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Markantes Perrondach. Die Haltestelle „Praterstern“ der Wiener Stadtbahn, fotografiert von Marianne Strobl, zeigt Ingenieurskunst 1898.

© Photoinstitut Bonartes, Wien

Marianne Strobl wird wiederentdeckt: Die Pionierin der Fotografie, die ihre Identität verschleierte

Marianne Strobl spezialisierte sich als erste Fotografin Österreich-Ungarns auf Industriebilder. Lange kannte man nur ihr Kürzel. Nun wird sie wiederentdeckt.

Von Markus Lücker

Knapp ein Jahrhundert dauerte es, ehe aus dem „M.“ wieder eine Marianne wurde. Kein Fotograf, sondern eine Fotografin. Eine, die sich in Wien für ihre Auftraggeber auf Großbaustellen herumtrieb und in Fabriken. Die sich in der österreichisch-ungarischen Monarchie als Erste auf jenes Genre spezialisierte, das heute als Industriefotografie bekannt ist. Nicht nur als erste Frau, sondern als erste Fotografin überhaupt.

Dennoch war von dieser Pionierin lange nur der markante rote Schriftzug bekannt, mit dem sie ihre Bilder unterzeichnete: „M. Strobl“. Vermutlich steckte hinter der verkürzten Schreibweise die Absicht, ihr Geschlecht vor potenziellen Auftraggebern zu verschleiern. Erst 2017 war es dem Photoinstitut Bonartes in Österreich möglich, die volle Identität von Marianne Strobl zu rekonstruieren.

Nun stellt das Verborgene Museum in Berlin sechzig Schwarz-Weiß-Bilder der 1865 geborenen Fotografin vor. Gleichzeitig zeigt das Konvolut auch ein Wien, das sich im Umbruch befindet.

Straßen werden aufgerissen, um jenes Kanalisationssystem auszubauen, das später dank Orson Welles als Schauplatz für „Der dritte Mann“ weltberühmt werden wird. Auf einer der Fotografien zieht sich die Haltestelle Praterstern der Wiener Stadtbahn in einem weiten Bogen ins Bild. Fortschritt und Geschwindigkeit sind der Architektur eingeschrieben.

Strobl lernte ihr Handwerk wahrscheinlich beim „Club der Amateur-Photographen in Wien“, zu dem sie über ihren Mann Josef Zugang bekam. Ganz ohne Hilfe ging es für die Pionierin nämlich nicht. Die Ausbildung an der Wiener Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie war beispielsweise erst ab 1908 für Frauen zugänglich.

Die Moderne und die ländliche Idylle

Über den Amateur-Club kam Strobl an technisches Equipment, Atelierräume und eine Dunkelkammer. Ihr Mann ist es vermutlich auch, der ihr als Ministerialbeamter den ersten Großauftrag vermittelt.

Für die Armeeverwaltung soll sie bei einer Messe Tierkarren und andere Fuhrwerke fotografieren. Die Bilder zeigen von Anfang an auch Überbleibsel einer ländlichen Idylle, die schon damals von der Moderne bedrängt wird.

Oft kann diese Bergweltromantik angesichts von neuen Technologien nur noch in der Inszenierung überleben. So wie bei der Dokumentation der Bauarbeiten am Kraftwerk Ungarfeld.

Während im Hintergrund die Energieanlagen entstehen, sitzt vorne ein Wanderer. Den Blick in die Ferne gerichtet, mit einem Hund an seiner Seite, zeigt er sich unbeeindruckt von den Entwicklungen des neuen Jahrhunderts.

Spiel mit Dokumentation und Inszenierung

Dass es sich bei ihm um Marianne Strobls in Szene gesetzten Ehemann handelt, blieb den damaligen Betrachtern verborgen. Dieses Spiel zwischen Dokumentation und Inszenierung verleiht Strobls Bildern Tiefe.

Als Industriefotografin war sie stets an die kommerziellen Interessen ihrer Auftragsgeber gebunden. In den Fotos zum Bau des neuen Reichskriegsministeriums in Wien ist gut erkennbar ein Banner des Betonbauers A. Porr platziert, der Strobls Arbeit finanzierte.

Bauarbeiter posieren schaufelnd oder mit Spitzhacken zuhauend, als wären sie gerade im Begriff, die Zukunft der Stadt zu errichten. Eine Illusion, denn die Abgebildeten mussten bis zu einer Minute für die Belichtung der Fotos stillstehen, sonst wären sie auf dem finalen Bild verwackelt erschienen.

Die Ausstellung offenbart, dass die Selbstdarstellung der neuen Stadt immer auch gleichbedeutend mit einer von Männlichkeit geschaffenen Moderne war. Von den Leistungen der Frauen blieb hingegen oft nicht mehr als ein Buchstabe.
Bis 8.3., Verborgenes Museum, Schlüterstr. 70, Do, Fr 15 -19 Uhr, Sa , So 12 -16 Uhr.

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