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Marilyn Monroe: Die Unvollendete

Porträt einer gespaltenen Seele: Robin de Raaffs Oper „Waiting for Miss Monroe“ in Amsterdam.

Es ist ja ironisch, dass Marilyn Monroes Tragik ausgerechnet in ihrem bekanntesten Film am besten analysiert wird. In „Manche mögen’s heiß“ gibt sich Jerry, gespielt von Jack Lemmon, als Frau aus, was ihm so überzeugend gelingt, dass sich der Millionär Osgood in ihn verliebt. Jerry bleibt am Ende nichts anderes übrig, als sich zu demaskieren: „Aber ich bin ein Mann!“ Es hilft nichts: „Nobody is perfect“, antwortet Osgood nur.

War sie nicht genau so? Der Weltstar, das 50er-Jahre-Idol, die Sexgöttin, die beständig zu rufen scheint: „Aber das ist nur mein Bild! Dahinter verbirgt sich ein echter Mensch, eine Frau aus Fleisch und Blut und mit Gefühlen!“ Aber die Öffentlichkeit antwortet nur: „Nobody is perfect.“ Gefragt war die Erscheinung, die Verpackung. Wie es wirklich aussah hinter der blonden Fassade, das blitzte erst am 5. August 1962 auf, als die Monroe tot war, zugrunde gerichtet von Barbituraten und von dem enormen Druck, der auf ihr lastete, von der Schere zwischen Image und wahrem Selbst, die immer weiter auseinanderging. Die Öffentlichkeit liebt, bei allem Schauder, solche Geschichten – auch heute noch, siehe Amy Winehouse. Die Oper, die sowieso auf dem Typus der sterbenden Frau aufgebaut ist (Gilda! Carmen! Isolde! Salome!), tut das noch viel mehr: Marilyn Monroe war eine Figur von mythischen Ausmaßen, ihr Leben packend und dramatisch, die Fallhöhe riesig, sogar eine „Unvollendete“ gibt es, wie bei Schubert: Der nie fertiggestellte Film „Something’s Got to Give“. Im 50. Jahr ihres Todes hat jetzt der 43-jährige Komponist Robin de Raaff in Amsterdam das Nächstliegende getan und eine Oper über sie geschrieben: „Waiting for Miss Monroe“.

Die Uraufführung im Rahmen des Holland-Festivals in der Stadsschouwburg ist aus mehreren Gründen ein Erfolg. De Raaff und seine Librettistin Janine Brogt sind nah dran an der Geschichte der Monroe – schon der Titel spielt auf ihr legendäres Zuspätkommen an – und liefern doch mehr als ein Biopic. Klugerweise beschränkt sich Brogt auf die letzten Wochen ihres Lebens, eine entscheidende Phase, in der der Monroe bewusst wird, dass sie nicht mehr jung ist (mit 36 war man 1962 viel älter als heute). Sie dreht „Something’s Got to Give“ und erscheint, natürlich, nicht am Set, was Regisseur Fox (Dale Duesing) in den Wahnsinn treibt.

Laura Aikin in der Titelrolle ist ein Glücksgriff! Die amerikanische Sopranistin, die ihre Karriere einst an der Staatsoper Unter den Linden begonnen hat, singt die Monroe als zerspaltenes Wesen, zickig und divenhaft am Set, unsicher und verletzbar, wenn sie allein ist und ihre Gedanken nur dem Kassettenrekorder anvertraut, den sich der Therapeut später anhört. All die berühmten Gesten der Schauspielerin – das Streicheln der ausgestreckten Arme, der Kussmund, der wackelnde Po – Aikin beherrscht sie perfekt und zeigt doch zugleich, wie hohl sie sind, wie maschinenhaft und automatisiert sie am Ende waren, wie sinnentleert. Aikin verlässt sich nicht auf die platinblonden Haare, sondern schlüpft, ja kriecht in ihre Figur, eignet sie sich an, erweckt sie mit spitzem, schrillem Sopran und einem enormen Stimmumfang zum Leben.

Steven Sloane dirigiert die Partitur mit Entschlossenheit und Biss. Eine ständige Hektik liegt über dem Stück: Filmcrews haben nie Zeit. Der in Deutschland zuunrecht unbekannte Robin de Raaff hat dazu eine nervöse, fiebrig-flimmernde Musik geschrieben, pointiert und zugespitzt, wenig lyrisch, aber doch reich an schwelgenden Klangfarben. Das durch quäkende Dämpfer verfremdete Blech spielt eine große Rolle, ebenso die Tuba und das reich ausdifferenzierte Schlagwerk, für das allein vier Musiker des Nederlands Kamerorkest nötig sind. Singt Monroe allein, wird sie nur von einem Soloinstrument umspielt, in der Regel kommt es aus den Streichern: Einsamkeit, die sich auch musikalisch vermittelt. Raaff liebt solch zeichenhaftes Komponieren, die Oper dauert genau 90 Minuten, die Länge eines klassischen Hollywoodfilms. Bisher war er vor allem mit Orchestermusik hervorgetreten und der Oper „Raaff“ (2004).

Bei „Waiting for Miss Monroe“ überzeugt auch die Arbeit der jungen Regisseurin Lotte de Beer, die in Berlin an der Neuköllner Oper inszeniert hat. Gleich zu Beginn wird die Monroe von Kulissen bedrohlich umkreist: Ein Leben, das vom Film zerquetscht wird. Statt eines Vorhangs schließt sich eine riesige Blende. Im zentralen Teil des Stücks, in dem die Geister von Joe diMaggio, Clark Gable, Robert Kennedy und John F. Kennedy auftreten, lässt de Beer riesige Mauern nach hinten zulaufen, Sinnbild der Ausweglosigkeit. Am Ende, nachdem die brünette Norma Jeane (mit schillerndem Koloratursopran: Hendrickje Van Kerckhove) als jüngere Monroe-Version aufgetaucht ist, nur noch die nackten Mauern der Stadsschouwburg, ein Bett, ein Telefon, untermalt von dürren Streicherklängen. Ein Leben verlischt. Der Mythos beginnt.

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