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Marie Marcks zum 90.: Frauen können alles - sogar einparken

Marie Marcks war mit ihren Karikaturen eine Vorkämpferin des Feminismus. Nun wird sie 90. Ein Geburtstagsgruß.

Ihr Strich ist sehr speziell, man erkennt ihn sofort. Ihre hageren Figuren haben lange spitze Nasen und langes spitzes Kinn, ihre Sprechblasen eine freundliche Wolkenform. Ihre Geschichten sind einfach bis abgefahren, die Pointen öfter mal Spätzünder: dazu geschaffen, den Betrachter ihrer Cartoons und Karikaturen nachts für einen kleinen heiseren Lacher aus dem Schlaf zu holen, mit der Garantie auf eher unruhigen Weiterschlaf. Ihr Humor steht nicht für Tiefsinn, Feinsinn oder Scharfsinn. Er steht für Hintersinn.

Die gebürtige Berlinerin, später dann in Heidelberg ansässig, hat als Karikaturistin die Bundesrepublik ab den sechziger Jahren immer wieder schön in die Pfanne gehauen. Sie war die comicmäßige Kritikerin der Aufrüstung, der Kernkrafteuphorie, des Radikalenerlasses, der Umweltverschmutzung und des Neonazismus. Für die „Süddeutsche Zeitung“ hat sie von 1965 bis 1988 deutsche Zustände bloßgestellt, aber auch die „Zeit“, der „Vorwärts“ und die „Titanic“ bestellten Blätter bei ihr. Nimmt man heute einen ihrer Karikaturenbände aus vergangenen Jahrzehnten zur Hand, staunt man, wie zeitgenössisch all das ist, was sie da zur Kenntlichkeit verzeichnet hat. Neonazis? Noch längst nicht vorbei, das Problem. Kernkraft? Dito. Umwelt? O je.

Hintersinnig: Einer von Marcks' Cartoons.
Hintersinnig: Einer von Marcks' Cartoons.

© Promo

Ihr Weitblick half Marie Marcks insbesondere bei dem großen Thema Familie und Geschlechterverhältnis. Sie hat einen gnadenlosen zeichnerischen Zugriff auf die Dramen des Alltags gehabt. Befragt, wo sie den her habe, antwortete sie: „aus eigenem Erleben“. In einem Interview aus den achtziger Jahren sagt Peggy Parnass zu der Mutter von fünf Kindern: „Ich stelle mir vor, dass du dich für viele Jahre kaputtgemacht hast mit Dingen, die überflüssig waren.“ Darauf Marcks: „Vielleicht waren die gar nicht so überflüssig, ich weiß es nicht. In gewisser Weise lebe ich oder lebt meine Zeichnerei von diesen überflüssigen Dingen.“ Ihre Arbeit am Zeichentisch speiste sich eben auch aus der Arbeit am Küchentisch, sowie vom Blick aus dem Fenster und in die Zeitung.

Marcks war immer eine Person und Künstlerin auf eigene Faust, sie könnte nie in eine Partei eintreten und sich dem Fraktionszwang beugen, hat sie gesagt. Sie braucht Freiheit, was ihre Fantasie, ihre „Zeichnerei“ und ihren Blick auf die Dinge und in die Zukunft betrifft. Auch von der Frauenbewegung hat sich die Künstlerin nicht vereinnahmen lassen, aus der geplanten Mitarbeit bei der „Emma“ wurde nichts. Aber darauf kommt es auch nicht an. Die eigenwillige Anti-Ideologin Marcks hat dennoch auf ihre Weise „Politik“ für Frauen gemacht, jedenfalls darf man das aus der Perspektive der siebziger Jahre, als alles Private politisch war, so sagen.

Der ganz normale Wahnsinn. Marie Marcks findet ihre Themen in deutschen Küchentischen, in Schulen, Büros und Arztpraxen.
Der ganz normale Wahnsinn. Marie Marcks findet ihre Themen in deutschen Küchentischen, in Schulen, Büros und Arztpraxen.

© Caricatura Museum Frankfurt/Main

Wir jungen Emanzen waren damals stolz auf unsere Autonomie und unsere Militanz, mit der wir dem Patriarchat entgegentraten. Aber als nach den ersten Erfolgen die Kämpfe mühseliger wurden, schauten wir uns auch schon mal nach einer Mutterfigur um, die uns Mut zusprechen könnte mit den Worten: „Ihr macht es richtig“. Und in der Tat, Marie Marcks war da. Sie stammte aus der Generation, die zwischen den Kriegen geboren war, genauer: am 25. August 1922, und sie hatte das alles schon mal gedacht und gezeichnet, das mit der Doppelbelastung, mit der sexuellen Belästigung, mit den Vorurteilen und mit dem ungleichen Lohn. Jede Revolte braucht Ermutigung, braucht Vorläufer, möglichst solche, die noch am Leben sind. Für die Emanzen aus den Siebzigern war das Marcks.

In einem ihrer hellsichtigen Strips, dreißig Jahre alt, geht es so zu: Bild 1 zeigt zwei Wissenschaftler im Labor zwischen lauter Reagenzgläsern, einen alten Graubart und einen Jungspund. Der Graubart hält ein Hirn in seiner Hand und fragt: „Können Sie schweigen, Kollege?“ Der Jungspund: „Jawohl, Herr Professor.“ Auf Bild 2 streckt Graubart die Hand mit dem Hirn darin aus und sagt: „Die Intelligenz des Weibes weist keinen signifikanten Unterschied zu der des Mannes auf.“ Der Jungspund erwidert entsetzt: „Und ein Irrtum ist ausgeschlossen, ich meine: irgendeine Fehlerquelle?“ Auf Bild 3 zerstört der Graubart in einem Anfall von Verzweiflung die Versuchsanordnung und schleudert das Hirn in die Ecke. Worauf in Bild 4 Graubart und Jungspund Arm in Arm das Labor verlassen: „Das bleibt doch selbstverständlich unter uns!“

Wenn man bedenkt, dass heute noch Bücher erfolgreich sind, die davon handeln, dass Frauen nicht einparken können, wird klar, dass wir den hellsichtigen, hintersinnigen, wunderbaren Witz von Marie Marcks auch über ihren heutigen 90. Geburtstag hinaus noch lange brauchen werden.

Das Caricatura Museum in Frankfurt am Main zeigt noch bis zum 21. Oktober Comics, Karikaturen und Zeichnungen von Marie Marcks. Mehr Informationen auf der Website des Museums.

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