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Harald Martenstein.

© dpa

Martensteins Holumne: Sag mir, wo du stehst

Wir haben, anlässlich von Karl-Heinz Kurras’ Enttarnung als SED-Mitglied, wieder eine 68er-Diskussion. Ein Bekenntnis und eine Analyse unseres Kolumnisten Harald Martenstein.

Vielleicht sollte man wissen, dass ich, in den 70er Jahren, für einige Zeit ungefähr der gleichen Partei angehört habe wie Kurras, der Todesschütze, wie Uwe Timm, wie Martin Walser und viele andere. Ich war in der DKP. Wie politischer Irrtum sich anfühlt, weiß ich also recht gut.

Die 68er hatten in vieler Hinsicht Recht, pauschales 68er-Beschimpfen ist falsch. Ihr wichtigster politischer Irrtum war, dass nicht wenige von ihnen die Bundesrepublik jener Jahre für einen präfaschistischen oder halbfaschistischen Staat hielten. Damit will ich nichts schönreden am Adenauer- oder am Kiesingerdeutschland. Es gab die alten Nazis, es gab den manchmal fast komplizenhaften Umgang der Justiz mit den Nazimördern, es gab das Autoritäre und einiges mehr. Allerdings war dieses Land veränderbar. Man muss nur die DDR von 1967 mit der DDR von 1987 vergleichen, und anschließend die BRD von 1967 mit der BRD von 1987. Auf der einen Seite ein Staat, der erstarrt blieb, wie ein Insekt im Bernstein, auf der anderen Seite ein Staat, der kaum wiederzuerkennen war.

Die BRD ließ sich ohne Gewalt verändern, um die DDR zu verändern, bedurfte es einer Art Revolution und eines Staatsbankrotts. Viele 68er, nicht alle, vertrauten den hohlen Worten der DDR – Wir sind das demokratische Deutschland! Wir sind Antifaschisten! –, während sie die demokratischen Freiheiten, die Gewaltenteilung und die Meinungsfreiheit des Westens zu belanglosen Details erklärten, zu einer bloßen Maskerade, hinter der sich ein faschistisches Biest versteckte. Man erregte sich, zu Recht, über den Tod von Benno Ohnesorg und das Attentat auf Rudi Dutschke, für Hunderte von Mauertoten hatten viele nur ein Achselzucken übrig. Was für eine politische Analyse war das? Was für ein Humanismus war das?

Was wäre passiert, wenn schon damals die Wahrheit herausgekommen wäre? Genosse Kurras erklärt, er sei von Hooligans und Rowdies bedroht worden, er habe in Notwehr geschossen. Die DDR, die SED, die DKP und die SEW hätten ihm vermutlich zur Seite gestanden. Da gab es immer nur eine Meinung, immer nur Solidarität. Die entscheidende Frage war damals immer, wo einer steht, auf der historisch richtigen Seite oder auf der falschen. Auf der richtigen Seite war alles erlaubt. Ob Kurras einen Hooligan erschießt, oder Oberleutnant X.einen Republikflüchtling, wo ist da der Unterschied? Das war der große Irrtum. Nicht zu versuchen, ohne Vorurteil die Welt anzuschauen, die Menschen und ihre Taten, sondern immer nur im eigenen Kopf zu überprüfen, wo einer steht und wie es sich in das eigene, starre Weltbild einsortieren lässt.

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