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Floß im Zürichsee. Der "Pavillon of Reflections" ist das Wahrzeichen der 11. Manifesta.

© Ennio Leanza/dpa

Manifesta in Zürich: Huren mit goldenen Uhren

Die europäische Wanderbiennale Manifesta sucht in Zürich die Konfrontation mit der Komfortzone der Gesellschaft.

„Ich war seine Muse“, strahlt Jacqueline Meier übers ganze Gesicht. Die Zürcher Hundecoiffeuse genießt das Rampenlicht. Für einen Abend schart sich das Kunstpublikum um sie, Interviews gibt allerdings der belgische Künstler Guillaume Bijl, der sich mit ihr für ein Ausstellungsprojekt zusammengetan hat: einen Hundesalon der anderen Art. Die Einkaufsliste für die fachgerechte Einrichtung schrieb ihm die Coiffeuse, Bürsten, Leinen, Kautschuk-Knochen, Bijl fügte nur einige befremdliche Elemente hinzu, um die Wirklichkeit zu brechen: etwa eine Galerie halbierter Spielzeug-Hunde.

Auch Umat Dimsheev, dem russischen Rezeptionisten des Hotel Park-Hyatt, gefällt das Interesse an seiner Person, mag es auch eher auf seine Kleidung gerichtet sein. Der junge Mann trägt halbseitig einen orangefarbenen Kittel, den der Hamburger Bildhauer Franz Erhard Walther entwarf. Dergleichen Kunstbekleidung kennt man von Walther seit den Sechzigern. Doch zum ersten Mal hängt sie nicht an der Museumswand oder wird für Performances aktiviert, sondern tritt in den Alltag ein. Der Stoffentwickler Thomas Deutschenbaur half ihm dabei, das grobe Material tragbar zu machen.

Bei Bijl wie Walther fruchtete die künstlerische Zusammenarbeit mit Vertretern der Berufswelt. Der Zusammenprall mit der Praxis bringt ihr Werk voran. Auch der amerikanische Maschinenkünstler Jon Kessler erlebte mit dem Uhrmacher Adriano Toninelli diesen Effekt. Gemeinsam baute das Duo eine rotierende Installation, die ein Schweizer Präzisionswerk antreibt. Die Rädchen einer klassischen Armbanduhr mobilisieren riesige Trommeln, auf denen als Videoprojektion immer wieder ein Vogel hochflattert.

Kunst- und Arbeitswelt reichen sich die Hand

Die beiden stehen nun einträchtig vor ihrer extravaganten Kuckucksuhr und machen sich gegenseitig Komplimente. Dazu werden bei „Les Ambassadeur“, einem Uhrenladen in Zürichs Luxusmeile Bahnhofstraße, Champagner und Häppchen mit Bündner Fleisch gereicht wie sonst nur beim Verkauf eines Edel-Chronometers. Kunst- und Arbeitswelt reichen sich für einen Abend die Hand, so weit sind sie gar nicht voneinander entfernt, auch was die Gepflogenheiten nach erfolgreichem Geschäftsabschluss betrifft.

Genau diese Begegnungen, Irritationen, überraschenden Übereinstimmungen hat Christian Jankowski mit seiner Manifesta gesucht. Die elfte europäische Wanderbiennale, bei ihrer Gründung Anfang der Neunziger noch für die Peripherie gedacht, ist mit der Schweiz in der Mitte des Kontinents gelandet. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs für eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Problematiken eines wiedervereinten Europas konzipiert, sucht die Manifesta nun die Reibung mit der Komfortzone. In Zürich offenbart sich erneut die Instrumentalisierung des vagabundierenden Kunstfestivals. Vor zwei Jahren in St. Petersburg diente es dem Zweck, die Eremitage international an die Ausstellungshäuser zeitgenössischer Kunst anzudocken. Diesmal soll es helfen, Zürichs Image als Bankenstadt Richtung Kultur zu rücken.

Manifesta-Kunst I. Die Arbeit "The Swallower Swallowed" des Kanadiers Jon Rafman .
Manifesta-Kunst I. Die Arbeit "The Swallower Swallowed" des Kanadiers Jon Rafman .

© Ennio Leanza/dpa

Mit Jankowski hat man sich jedoch einen Kurator geholt, der seine Integrität als Künstler bewahrt und zugleich andere inspiriert. Seine Manifesta funktioniert zwar, das Wunder von Zürich aber bleibt aus. Dafür fehlt zu vielen Joint Ventures der Funkenflug. Sie sind vergnüglich, poetisch, doch häufig banal, wie das Leben so ist. Als Mann für das Pragmatische hat der Berliner Künstler ein Konzept vorgeschlagen, bei dem er selber gerne mitgemacht hätte. Bekannt geworden durch Kooperationen mit Wahrsagerinnen, Politikern, dem Vatikan, zuletzt der Schauspielerin Nina Hoss, machte er dieses Prinzip nun zur Grundlage seiner Biennale.

What People Do for Money, lautet der Titel

Aus einer Liste von 1000 in Zürich praktizierten Berufen durften sich die 30 eingeladenen Künstler einen Partner auswählen, um gemeinsam ein Werk zu entwickeln, das nun im Kunstareal von Löwenbrauerei oder Helmhaus zu sehen ist, außerdem einen Ableger an seinem Ausgangspunkt hat, ob Bank, Stundenhotel oder Sportstudio. Wie die Arbeiten entstanden, wurde filmisch festgehalten mit Zürcher Schülern als Fragestellern. Gezeigt werden die Filme auf einem Riesenfloß, das die 100 Festival-Tage auf dem Zürichsee schwimmt, einer Mischung aus Openair-Kino, Café und „Badi“, wie die Schweizer Freibäder heißen.

„What People Do for Money“ lautet provokant der Biennale-Titel. Das klingt reißerisch, sagt aber worum es geht: das Geldverdienen, die Arbeit. Etwas, das immer weniger selbstverständlich wird durch das Verschwinden ganzer Berufe, durch Technisierung, Rationalisierung, aber auch durch die verfließenden Übergänge von Privatleben und Freizeit. Die Berlin-Biennale und Zürcher Manifesta könnten da nicht unterschiedlicher sein. Während die Berliner Kuratoren die Verwischungen zelebrieren, den Menschen des digitalen Zeitalters als schillernden Konsumenten, als sich selbst immer wieder neu entwerfenden User definieren, betont die Manifesta das Greifbare, der Hände Arbeit. Das passt zur Zünftestadt Zürich, mögen die Geldflüsse noch so untergründig fließen.

Manifesta-Kunst II. Michel Houellebecq vor seinem gerenderten Schädel.
Manifesta-Kunst II. Michel Houellebecq vor seinem gerenderten Schädel.

© Fabrice Cofferini/AFP

Wie die Berlin-Biennale will die Manifesta ein Bild der Gesellschaft entwerfen. Doch während in Berlin die Zukunft imaginiert wird, eine junge Generation sich mit den Mitteln der neuen Medien artikuliert, geht es in Zürich vielfach zurück, ganz klassisch zu Malerei, Bildhauerei, Film. Mike Bouchet schuf eine minimalistische Skulptur à la Carl Andre als Reihung rechteckiger Kuben – allerdings nicht clean aus Metall, Kunststoff oder Holz, sondern achtzig Tonnen Fäkalien, den zusammengepressten Ausscheidungen der Zürcher Bevölkerung eines Tages. Nichts für empfindliche Nasen.

Michel Houellebecp zeigt seinen Schädel

Jankowskis Auftrag hat die Künstler animiert, sich den Niederungen des städtischen Zusammenlebens zu stellen, das zivile Miteinander handfest zu befragen. Polizisten, Feuerwehrleute, Pathologen, Gastronomen, Lehrer, Prostituierte wurden als Partner ausgewählt. Krankheit, Tod, Gewalt sind ihre Themen. Der Schriftsteller Michel Houellebecq ließ sich in der Hirslanden-Klinik symbolträchtig Kopf und rechte Hand untersuchen. Das Ergebnis in Form farbiger Diagramme und Kurven liegt am Klinikempfang zum Mitnehmen parat. Daneben sitzen bedrückt wartende Patienten. Dem Laien sagen die Zettel nichts, Chefarzt Dr. Perschak verrät nur, „dass Michel zu viel raucht“. Aha, man ahnte es schon. Als persönliches Memento mori zeigt der frisch gebackene Künstler im Helmhaus eine gerenderte Version seines Schriftsteller-Kopfes: einen Totenschädel.

Es kommt, wie es kommen muss. Viele Arbeiten wirken in ihrer ursprünglichen Umgebung stärker, lebensnäher, inspirierter als in ihrer endgültigen Fassung im White Cube. Die Bilder des chinesischen Malers Yin Xunzhi, der eine Stewardess traf, besitzt in der Flugbar skurrilen Charme, im Helmhaus sind seine Porträts nur noch schlechte Kunst. Und Asli Çavusoglus Versuch, mit Hilfe eines Restaurators auf Gemälden der Schweizer Bergwelt verborgene Landschaften freizulegen, wirkt in der Zürcher Touristeninformation ungleich erhellender.

Die unmittelbare Nähe von Kunst und Geld tut weh

Die Präsentationen im White Cube fallen vor allem wegen der Durchmischung mit der eigentlich hervorragenden Ausstellung von Francesca Gavin ab, die traditionelle Berufe wie den des Künstlers selbst reflektiert. Zu einem der schönsten Beiträge gehört eine Fernsehwerbung von Chris Burden aus den Sechzigern, in der er die wichtigsten Künstler hintereinander nennt: Leonardo da Vinci, Michelangelo, Rembrandt, van Gogh, Picasso, Chris Burden! Dieser clowneske Versuch, ein größeres Publikum zu erreichen, stammt aus einer Zeit, als die Kunstwelt noch überschaubar, an Geldverdienen nicht zu denken war.

Beiläufig berichtet die Ausstellung auch davon: What People Do for Money – im Kunstbusiness. Ebenfalls im Löwenbräu-Areal bietet die Galerie Eva Presenhuber in ihren Räumen Aufnahmen von Torbjørn Rødland feil, der für die Manifesta in einer Zahnarztpraxis Schlünde fotografierte, außerdem Goldkronen und Brücken mit Zimtschnecken und Eclairs zu Stillleben über Begehren und Schmerz, Sünde und Sühne arrangierte. Gewiss, auch diese unmittelbare Nähe von Manifesta und Markt, Kunst und Geld tut weh. Aber, hej, so ist das Leben.

Manifesta, Zürich, bis 18. 9.; Katalog (Lars Müller) 49 CHF, www.manifesta.org

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