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Kunstscheiße (Abb. ähnlich)

© dpa

Martensteins Berlinale (VIII): Kunstscheiß!

Martenstein wird am nach dem achten Berlinale-Tag ein bisschen dünnhäutig - wie auch viele Kritiker. "Kunstscheiße" hier, "Kunstscheiße" da. Aber der Spaß hört auf, als die Kritiker sich an der schwulen Liebesgeschichte "Praia do Futuro" vergehen.

"Anderson“ ist ein unaufgeregter Film über den einstigen Star der DDR-Boheme und Stasi-Spitzel Sascha Anderson, der heute grauhaarig in Frankfurt am Main lebt. Es gibt eine Szene aus der Wendezeit, die man nicht vergisst: Der junge Anderson trifft auf Wolf Biermann, der ihn kurz zuvor enttarnt hatte. Anderson beschimpft Biermann so glaubwürdig, so ehrlich empört – „Wolf, ich hab mich für deine Lieder von der Stasi verprügeln lassen!“ –, dass man nie wieder irgendwem irgendwas glauben möchte.

Eine Sache haben die Berlinale und die DDR von damals gemeinsam: Es gibt eine offizielle Wirklichkeit, in den Medien, und es gibt das, was die Leute in Wahrheit denken.

Die Berlinale ist voll von "typischem Kunstscheiß"

Zum Beispiel: „Praia do Futuro“, der Wettbewerbsfilm aus Brasilien. In den Kritiken kommt der Film gut weg, angeblich ist er „sensibel“ und „berückend schön“. Gleichzeitig habe ich über keinen Film dieses Jahrgangs im Gespräch so viele Verwünschungen gehört. Ich kenne inzwischen die Story, schwule Liebesgeschichte, zwei Rettungsschwimmer, es spielt zum Teil in Berlin. Ein Kritiker: „Der Film ist so schlecht, dass er fast schon zum Mythos taugt.“ Eine Kritikerin: „Von den Frauenfiguren erfährst du eigentlich nur, ob sie Analverkehr bevorzugen oder nicht. Mir ist das zur Zeichnung einer glaubwürdigen Frauenfigur einfach ein bisschen zu wenig.“ Ein weiterer Kritiker: „Der Bruder kommt zu Besuch nach Berlin, extra, um zu erzählen, dass jemand gestorben ist – haben die in Brasilien kein Telefon?“ Ein weiterer Kritiker: „Typischer Kunstscheiß.“

Beim Wort „Kunstscheiß“ weiß jeder Berlinale-Profi, was gemeint ist. Kunstscheißfilme sind überambitioniert, wollen wahnsinnig bedeutsam sein, obwohl sie in Wirklichkeit oft banal sind, Kunstscheißfilme geben die Eitelkeit ihrer Macher als ästhetisches Experiment aus, Kunstscheißfilme sind meistens extrem langsam oder extrem dunkel und haben eine ähnliche Wirkung wie Waterboarding, Kunstscheißfilme sind einfach Kunstscheiß.

In der Schlussphase einer Berlinale sind die Menschen infolge einer Überdosis Kunstscheiß meistens sehr dünnhäutig geworden. Sie leiden unter der Kunstscheißdepression, in diesem Jahr ist sie besonders ausgeprägt.

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