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Böse auch mit E-Zigarette: Michel Houellebecq

© dpa

Martensteins Berlinale (IV): Europas schlimmste Diktatur

Martenstein hat seinen ersten Lieblingsfilm der Berlinale. Mit einem Hauptdarsteller ganz nach seinem Geschmack: Er raucht, nervt und belehrt andere über "Europas schlimmste Diktatur". Ehrensache, dass Martenstein dem Darsteller weiterhelfen will.

Ich habe einen ersten Lieblingsfilm. Mein Wunsch an Arte: Macht eine Doku-Soap mit dem französischen Schriftsteller Michel Houellebecq als Hauptfigur. Dafür zahle ich freiwillig höhere Gebühren.

In den ersten Minuten von „L’enlèvement de Michel Houellebecq“ ist man über den Zustand des Hauptdarstellers erschrocken. Er wirkt schon sehr mitgenommen in seinem alten Parka. Houellebecq sieht ein bisschen wie Woody Allen aus, nur älter, obwohl Houellebecq in Wahrheit erst Mitte fünfzig ist. Zur Entspannung geht er in Paris auf Beerdigungen oder hält Taxis an, nur, um den Fahrern zu sagen, dass er im Moment leider kein Taxi braucht. In Berlin wäre das lebensgefährlich.

Er sagt Sachen wie „Le Corbusiers städtebauliches Ideal war das Konzentrationslager“. Da ist was dran. Über Houllebecqs These, dass Europas schlimmste Diktatur „Schweden“ heißt, würde man gern mehr hören. Arte muss mit Houellebecq nach Schweden fahren.

Dann wird er von drei Typen entführt, dem Exbodyguard von Karl Lagerfeld, einem Bodybuilder und einem Martial- Arts-Kämpfer. Bodys meet Brain. Die wollen Lösegeld für ihn. Sie sitzen in der Vorstadt, Houellebecq trägt Handschellen, raucht, nervt und schmutzt, sie streiten sehr anregend über Literatur, er schreibt Gedichte für die Mutter eines Entführers, sie geben ihm Unterricht in Kampfsport und lassen ihn vom Arzt checken, weil sie Angst haben, dass er ihnen stirbt. Am Ende kriegen die Gangster von irgendwem Geld und lassen ihn frei, obwohl er gern länger geblieben wäre.

Ich nenne das „ein ironisches Meisterwerk über interkulturellen Dialog“. Mit welchem deutschen Großschriftsteller könnte man so einen Film drehen? Mit Günter Grass eher nicht. Falls Arte die Serie nicht macht, wäre Michel Houellebecq auch ein idealer Kandidat für das Dschungelcamp. Vorausgesetzt, er kriegt genug Zigaretten.

Kürzlich hörte ich einen Vortrag über das deutsche Feuilleton der 50er, 60er Jahre. Ich habe erfahren, dass es in der deutschen Literaturkritik der Nachkriegsjahre eine Art Verschwörung gab. Viele Kritiker wollten unbedingt, dass Heinrich Böll den Nobelpreis bekommt, nicht Grass. Böll war einfach sympathischer. Und er kriegte den Preis tatsächlich als Erster. Gibt es irgendwas, das ich für Michel Houellebecq tun könnte?

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