rugby Weltmeisterschaft 1995, gesehen hatte: „Now perhaps people will remember me.“

Ab Donnerstag in elf Berliner Kinos; OV im Cinestar SonyCenter: , OmU im Hackesche Höfe und Rollberg

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