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Zwillinge. Natalia (l.) und Maria Petschatnikov in ihrem Atelier in Mitte.

© Thilo Rückeis

Maria und Natalia Petschatnikov im Tempelhof Museum: Stadt als Puzzle

Zählen und sammeln: Maria und Natalia Petschatnikov lieben Serien – ob als Bilder oder Skulpturen. Ein Atelierbesuch.

Tropfnasses Grün, auf dem Asphalt wirft der Sommerregen Blasen, jedes Auto lässt Gischt spritzen. Die Straße Alt-Mariendorf ist ein einziges Gurgeln. Das hier ansässige Museum Tempelhof befindet sich in einem weiß getünchten Häuschen, das einmal die alte Schule an der Dorfaue war. Einer dieser Orte, die Vergangenheit atmen, Vergessen und Erinnern. Die nach Leder, Holz und Lehm riechen, besonders an einem Regentag. Oben ist die Dauerausstellung des Heimatmuseums zu sehen, die bäuerliche Vergangenheit und Industriegeschichte. Im Erdgeschoss sitzt die kommunale Galerie, betreut vom Haus am Kleistpark. Hier mischt sich der Aura des Hauses ein Geruch von Ölfarbe bei.

„Collecting the City“ heißt die in Zusammenarbeit mit dem Frauenmuseum Berlin entstandene Installation. Sie bezieht den gesamten Raum ein, der bestimmt mal ein Klassenzimmer war. Gestaltet haben ihn die Schwestern Maria und Natalia Petschatnikov. Der mit Papier bedeckte Boden ist mit Farbe bemalt, die Wände bekleckst, an den Stirn- wie Längsseiten stehen und stapeln sich auf Gemälde. Nebeneinander auf Leisten an der Wand, auf dem Boden, hintereinander, übereinander, gruppiert, vereinzelt. Sie ergeben ein Bild – des Trecento- Raums im Bode-Museum oder einer Flohmarktszene im Mauerpark – realistisch gemalt, doch in der Wirkung fragmentarisch. Die Übergänge, die Anschlüsse stimmen nicht. Zwischen den bemalten Metallplatten gibt es Lücken.

Stillleben alter Meister faszinieren sie

Die Zwillinge Petschatnikov produzieren ihr subjektives Puzzlespiel der Stadt. Mit seiner Faszination für die Malkunst, für Stillleben alter Meister scheint es nirgends besser hinzupassen als in dieses verwunschene kleine Museum.

Die im Raum verteilten Gemälde sind ein Zitat ihrer eigenen Ateliersituation. Zusammen mit den Bildern vom Bode-Museum und dem Mauerpark-Flohmarkt ergibt sich ein assoziativer Ort, der zugleich öffentlich ist und privat, vergangen und gegenwärtig. Eine universelle Schnittmenge der Urbanität.

Eine Ansicht aus "Collecting the City" im Tempelhof Museum.
Eine Ansicht aus "Collecting the City" im Tempelhof Museum.

© Gerhard Haug/Promo

Staub und Getöse großer Baustellen hängen in der heißen Luft. An der Ecke Brückenstraße wühlt sich ein Abrissbagger in die offene Flanke eines Hauses. Die Rungestraße in Mitte atmet Veränderung. Ein Plakat preist „Be-Mitte“-Eigentumswohnungen an. Nebenan prangen kämpferische Plakate an der Altbaufassade „Hallo Käufer, hier erwarten Sie Rechtsstreitigkeiten!“ Im Hinterhof liegt das Atelierhaus des Berliner Berufsverbands Bildender Künstler, in dem die beiden Petschatnikovs mit Blick auf den wachsenden Rohbau arbeiten. Das städtisch subventionierte Atelierhaus sei das letzte im Bezirk, erzählen sie, die anderen wurden verdrängt. Als sie vor sechs Jahren nach Berlin kamen, waren sie glücklich, hier einen Platz bekommen zu haben. Zwei Jahre dürfen sie noch bleiben, dann sind die acht herum, die jeder Künstler Mieter sein darf. „Ein Luxus“, sagen die 1973 in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, geborenen Zwillinge.

Malen haben sie als Kinder in der Eremitage gelernt

Zeichnen und Malen haben die polyglotten, ab dem Alter von 17 Jahren in den USA und Frankreich ausgebildeten und in vielen europäischen Ländern zeitweilig ansässigen Töchter einer Kindertheaterdirektorin und eines Filmproduzenten einst in der Kindermalschule der Eremitage gelernt. Dort haben sie auch schon in jungen Jahren ausgestellt. „Unser Held war Rembrandt, nicht Lenin.“

Dieser Kindertraum Eremitage habe die Grundlage für alles gelegt, erzählen sie. Fürs Künstlertum, die Arbeits- und Lebensgemeinschaft, die zwischen Malerei, Plastik und Installation changierende Arbeitsweise, die kunsthistorischen Zitate, das Interesse für Geschichte und vor allem für das Gefühl, Museen überall auf der Welt sowohl als Heimat wie Spielwiese zu betrachten. Selbstverständlich auch in Alt-Mariendorf. „Wir lieben altmodische Museen, die noch nicht mit all diesen interaktiven Funktionen ausgestattet sind“, sagt Natalia. „Wir sind Sammler. Für uns sind das inszenierte Räume, genau wie unsere Ausstellungen“, erklärt Maria. „Wir reagieren auf Räume“, ergänzt wiederum Natalia. Die spezielle Aura von Museumsräumen stelle eine Verbindung zwischen privater und öffentlicher Sphäre her.

In „Collecting the City“ repräsentiert das Bode-Museum die ordentlich sortierte Vergangenheit, die Stuhlgruppe, die sich auf dem Flohmarkt in einer Pfütze spiegelt, steht für die unsortierte Vergangenheit und Gegenwart. Der Mauerpark sei ein theatralischer Ort, der reinste Fellini-Film, so Natalia. Bei den Petschatnikovs ist er menschenleer, Porträts interessieren die beiden nicht. „Und das Atelier ist der Ort des Denkens und Sammelns“, fügt Maria hinzu. Immer wieder bringt die eine der eloquenten und witzigen Schwestern einen Gedanken zu Ende, den die andere zu spinnen begonnen hat. Ihre Arbeitsgemeinschaft des künstlerischen Sammelns und Vermessens der Welt schließt auch das Erklären derselben mit ein. Anders als es das Klischee vom egomanischen Künstler will, haben sie untereinander nie Konkurrenz empfunden. Ihr Credo lautet: „Wir machen gemeine Sache.“ So wie beispielsweise auch ein anderes Künstler-Zwillingspaar – die Tobias Brothers.

Sie sind Serientäterinnen, Zahlen sind wichtig

Maria und Natalia Petschatnikov sind Serientäterinnen. In vorherigen Arbeiten kamen 100 Vögel, 50 Euroscheine, 24 U-Bahnhöfe oder 30 Hunde vor. Stets fertigen sie zuerst Fotografien an, bevor sie diese als Skulptur oder Gemälde umsetzen. Gerade laufen die Planungen für ein Projekt 2017 auf Einladung der Stiftung Berliner Mauer: eine Installation aus 1000 Krähen auf dem abgeernteten Roggenfeld an der Kapelle der Versöhnung in der Bernauer Straße.

Flohmarkt Mauerpark. Ansicht aus "Collecting the City" im Tempelhof Museum.
Flohmarkt Mauerpark. Ansicht aus "Collecting the City" im Tempelhof Museum.

© Gerhard Haug/Promo

„Zahlen sind wichtig für uns,“ sagen die beiden, „sie geben uns einen Grund, etwas zu tun, und setzen zugleich eine Grenze.“ Außerdem gehe es um die Logik innerhalb einer Serie. Sie haben sämtliche Bahnhöfe der U-Bahnlinie 8 in einer Gemäldeserie abgebildet, um die Differenzen zu erkennen. Danach haben sie plötzlich ganz von allein die zu Mauerzeiten von den Zügen im Schleichtempo durchfahrenen Geisterbahnhöfe erkannt.

Ist das Sammeln also nach guter alter Gelehrtenart der Versuch, die Welt zu verstehen? Da nicken sie. Aber nicht nur das. Diese Technik gebe den Menschen die Möglichkeit, ihre eigenen Regeln und Klassifikationen der Welt zu installieren. Die Stadt lässt sich anders erzählen, indem man Gegenstände aus ihrem Kontext löst: so wie jene 30 Hundeplastiken, die nach Fotos geformt wurden, die sie einen Monat lang täglich angefertigt haben.

Die Leinen stehen straff gespannt im Raum

In der Original-Installation tragen diese grauen, gesichtslosen Wesen echte Hundeleinen. Nur, dass diese straff gespannt im luftleeren Raum stehen bleiben. Kein Herrchen nirgends am anderen Ende der Leine, was der auf den ersten Blick verspielt wirkenden Alltagsmeute eine ironisch-bedrohliche Wendung gibt. Auf Irritationen dieser Art haben es die Petschatnikovs abgesehen. Und darauf, den Nimbus der Malerei zu brechen. Deswegen stapeln sie die Bilder, auf Böden und Leisten oder stellen den Betrachter – wie im Museum Tempelhof – mitten hinein.

An der Atelierwand hängt schon die nächste Serie: fein ausgeführte Aquarelle auf Polyesterfolie, die wie in einem Storyboard Szenen ihrer meist in Litauen verbrachten Kindheitssommer zeigen. Es soll der erste Animationsfilm der Petschatnikovs werden. Ihr nächstes Welterklärmedium.

Galerie im Tempelhof Museum, Alt-Mariendorf 43, bis 3. 7., Mo-Do 10-18 Uhr, Fr 10-14 Uhr, So 11-15 Uhr. Am 3. 7. sind die Künstlerinnen von 14 bis 15 Uhr anwesend.

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