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Gemeinsam haben wir die Welt gerettet. Margaret Thatcher und Ronald Reagan 1987 in Washington,DC. Foto: AFP/Mike Sargent

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Kultur: Marmor, Stein und Iron bricht

DEBATTE In Großbritannien reißt der Thatcher-Film Fans wie Gegner in einen Strudel der Erinnerungen.

Margaret Thatcher schweigt schon lange, verstummt ist sie nie. Ihre letzte Rede hielt sie bei der Beerdigung Ronald Reagans 2004. Die Ärzte hatten ihr das öffentliche Reden verboten, so saß sie mit großem schwarzen Hut in der Kirche und hörte dem Video zu, das sie aufgenommen hatte. Sie war gegenwärtig und schon Vergangenheit. Sie schwieg und rief präzise in Erinnerung, wie Reagan und sie mit der Siegeskraft des Kapitalismus die Welt auf den Kopf stellten. Gemeinsam mit ihm hatte sie die Sowjetunion besiegt, England hatte sie vor dem Ruin gerettet, und sogar Labour-Politiker Peter Mandelson erklärte: „Wir sind jetzt alle Thatcheristen“.

Nun fasziniert erneut der Widerspruch zwischen der Machtlosigkeit der alterskranken Margaret Thatcher und dem eisernen Zugriff, den sie auf Köpfe, Herzen und Lebensgeschichten hat. „The Iron Lady“ beginnt mit einer gebrechlichen Dame in Kopftuch und Regenmantel, die Milch in einem Eckladen kauft – bis zur Intonierung der Stimme und dem wackligen Gang perfekt gespielt von Meryl Streep. Die Ironie des Titels wird klar. Es geht, in einer Shakespeare’schen Perspektive, um den Verfall einer Mächtigen, den Abschied von den Kräften, das Abdriften in die Vergesslichkeit, die Illusion und Anmaßung der Macht.

Eine kurze Taxifahrt entfernt von dem fiktiven Eckladen gibt es in der Fulham Road heute den Nachtclub „Maggie“, in dem man die besten Reden Thatchers auf dem Klo hören kann. Der Club huldigt den Jahren, in denen der Thatcher-Kult begann, als sie die Gewerkschaften besiegt, die Falkland Inseln zurückerobert, die Inflation bekämpft hatte und den Briten mit leicht gouvernantenhaften, aber messerscharf gestylten TV-Auftritten das neue Wirtschafts-ABC einpaukte.

Weibliche Fans besuchten jüngst den „Iron Lady“-Film, tranken die Cocktails, die damals bei den „Sloanes“ en vogue waren, fuhren dann in einem alten Doppeldeckerbus zu einem „Thatcher Striptease“ in den Maggie Club. Einige trugen dunkelblaue Thatcher-Kostüme, dazu Perlenkette und Dauerwellenperücke.

Mit ihrem Leitspruch „Wenn etwas gesagt werden soll, fragen Sie einen Mann. Wenn etwas getan werden soll, fragen Sie eine Frau“ gab Thatcher dem Wort „Machbarkeit“ seine Bedeutung zurück. Aber sie war als erste „Power Dresserin“ auch ein Modephänomen. War sie eine Vorkämpferin der Emanzipation oder schmückte sie die Männerwelt mit weiblichen Attributen? Nicht einmal die britische Satiresendung „Spitting Image“ wollte sich entscheiden: Die Thatcher-Puppe trug Nadelstreifenanzug und war mit Küchenutensilien behängt.

Im ersten TV-Interview nach ihrer Wahl zur Tory-Parteichefin tauschte sie ihr mausgraues Tweedkostüm gegen ein schimmerndes Seidenkleid und stellte sich der Presse mit den Worten vor: „Die Frau von morgen sagt Hello zu den Männern von gestern.“ Das ist, parallel zur Demenz-Handlung, die Geschichte, die der Thatcher-Film erzählt.

Seit Jahren kommt die makabere Diskussion um Thatchers Staatsbegräbnis immer wieder auf: Verdient sie es und würde man es schaffen, ihren Sarg ohne Volksaufruhr durch Londons Straßen zu ziehen? Sogar Thatcher-Fans sind skeptisch. Denn eine nationale Führerin, die das Land hinter sich einte wie die Queen oder Winston Churchill, war sie nie.

Ein Parlamentarier wollte aus Anlass des Films im Unterhaus über die „Grenzen des guten Geschmacks“ diskutieren. Premier Cameron meinte, vielleicht hätte man mit einem solchen Film noch ein bisschen warten sollen. Andere sind begeistert. Der Film zeige einer jüngeren Generation die wahre Bedeutung Thatchers, schrieb Londons Bürgermeister Boris Johnson: „Sie repräsentiert die weibliche Ungeduld mit der selbstgefälligen Konsenspolitik der Nachkriegszeit, die überwiegend von Männern eines gewissen Alters und einer gewissen Klasse gemacht wurde“.

In Oxford, wo man Thatcher 1985 nach Demos und Debatten die für eine Alumna fällige Ehrendoktorwürde verweigerte, wird nun die Debatte haargenau wiederholt: Der Philanthrop Wafic Said will ein von ihm spendiertes Gebäude nach ihr benennen. „Undenkbar, dass die Akademikerversammlung zustimmt“, prophezeien die Thatcher-Gegner. „Als Großbritanniens größte Premierministerin seit dem Krieg ist diese Ehrung überfällig“, mahnen ihre Fans.

Thatcher riss das Land aus Jahren des Niedergangs heraus, gab den Briten Selbstbewusstsein, internationales Ansehen und moralisches Rückgrat, verschaffte Grundwerten wie individueller Selbstverantwortung so nachhaltig Geltung, dass sie bis heute die politische Kultur Großbritanniens prägen. Aber auch der soziale Kahlschlag, den ihr Glauben an die Kräfte des Marktes auslöste, ist nicht vergessen. Indem sie die unternehmerischen Energien einer liberalen Marktgesellschaft freisetzte, wurde sie zum Synonym für soziale Härte, Profitstreben und eine materialistische „Me Generation“.

Andere Premiers vor ihr sind in Demenz versunken und verschwanden aus dem akuten Bewusstsein der Menschen. Bei Thatcher gibt es diese gütige Amnesie der Geschichte nicht. In Großbritannien gibt es nur solche, die sie hassen und solche, die sie als größte Premierministerin der Nation bewundern.

Am 22. November 1990, als Londoner U-Bahn-Fahrer Thatchers Rücktritt über Lautsprecher in den Zügen verkündeten, klatschten die Menschen. Aber als ihr offizieller Biograf, Charles Moore, vor ein paar Jahren mit ihr nach einem Lunch das Restaurant verließ, standen alle auf und applaudierten der 86-jährigen Dame.

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