Ob die Begeisterung über den Kriegsbeginn Anfang August 1914 in Berlin wirklich so groß war, wie behauptet wird, oder ob es sich nur um einen kleineren Teil der Bevölkerung gehandelt hat, der vor dem Schloss zum „Hurra!“-Rufen zusammenströmte, das weiß man heute nicht so genau. Tatsache ist jedoch, dass es in den Jahren zuvor unablässig farbenprächtige Schauspiele von Militärparaden und festlichen Umzügen gab, die sowohl zur Bekräftigung der Hohenzollernherrschaft wie auch zur Volksbelustigung dienten. Wer wie der amerikanische Maler Marsden Hartley (1877–1943) Anfang 1913 aus der Neuen Welt mit ihrem republikanischen Geschäftssinn nach Berlin kam, konnte sich durchaus an dem Gepränge begeistern, von dem bereits Dokumentarfilme aus den Jahren vor dem Großen Krieg Zeugnis ablegen.
Ein Zusammenschnitt solcher Aufnahmen wird in der Ausstellung „Marsden Hartley. Die Deutschen Bilder 1913 – 1915“ gezeigt, die seit dem Wochenende in der Neuen Nationalgalerie zu sehen ist. Sogar Farbaufnahmen sind dabei, mithilfe von Farbfiltern nachgetönte Aufnahmen. Sie lassen erahnen, dass die Monarchie im Alltag ein großes Schauspiel war.
Hartley, homosexuell und in den preußischen Offizier Carl von Freyburg verliebt, betrachtete dieses Kostümfest mit den Augen des Malers, als Vorlage für farbkräftige Kompositionen. Seine ohne Raumtiefe gemalten, wie Collagen zusammengestellten Objektansammlungen geben keine reale Szenerie, keine Landschaft oder Stadtansicht wieder, sondern vereinen disparate Gegenstände zu allegorischen Bildern. Der Offizier, das sind Orden, Tressen, Fahnenaufsätze; Berlin, das ist militärisches Gepränge. Und dazu kommen Dinge, die Hartley im hiesigen Völkerkundemuseum gesehen hat, wie die Kachinas der Hopiindianer, die der im nordöstlichen Maine als Sohn eines Fabrikarbeiters geborene Künstler nur als museale Objekte kannte.

Leutnant von Freyburg fiel bereits Anfang Oktober 1914, erst 24-jährig, an der nordfranzösischen Front bei Arras. Hartley setzte ihm als „K. v. F.“ mit markig-deutschem „K“ auf seinem Hauptwerk dieser Jahre, „Ein deutscher Offizier“, ein verschlüsseltes Denkmal. Man mag, wie Kurator Dieter Scholz, den schwarzen Hintergrund all der liebevoll ausgebreiteten Bildelemente als Verweis auf den Tod deuten, doch kann es ebenso gut sein, dass Hartley an die Tradition der amerikanischen Trompe-l’oeil-Malerei des 19. Jahrhunderts mit ihren monochromen Bildgründen anknüpft.
Der vorzügliche Ausstellungskatalog bildet dazu ein treffliches Beispiel ab, Alexander Popes Gemälde „Symbole des Bürgerkriegs“ von 1888, mit Fahnen und Säbel auf schwarzem Grund. Mithilfe der Militaria-Sammlung des Deutschen Historischen Museums ist es Scholz gelungen, all die Einzelobjekte aus Hartleys Hauptwerk im Original in einer Vitrine zu arrangieren. So wird in einem einzigen Blick von Vitrine zu Bild deutlich, wie getreu Hartley die Wirklichkeit gesehen, dann aber in etwas völlig eigenes verwandelt hat.
- Palette der Patrioten
- "Ein höchst charmanter Offizier": Hartley verliebt sich in einen Leutnant.
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