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Kultur: "Manifesta 3": Roadmovie mit Rhododendron

Hin und her strömen die Menschen über die "Dreier-Brücke", die ihren Namen den drei benachbarten steinernen Wegen über die Ljubljanica verdankt: die einen mit leeren Körben auf dem Weg zum Markt, die anderen mit gefüllten Taschen zurückkehrend ins Zentrum. Die wenigsten halten inne für einen Blick hinunter auf den dahintreibenden Fluss oder hinauf auf das Panorama mit der Burg: Ljubljana von seiner schönsten Seite.

Hin und her strömen die Menschen über die "Dreier-Brücke", die ihren Namen den drei benachbarten steinernen Wegen über die Ljubljanica verdankt: die einen mit leeren Körben auf dem Weg zum Markt, die anderen mit gefüllten Taschen zurückkehrend ins Zentrum. Die wenigsten halten inne für einen Blick hinunter auf den dahintreibenden Fluss oder hinauf auf das Panorama mit der Burg: Ljubljana von seiner schönsten Seite. Längst hat Hauptstadt-Hektik auch die 300 000 Einwohner zählende slowenische Kapitale erfasst - zumindest darin unterscheidet sie sich nicht von ihren westeuropäischen Schwestern.

Mögen Bauten und Plätze auch noch die alte habsburgische Behaglichkeit ausstrahlen, , Slowenien hat es eilig, dazu zu gehören und nicht länger europäischer Randstaat zu bleiben. Vielleicht werden gerade deshalb die beidseits der Fußgängerüberwege angebrachten Schilder mit der Aufschrift "European Union" und "Others" geflissentlich übersehen, die sonst auf jedem internationalen Flughafen für eine peinlich genaue Trennung sorgen. "Sejla Kameri¿c, die diese Schilder entworfen hat, kennt bestens das Gefühl, auf der falschen Seite zu stehen: Die in Sarajevo lebende Künstlerin muss derzeit in noch fast jedem Staat ein Einreisevisum vorweisen.

Zumindest für die nächsten drei Monate aber werden die von ihr angebrachten Tafeln zum Erscheinungsbild von Ljubljana gehören und die berühmteste Brücke der Stadt in irritierender Weise zieren. Mit ihrem Beitrag gehört die Künstlerin aus Bosnien-Herzegovina zu den knapp sechzig Teilnehmern der "Manifesta", einer nun zum dritten Mal stattfindenden Biennale junger zeitgenössischer Kunst, die sich nach dem Fall der Mauer als Forum einer sich neu formierenden europäischen Szene gegründet hat. Nach einem vielversprechenden Start 1996 in Rotterdam und erfolgreicher Fortsetzung zwei Jahre später in Luxemburg hat die durch den Kontinent wandernde Veranstaltung endlich den Sprung in ein osteuropäisches Land gewagt.

Slowenien - die Schweiz des Balkans

Slowenien allerdings bedeutete wohl das kleinstmögliche Risiko, schließlich war das heute knapp drei Millionen Einwohner zählende Land die nördlichste und reichste Teilrepublik Jugoslawiens. Spötter nannten es auch die Schweiz des Balkans: fleißig, sauber, wohlhabend. Bis auf den Zehn-Tage-Krieg 1991 blieben ihm gewalttätige Auseinandersetzungen weitgehend erspart. Auch die Architektur des Sozialismus konnte ins Stadtbild keine größeren Wunden schlagen. Die großbürgerlichen Jugendstilplätze haben ihre Geschlossenheit bewahrt, die Barockviertel sind so gut wie unversehrt. Ljubljana zeigt deshalb Selbstbewusstsein und empfindet sich - so Kulturminister Jo"zef "Skolc im Katalogvorwort - als idealer Austragungsort für eine Kunstbiennale, der es gerade um die Ost-West-Verbindung geht. Die örtliche Szene reagierte prompt mit Misstrauen, denn sie fürchtet die politische Vereinnahmung eines Ereignisses, das schließlich weniger der Politik als ihr zu Gute kommen sollte.

Doch dieser Verdacht zerstreut sich schnell. Das vierköpfige Kuratorenteam, das mit jeder neuen "Manifesta" wechselt, hat ein Thema gestellt, das für Politiker zum Renommieren nicht taugt: "Borderline-Syndrom". Den aus der Psychologie entliehenen Begriff benutzten der italienische Kurator Francesco Bonami, der holländische Kunstkritiker Ole Bouman, die slowakische Ausstellungsmacherin Mária Hlavajová und die Chefin der Wiener Secession Kathrin Romberg, um Grenzziehungen und Abwehrstrategien zu untersuchen. Was ansonsten einen Zustand am Rande der Psychose beschreibt, haben die "Manifesta"-Macher auf die geografische Lage Sloweniens uminterpretiert. "Borderline" - ein pikantes Thema gerade in einem Balkanland, vor dessen Tür sich kriegerische Konflikte um nationale, ethnische, kulturelle Grenzen abspielen. Das Wagnis bestand also weniger in Ljubljana als Spielstätte denn in der ausgegebenen Parole "Wo ziehen Sie die Grenze?".

Und noch ein Wagnis sind die Vier eingegangen: Ihre Künstlerliste kommt fast ohne Zugpferde aus, die meisten Namen sind unbekannt, ja, knapp die Hälfte der Teilnehmer stammt aus dem osteuropäischen Raum, was viele der vornehmlich aus dem Westen angereisten Vernissagen-Besucher mit Argwohn beäugten. Aber war nicht genau die Öffnung Ziel des Unternehmens: räumlich und personell? Wenn die "Manifesta 3" wie ihre beiden Vorgängerinnen funktioniert, dann wird man die nach Ljubljana eingeladenen Künstler in den kommenden beiden Jahren auf allen großen internationalen Ausstellungen wiedertreffen.

Ja, wenn ... Der innige Wunsch des Kuratorenteams, eine Diskussion anzustoßen und nicht nur eine weitere Kunstschau zu organisieren, erweist sich für die Ausstellung beinahe als kontraproduktiv. Sämtliche Beiträge wurden so ausgewählt, dass sie perfekt ins "Borderline"-Schema passen. Der Besucher begibt sich auf eine Art Büßergang, denn Grenzerfahrung bedeutet hier entweder soziale, rassische, geschlechtliche Diskriminierung oder das traumatische Erlebnis nationaler Trennungen. Die heitere Stimmung in der Stadt - schnell ist sie vergessen angesichts der fast durchweg depressiven Videos, in denen die Künstler ihre Erfahrungen verarbeiten.

Geschichten aus der Dunkelheit

"After, after" von Jasmila "Zbani¿c erzählt die Geschichte einer Kindheit in Sarajevo, Adrian Pacis "Albanian stories" von der Rückkehr des Schreckens in Märchengestalt, Anri Salas "Nocturnes" von den Erinnerungen eines jungen Soldaten an den Jugoslawienkrieg. Die Schweizerin Ursula Biemann filmte das Leid junger Arbeiterinnen an der mexikanisch-amerikanischen Grenze, der Israeli Amit Goren den Alltag afrikanischer Einwandererkinder. Ein Großteil der Ausstellung hätte aalso uch in den Kinosaal verlegt werden können, wo der Besucher bei vollständiger Vorführung aller Videos erst Stunden später entlassen worden wäre. Stattdessen begnügt man sich meist mit der Kurzfassung im Katalog, der sich deshalb wie eine Aneinanderreihung moralischer messages liest.

Über ästhetische Diskussionen ist diese Biennale längst erhaben. Malerei und Skulptur wird man vergeblich suchen, stattdessen immer wieder auf Denkstücke stoßen. Wie dieses ohne Zeigefinger und dokumentarischen Impetus gelingen kann, macht der heute in Italien lebende Albanier Sislej Xhafa vor. Er stellte sich in bester Broker-Manier mit Schlips und Kragen im Bahnhof von Ljubljana unter die elektronische Schautafel und informierte die vorbeikommenden Fahrgäste wie ein Börsianer mit heftigen Gesten und Rufen über Abfahrtszeiten, Gleiszahl und Reiseziel. Titel der Performance: "Stock-Exchange" - denn was liegt näher, als den Umschlag von Waren mit der Bewegung von Menschen von einem Ort zum anderen zu vergleichen. Am Ende sind auch sie nur Zahlen und Verschiebungen auf dem Weltmarkt.

Auch James J. Starling bedient sich einer Metapher, wenn er mit Rhododendronsträuchern aus einem schottischen Park quer durch Europa an ihren Ursprungsort in Spanien zurückkehrt, wo sie knapp 250 Jahre zuvor ausgepflanzt wurden. Ein Roadmovie der Wurzellosigkeit, dem auch komische Seiten abzugewinnen sind. Das griechisch-mazedonische Duo Nayia Frangouli & Yane Calovski versucht es ebenfalls auf die spielerische Art: Die beiden platzierten sich mit einem Obststand vor das Völkerkundemuseum, wo sie den Besuchern durcheinander gemischte Äpfel und Orangen ihrer einander eigentlich feindlich gesonnenen Heimatländer anboten. Jede Frucht trägt den Sonne strahlenden Aufkleber "Idealpolitik".

Aber nur für einen Moment wird die Kunst zum Schauplatz einer besseren Welt, wo existenzielle Ängste und bedrohliche Erinnerungen in Bilder gebannt werden können, wo das Wünschen noch hilft und internationales Flair für drei Ausstellungsmonate zumindest nationale Grenzen vergessen lässt. Denn die "Manifesta"-Kuratoren haben nicht an die böse Fee in Gestalt des russischen Aktionskünstlers Alexander Brenner gedacht, der wie im Märchen nicht zum Fest eingeladen war. Prompt versuchte er die Eröffnungspressekonferenz zu sprengen, indem er die Rückwand des Saales mit Parolen wie "Zerstört das neoliberale multikulturelle Kunstsystem" besprühte, den um Gleichmut bemühten Veranstaltern das Mikrofon entriss und sich bis zu seinem gewaltsamen Abtransport am Rednertisch festklammerte. Zurück bleibt ein Stoß Flugblätter, auf dem der Störenfried durchaus plausibel darlegt, inwiefern die Kunst als fragwürdiger Vorarbeiter der Globalisierung dient.

Erst spät am Abend lässt sich das ungute Gefühl abschütteln: in den Räumen der kommunalen "Skuc-Galerie, wo ein junger Budapester Kurator poppig-bunte Kunst aus Ungarn präsentiert. Zufall kann das nicht sein, denn Vertreter seines Landes fehlen auf der "Manifesta 3", die eigentlich den Zusatz "Europäische Biennale zeitgenössischer Kunst" in ihrem Titel trägt. Es wird sie wohl immer geben: die einen und die anderen. Nur weisen in den seltensten Fällen Schautafeln wie an internationalen Flughäfen und derzeit Ljubljanas Dreier-Brücke darauf hin.

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