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Kultur: Marotten und Motten

Mit Leidenschaft erzählt: die Französische Filmwoche in Berlin

Ein geschmackvoll ausgestattetes Appartement. Die Einbauküche blitzt und blinkt. Doch vor den Kacheln flattert es verdächtig. Ein Geschwader von Motten, von denen Victoria Abril einige zerklatscht – mit dem Lächeln hausfraulichen Triumphes. Eine Pheromonfalle empfiehlt der Drogist statt Sprühgift, das schone die Atmosphäre. Victorias Freunde sind anderer Meinung: Ist es nicht allzu billig, unserem Öko-Gewissen das Liebesleben wehrloser Tiere zu opfern? Eine Frage nur, eine kleine humorige Turbulenz im gebügelten Leben der Pariser Bourgeoisie. Doch in „Cause Toujours!“ von Jeanne Labrune ist sie Ausgangspunkt für eine verwegen geknüpfte Kette rätselhafter Begebenheiten.

Wir sind in Frankreich, einem Filmland, das geografisch so nahe liegt und sich dem deutschen Publikum doch immer mehr entzieht. Denn viele auch preisgekrönte Filme aus der Nachbarnation kommen wegen der Dauerverstopfung des Verleihmarktes gar nicht oder mit jahrelanger Verspätung in deutsche Kinos. So sind Liebhaber angewiesen auf die Vermittlung subventionierter Kulturinstitutionen: Gemeinsam mit der Botschaft gibt das Berliner Bureau du Cinéma jetzt Einblick in die aktuelle Produktion. Auch diesmal sind bei den 16 Filmen der Französischen Filmwoche mit Olivier Assayas, Michel Deville, Bernard Tavernier und dem kürzlich gestorbenen Philippe de Broca bekannte Regienamen im Programm. Eine kleine Extraschau ist Arnaud Desplechin gewidmet, dessen jüngstes Werk „Rois et reine“ heute zur Eröffnung präsentiert wird. Catherine Deneuve, die dort mitspielt, kommt zwar nicht nach Berlin, doch Regisseur und Darstellerin Magali Woch werden als Gäste erwartet. Zum Abschluss am kommenden Mittwoch gibt Isabelle Huppert im Doppel mit Catherine Frot im Stadtmaus-Landmaus-Kammerspiel „Les soeurs fachées“ das bornierte Pariser Exemplar der beiden ungleichen Schwestern.

Das Debüt der jungen Regisseurin Alexandra Leclère ist eins von vier Erstlingswerken der Filmwoche, die so auch eine neue Generation französischer Cineasten vorstellt. Aber lässt sich heute überhaupt noch von nationalen Kinematografien sprechen? Danielle Arbid etwa, 1970 in Beirut geboren, ging mit 17 zum Studium nach Paris, wo sie seitdem lebt. Doch die Verbindung zu ihrer Geburtsstadt, wo sie auch ein Filmfestival organisiert, hat sie nie aufgegeben. Jetzt ist sie mit ihrem ersten Spielfilm „Dans les Champs de Bataille“ in die Zeit ihrer Kindheit zurückgekehrt: in einer ebenso sonnenflirrenden wie dunklen Coming-of-Age-Geschichte zwischen Mädchenfreundschaft und Verrat, Milizionären und Großbürgertum, Boney M. und Mörserangriffen.

Auch bei Ismael Ferroukhi, 1962 in Marokko geboren und in Südfrankreich aufgewachsen, geht es um den Abschied von einer verlängerten Kindheit. In seinem ebenfalls autobiografisch inspirierten Spielfilmdebüt schickt er einen religiösen Vater mit dem widerwilligen Sohn auf eine Pilgerreise, die für den älteren zur Heimfahrt, für den jungen zur Initiation wird. Aus der Provence nach Mekka: „Die große Reise“ ist ein bedächtiges Roadmovie ganz ohne touristische Veduten. Und eine Geschichte, so geradlinig und klar gebaut, dass Überraschungen nur stören würden.

„Juste une histoire“ sei es, antwortet Sylvie Testud im viel verspielteren Film „Cause Toujours!“, als sie gefragt wird, ob es denn Krimi oder Liebesgeschichte sei, was sie treibe. Nur eine Geschichte: Das ließe sich von den meisten der Filme sagen, die in den nächsten Tagen das aktuelle französische Kino repräsentieren. Also nicht nachgekochte Dramaturgie-Rezepte, sondern Filme, die mit Leidenschaft erforschen, was man auch heute noch beim Erzählen für Entdeckungen machen kann. Einfach so. Die Liebe kommt selbstverständlich trotzdem vor.

Bis 6. Juli. Cinéma Paris und Filmtheater am Friedrichshain. Eröffnung heute um 18 Uhr im Cinema Paris mit „Rois et Reine“ von Arnaud Desplechin (OmeU). Infos unter www.kultur-frankreich.de

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